Doderama präsentiert: Das Zentrum

 Sissy und der Freudomat


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Der Freudomat ist ein von einem Holzvergaser angetriebener Psychoanalytiker aus verzinktem Blech, mit einer Ottomane für den
Klienten und kleinem Vordach, einer Feuerung mitOfenklappe,
darüber die Bedienungsanleitung in Email, der entstehenden
Hitze wegen. Zwei bewegliche Linsen glotzen auf den Klienten, ein
Messingmund speit während der betriebenen Analyse begütigende und zur
weiteren Aussprache ermutigende Füllsel aus wie: 'hmmm', 'ich verstehe', 'erzählen Sie mir mehr darüber', 'was empfanden sie dabei'.

Die Sitzung ist aber erst möglich, wenn der Patient den Rost der Feuerung von Asche gesäubert, neues Spanholz und frische Kohlen aufgeschichtet und schließlich das Feuer entzündet hat. Ein Druckmesser zeigt, ob der Freudomat auf Analysetemperatur hochgefahren ist; zugleich dröhnt eine Dampfpfeife auf seinem spitz ausgeführten Schädeldach und kündigt den Beginn der Sitzung an.

Vor dem Freudomaten steht in diesem Augenblick eine dunkelhaarige junge Frau in braunsamtenem Reitkleid, ein langer, weiter Rock mit schwarzer Schleife am Hinterteil, darüber eine taillierte Jacke mit engen Ärmeln. Sie bückt sich und prüft, mit drei Fingern ihrer Rechten in das Leder stoßend, die Elastizität der Ottomane. Dann schaut sie mit der makellosen Höflichkeit Höhergestellter auf den Freudomaten und sagt "Ich bin Elisabeth, Kaiserin von Österreich."

Der Freudomat rollt verwundert mit den beweglichen Linsen: "Aber Hoheit, Sie sind doch erstochen worden!" "Habe ich deswegen weniger Anrecht auf seelischen Beistand ?" Die Dame, wer immer sie ist, weiß was sie will.

Die Kaiserin nimmt züchtig Platz auf dem Ledermöbel. Pfauchend und zischend läuft der Analytiker an. "Hatten sie jemals Probleme mit ihrer Vagina?" Sissy zuckt indigniert zusammen und schlägt die Schenkel übereinander. "Ich nicht", sagt sie und betont das ‘Ich‘ dabei. "Sie ist mir seit jeher vertraut; ich kann mich mir ohne dieses Organ eigentlich gar nicht vorstellen."

"Ach, tatsächlich! Hatten Sie Eltern?" legt sich der Freudomat in die erste tiefenpsychologische Kurve.

"Ich erinnere mich nicht genau, ich dürfte wohl welche gehabt haben." antwortet die junge Frau und räkelt sich mit rollenden Schultern in eine bequemere Lage.

 "Nun für gewöhnlich...", entgegnet der Seelengründler bedächtig, aber Sissy unterbricht ihn: "Jedenfalls war ich irgendwann ein kleines Mädchen, eine Kindheit müßte ich demnach durchlebt haben. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn eine solche widerfuhr eigentlich jedem gewesenen Kind, sogar dem kleinsten Hüttler aus dem Waldviertel." Der Psychomat, zufrieden, den Redefluß der neuen Klientin entfacht zu haben, entgegnet nur:"Erzählen sie mir mehr darüber!"

"Über meine Kindheit ? Ich glaube Blechmännchen, du willst bloß Zeit gewinnen! Aber gut, ich werde dir Auskunft geben:Ganz am Anfang meiner Eindrücke lebte ich in einem großen Haus, an einem See, zwischen bewaldeten Bergen. Das Haus hatte einen großen Salon, mit vielen geschwungenen Möbeln darin, die Sessel waren mit rot-weiß gestreiftem Stoff überzogen. Dort nahm mich ein dicker Herr oftmals auf seine dicken Knie und ließ mich darauf hüpfen, was mir nur bedingt gefiel, ihm aber sehr. Ich glaube dieser Herr hatte Probleme mit meiner Vagina. Doch nun einmal zu dir, du impertinentes Blechwesen, kennst du deinen Erbauer?"

