Max und
Bella suchen Musils Ruhestätte
In Genf suchten wir nach der Rue John Refous, wo Musils Witwe im
Juli 1946 die Asche ihres Mannes ‚am Rand zweier verwilderter
Gärten’ verstreut hatte. Wir fanden nur Wohnblöcke und Parkplätze
vor, auch von den Passanten konnte keiner Auskunft geben, man
starrte Bella bei ihren Fragen nach Musil an wie eine Verrückte,
doch dann entdeckten wir, dass die Straße zu einem Park führte,
der uns mit seinem losen Bestand alter Bäume eines
Ausstreuungsortes würdig erschien.
"Dort muss es gewesen sein", sagte ich.
Bella setzte den Blinker und fuhr auf den Parkplatz davor, Peters
R4 folgte uns.
Peter und mein Vater hatten kein Interesse an unserer Suche, sie
gingen in das nächste Cafe und stritten dort weiter, wo sie beim
Aussteigen pausiert hatten. Wir beide folgten einem kleinen Weg,
mehr ein Trampelpfad, der quer durch die Wiese neben der Straße
ins Gehölz führte.
„Während du dich nicht mehr blicken ließest, habe ich die Zeit
genutzt und ein Oberseminar zu Musils Mann ohne Eigenschaften
besucht“, sagte ich.
„Oberseminar, das klingt beachtlich“, sagte sie. “Wie wars?“
„Sterbenslangweilig, meist wurde Sekundärliteratur verhandelt, der
Roman verschwand hinter einem Gestrüpp von Interpretationen. Ich
saß am Katzentischchen in der Ecke und starrte eine Studentin an,
die dir ähnlich sah.“
„Soweit ich weiß, gibt es in der Uni keine Katzentischchen“, sagte
Bella.
„Trotzdem, ich war fachfremd, was man mich spüren ließ, hatte
Katzenjammer wegen dir und das Tischen war winzig“, sagte ich.
„Du nachträglich Armer!“ Sie hakte sich bei mir ein, schmiegte
ihren Kopf an meine Schulter, was mich in Hochstimmung versetzte.
„Wenn jetzt der Wind in den Bäumen rauschen würde, könnten wir uns
einbilden, Musil raune uns etwas über seine taghelle Mystik zu.“
„Warum sollte er jedem Dahergelaufenen etwas zuraunen?“ fragte
Bella.
„Weil wir es sind“, sagte ich.
„Das sagen sie alle“, erwiderte Bella. „Ich an Musils Stelle würde
keinen Mucks machen.“
Sie behielt Recht. Ziellos wanderten wir eine Weile unter den
Bäumen umher.
„Ein schöner Platz um verstreut zu sein", sagte Bella.„Fahren wir
weiter?“
**********************
Eine weiterer Romanauszug als
mp3 Hörversion findet sich im 'Blauen Salon',
Frolic,
Musil und die Grundregel des Erwachsenseins |