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Unter Krummholzner
Wie oft musste ich in letzter Zeit wieder hören: ‚Unter
Krummholzner hätte es das nicht gegeben!’
Solchen hoffungslos Gestrigen halte ich sofort entgegen: Unter
Krummholzner hätte es auch keine beheizten Schuhlöffel gegeben,
sogar die ohne Heizung wären verboten gewesen. Deshalb hätte man
sich beim Anziehen seiner Treter stets die Fersen aufgerieben und
nicht selten auch den Mittelfinger gebrochen dabei.
Erwidert dann einer, auch unter Krummholzner hätte man bereits
erfolgreich Schuhe getragen, ist meine Antwort: damals seien die
Leute in ein Paar Stiefel hineingewachsen für den Rest ihres
Lebens.
Dies lässt auch die Renitentesten verstummen, denn wie es unter
Krummholzner tatsächlich war, weiß keiner mehr genau. Es ist ja
alles verbrannt worden, was an ihn erinnerte, die Alten wurden zum
Schweigen verdonnert und wir Jungen kamen, noch bevor wir sprechen
konnten, in geschulte Obhut, die gedankliches Unkraut erst gar
nicht aufkommen ließ. Wie hoffungsfroh waren die Lieder, die wir
als Kinder sangen, wie hell und klar in der Diktion unsere Fibeln,
die Bilder darin so pastellfarben, ins Weiße hinein verschwimmend,
zeigten rundköpfige Wesen, die sich freudig ihre blitzblanken
Schuhlöffel liehen.
Und trotz allem- immer wieder: Krummholzner! Die Sehnsucht nach
ihm ist wie Herpes, der einen schon im Mutterbauch befällt. Sie
überwältigt auch nicht wenige von uns Desinfektoren, uns meist
sogar besonders heftig. Wild schreien auch die Zuverlässigsten
plötzlich nach Krummholzner und zerbrechen alle Schuhlöffel, derer
sie habhaft werden. Diese Unglücklichen müssen dann von einer
soliden Mehrheit überwältigt, zum Schweigen verdonnert und zu den
unheilbar Altmodischen gesteckt werden.
Dabei will ich nicht klagen, wir kommen zurecht. Wie ein
chronischer Kranker eben mit seinem Leiden zurecht kommt, weil er
auch in Momenten scheinbarer Gesundheit weiß, wie trügerisch
dieses Gefühl sein kann und dass Sorglosigkeit nicht einen Moment
lang angebracht ist, weil ein Rückfall alle Anstrengungen zunichte
machen könnte.
Zuweilen, in schlaflosen Nächten etwa, scheint mir, wir zahlen
einen zu hohen Preis für unsere temperierten Schuhlöffel. Ich
erschrecke jedes Mal heftig über diesen Gedanken, singe die Lieder
meiner Kindheit, denke an die wonnigen Wesen in den Fibeln und
poliere meinen Schuhlöffel blitzeblank
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