Der Freudomat antwortet, zögernd, denn das Holz ist fast heruntergebrannt. "Ich denke schon, ja. Wenn Sie mich gütigst in näheren Augenschein nehmen wollen: An meinem Kessel ist ein Messingschild aufgenietet:

‘'Konstrukteur und Eigentümer:

Solemnius – derz. Ortsgenie
Salmdorf/Oberbyzantinien
Jede Nachahmung dieses Gerätes wird unnachsichtig verfolgt.'

Dabei dürfte es sich um meinen Hersteller handeln."

Lebhaft entgegnet die Kaiserin: "Wie spaßig !' Ich kenne einen k. u. k. Ingenieur namens Solemnius, noch aus den Tagen meiner Kreuzfahrten um die Insel Tofu vor der Bredouille. Er modernisierte damals den Blasebalg meiner Segeljacht. Könnte es sich hier um ein und dieselbe Person handeln?"

Solemnius, durch den Nominator herbeigerufen, einer Vorrichtung, die immer dann Alarm auslöst, wenn der Freudomat seines Erbauers Namen nennt, betritt die Szene. Sein Blick geht besorgt über die Armaturen des Dampfanalytikers, dann über die auf der Ottomane lagernde Frauengestalt. Da erhellt ein von tiefem Erstaunen begleitetes Erkennen seine besorgte Miene. "Welche Überraschung! Kaiserliche Hoheit, Sie hier im Repetitorium? So belieben Sie doch liegen zu bleiben. Sie wurden anderweitig erstochen, hört man?"

Die Freude über das unverhoffte Wiedersehen auf Sissys Gesicht erlischt. Sie antwortet ausweichend: " Nun ja, in jedem Gerücht ist wohl ein Körnchen Wahrheit zu finden."

Solemnius versteht. Er wechselt flugs das Thema: "Konnte Ihnen mein Freudomat helfen? Falls nicht, ich habe auch noch einen Jungschen Tiefgründler oder einen Minderwerter nach Adler anzubieten. Diese Geräte stehen allerdings in den Ausstellungsräumen meiner Werkstatt drüben in Salmdorf und müßten erst auf den neuesten Stand gebracht werden."

Die Kaiserin antwortet, schon wieder gewohnt huldvoll: "Ich bin recht angetan von diesem Freudomaten. Unser Blechfreund hier ist zwar ein arger Spintisierer, doch auf der Ottomane liegt sich's bequem und das geheimnisvolle Gerede vom Unterbewußtsein ist so angenehm grauslich wie die Geschichten vom Krampus, als wir noch Kinder waren. Ich bin wirklich rundum zufrieden. Die Reise hinüber läßt sich gut an."

"Ich habe noch kein Wort über den psychischen Apparat verloren!" protestiert der Freudomat, um in professioneller Hartnäckigkeit fortzufahren: "Sie erwähnten soeben ihre Kindheit. Also erinnern sie sich definitiv an diese Lebensphase? Das müssen wir nun genauer herausbekommen. Denn Kindheit ist der Ort, an dem diejenigen Mythen entstehen, die unser Leben lang gelten. Kindheit ist, kurz gesagt, immer, wenn wir glauben."

"Eine schmucke Definition haben Sie sich da zugelegt", erwidert die Kaiserin spöttisch. "Ob ich eine Kindheit hatte? Ja, ich glaube wohl! Ich sagte das bereits, eine fürstliche Kindheit muß das gewesen sein, eine mit allen Schikanen! Sogar ein Pony hatte ich und welches frühere Kind kann das schon behaupten? Bloß wird die ständige Fragerei nach mir als kleinem Mädchen allmählich fad. Und Holz nachlegen will ich auch nicht mehr. Außerdem: auf die Bezeichnung ‘psychischer Apparat‘ für mein kompliziertes kaiserliches Seelenleben in all seiner Flüchtigkeit und verschlungenen Vielschichtigkeit kann nur ein Blechkopf wie du kommen. So! Genug der Psychologie!" Die Kaiserin stellt flink ihre in schwarzen hohen Schnürstiefeln steckenden Beine auf den Boden, springt von der Ottomane auf und hüpft davon wie eine Wenigjährige.

"Warten Sie doch, Herr Ingenieur", ruft sie dem am Horizont unserer Geschichte gerade noch ersichtlichen Erfinder nach. "Seien Sie so lieb und zeigen mir das sagenhafte Oberbyzantinien und auch Ihre Werkstatt mit den anderweitigen Analytikern. Vielleicht ist da einer nach meinem Gusto darunter, so ein Streichler und Tröster, wissen Sie !"




 

 

 

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