madonnas archiv

Februar 2007



Diese Geschichte schrieb ich in diesem
Jahr ( 2007) für mein Patenkind Finn, das am 1. Februar  ein Jahr alt wurde. Um ein Band zu knüpfen zwischen ihm und mir.
Irgendwann wird er ein wenig von dem verstehen, was ich da erzähle und später sogar alles. So, wie ich mit Geschichten aufwuchs, in die ich hineingewachsen bin.
 

Leider habe ich bisher keine Geschichten
mehr für Finn geschrieben. Ich kenne ihn zu wenig. Aber selbst für mein Enkel fällt mir nichts mehr ein.
Schade, aber ich kann es nicht erzwingen.

 

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     Geschichte für Finn


Erste Geschichte
Finn

     Der kleine Finn hörte für sein Leben gerne Geschichten und das, obwohl sein Vater ihm tagein, tagaus Märchen erzählte. Man könnte annehmen, Finn würde längst genug davon haben, aber er war unersättlich. Einmal kam eine Dame zu Besuch, und Finns Vater flüsterte ihm ins Ohr:
„Das ist eine Geschichtenerzählerin, sie hat auch mir schon so manches Märchen erzählt.“
Da ging Finn zu der Dame, die gerade an einem Glas Tee nippte, setzte sich vor sie hin auf den Teppich und fragte:
„Erzählst du mir eine Geschichte? - Bitte!“ fügte er drängend hinzu. Die Dame setzte ihr Glas ab und sah den Jungen aufmerksam an.
 „Gerne“, antwortete sie, „nur gibt es da ein Problem. Ich kann jeden Tag nur eine Geschichte erzählen, nur die, die ich gerade im Kopf habe. Daher weiß ich nicht, ob sie für dich geeignet ist, ob du sie verstehst. Es kann sein, daß sie dir gar nicht gefällt.“
„Das macht nichts“, sagte Finn, „Papa erzählt mir auch oft Geschichten, die ich nicht verstehe. Sie gefallen mir trotzdem, ich habe dann etwas, worüber ich nachdenken kann, wenn der Tag lang mir wird.“ „Also gut“, sagte  die Dame und begann zu erzählen.

                                                              * * *
Irgendwo, zwischen den Ozeanen und dem Wolkenmeer, befindet sich das Reich der Körperlosen. Dort wohnen die Seelen und warteten darauf, auf die Welt zu kommen. Das ist das Ziel, dem alle Seelen entgegenfiebern, ohne genau zu wissen, was sie sich darunter vorstellen sollen. Genau so, wie wir uns von den Seelen und vom Reich der Körperlosen kein wirkliches Bild machen können. Zwar gibt es bei uns wie bei den Seelen einige, die behaupten, einst anderswo existiert zu haben - aber die wenigsten können dir sagen, wie es dort war, und was sie erlebt haben. Denen aber, die davon erzählen, glaubt hier wie dort kaum jemand. Doch man hört  ihnen gerne zu, weil es so angenehm ist, Geschichten zu lauschen, die von etwas handeln, was man nicht kennt. Die Seelen wissen nicht, was es bedeutet ‚Eltern’ zu haben, denn Seelen haben keine Eltern, sie wissen nicht, was ein Baum ist oder das Meer, die Sonne‚ der Mond, der Himmel, das Weltall, Regen und Sturm. Trotzdem hören sie gespannt zu, wenn eine von ihnen davon berichtet, so, als sei sie schon einmal dort gewesen.
„Wenn ich einmal auf der Welt bin ...“ so sprechen die Seelen, eine zur anderen, und schweigen dann bedeutsam. Eines bestimmten Tages werden sie das Reich der Körperlosen verlassen und in den Körper eines gerade geboren Menschen schlüpfen, mit ihm eins werden. Dann sind sie auf der Welt. Sie werden Eltern haben und einen Namen bekommen. Werden ein Schicksal haben und die Liebe kennenlernen, Pefferkuchen essen und  Fußball spielen. Und am Ende, wenn ihre Zeit erfüllt ist, wird der Körper, in dem sie wohnen, sterben und sie selber werden wieder zurückkehren ins Reich der Körperlosen und dort so lange bleiben, bis sie alles vergessen haben. Dann erst dürfen sie wieder auf die Welt kommen. Und alles beginnt von vorne.

Eine noch junge Seele war tief beeindruckt von solchen Erzählungen und konnte sie gar nicht oft genug hören. Sie wartete voller Ungeduld darauf, all das Erstaunliche zu erleben. Wenn Seelen träumen könnten, sie hätte davon geträumt, wie es ist, einen Namen zu erhalten, denn das schien ihr das Erstrebenswerteste von allem. Ein Name, der aussagen würde, wer sie war.
Als die Seele wieder einmal sehnsüchtig darüber nachdachte, war ihr, als würde sie alles vergessen, was sie jemals gewußt hatte. Dann sprach ein wunderbares Wesen sie mit ihrem Namen an, und sie fühlte, daß sie angekommen war.
 
                                                              * * *
Die Erzählerin schwieg. Finn hatte gespannt zugehört, ohne sie zu unterbrechen. Gedankenversunken saß er da und knabberte an seinem Daumen.
„Na, hat dir die Geschichte gefallen?“, fragte die Dame.
Finn sah sie an und nickte. „Ja!“ antwortete er und fügte bestimmt hinzu, „ich weiß auch ihren Namen.“
„So, so“, sagte die Dame und lächelte, „da bin ich mal gespannt. Verrätst Du es mir?“
"Sie heißt Finn", sagte Finn.


Januar 2007
© sigrid kriener
 

                


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