madonnas schreibtisch

April / Mai 2012



Obwohl sich meine Aufregung  über die hier erzählte Begebenheit  mittlerweile gelegt hat, weil objektive Tatbestände dagegen sprechen und ich sie daher unter "unerklärlich" abgelegt habe, drängt es mich sie so aufzuschreiben, wie ich sie erlebt habe. Wozu etwas verdrängen, nur weil es vom Verstand her nicht begriffen werden kann? Ich neige nicht zum Esoterischen und suche da nicht nach Erklärungen. Ich will  einfach nur bestehen lassen, was für mich ein intensives Erlebnis war, einerseits wunderbar und andererseits irritierend, und weil mir dergleichen  zuvor noch nie passiert ist.


 


 




LOUISE B. ist dangereuse

 
 “I had a flashback
of something
that never existed.”
 (Louise Bourgeois)
 
Schon seit Wochen hatte die riesige Spinne, weithin sichtbar, auf dem Platz zwischen Hamburger Kunsthalle und Galerie der Moderne das Ereignis angekündigt  – die Ausstellung PASSAGE DANGEREUX von Louise Bourgeois. Diesmal sollte mir keine solche Schlappe passieren wie 1996 in den Deichtorhallen, bei meiner ersten Begegnung mit Bourgeois, wo ich wegen einer schwachen Kamerabatterie nur wenige Fotos machen konnte. Gleich am Eröffnungstag ging ich gut ausgerüstet zur Ausstellung. Zuerst fotografierte ich auf dem Vorplatz von allen Seiten die Spinne Maman.
Die Ausstellung hatte in diesen Morgenstunden nur wenige Besucher. Der zentrale, quadratische Saal lag im Halbdunkel. Im Schein der effektvoll platzierten Halogenlämpchen tauchten die Exponate wie weit auseinander liegende Inseln aus der Dämmerung auf.
 
Zunächst betrat ich jedoch den hellerleuchteten Raum gleich am Eingang mit der großformatigen Serie „À l’infini“, einer Reihe von vierzehn einander ähnlichen kolorierten Zeichnungen aus dem Jahr 2008. Ich war begeistert von der Schroffheit der schwarzen Linien auf weißem Papier und von der Spontanität der Überarbeitung mit Bleistift und Tempera, von der sparsamen Farbgebung, die sich beschränkte auf Nuancen von Schwarz und Rot bis hin zum Rosa. Zeichnungen von radikaler Entschlossenheit, große Skizzen, rasant und flüchtig, dabei leicht wie Wolken, die sich langsam zu immer neuen Formen wandeln. - Erstaunlich. Was für eine Leistung für eine Künstlerin in ihrem Alter! Die Bilder sind nur zwei Jahre vor ihrem Tod entstanden.  
 


Danach war ich bereit für das Dunkel in der Halle und die Passage dangereux. Mehrmals umkreiste ich die große Käfig-Installation, versuchte mit Hilfe meiner Kamera einzudringen, fühlte mich mal als Voyeur, mal als Gefangene. Trotzdem blieb da eine unüberbrückbare Distanz. Ich fotografierte sporadisch, denn die Beleuchtung ließ nur unpräzise Aufnahmen zu, die der Strenge des Objektes nicht gerecht wurden. Aber die vibrierende Unschärfe entsprach gleichzeitig der Dramatik der Inszenierung und der Spannung, die ich beim Betrachten empfand. Ich verbrachte eine Stunde oder länger in diesem Raum und ließ die Eindrücke „passieren“, ohne die alptraumhaften und widersprüchlichen Assoziationen zu bewerten oder Antworten zu suchen zu den Fragen, die sich stellten. Bei Bourgeois hatte mich schon früher weniger die Schönheit, als die Intensität und Vieldeutigkeit ihrer Arbeiten fasziniert.
Umso mehr überraschten mich die Werke in den hellen angrenzenden Kabinetten. Nie hätte ich sie Bourgeois zugeordnet. Kleinformatige Bilder aus Stoffen von Kleidern, die Künstlerin früher einmal getragen hatte.  Allesamt  Arbeiten aus ihren letzten Lebensjahren, verhalten und ästhetisch.
 „The waiting hours“ im ersten Kabinett zeigte in einer Folge von 12 Bildern aus Seide, das Verstreichen der Stunden vom Morgen bis in die Nacht.  Eine Meeresansicht als Patchwork aus Farbverläufen von Weiß zu Blau, vom hellsten Ton bis zum tiefsten Dunkelblau und Schwarz. Eher meditative Bilder als verstörende. Das war nicht die Bourgeois, die ich bis dahin gekannt hatte.
 

Im zweiten Raum verweilte ich länger, weil mir der Titel des Zyklus, „Ode à l’oubli“, sehr gefiel. Ursprünglich waren es Seiten in einem textilen Buch gewesen, die da an der Wand hingen. Auch diese Bilder waren abstrakt, Ornamente, einfache Muster, ohne gegenständlichen Bezug und ohne Titel, ebenfalls gefertigt aus früher getragener Kleidung. Genau wie im dritten Raum die „Fabric works“. Unverbindlich, so schien es mir. Aus dem Zyklus "Ode à l'oubli" stachen jedoch zwei Bilder hervor, beide auf Leinen gedruckt: „I had a flashback of something that never existed“  und „The return of the repressed“. Nur sie ließen vermuten, dass Charme und Unbeschwertheit der Motive zwiespältiger waren, als es auf den ersten Blick erschien.
Dann erst sah ich zwei Bilder, die etwas abseits hingen. Eines zog mich sofort in Bann: ein oranges Oval aus gekräuseltem, zartem Gewebe, transparent wie Chiffon, eingefasst von einem champagnerfarbenen feinmaschigen Netz auf Leinen. In der Mitte hatte das Oval einen eine schmale senkrechte Öffnung, deren Ränder blutrot gesäumt waren. Dies Motiv empfand ich nicht als so „harmlos“ wie die Nachbarbilder. Die Assoziation "Vagina" und Verletzung drängte sich geradezu auf. Ich wollte das Bild fotografieren, fand aber keinen Winkel, bei dem in der Verglasung nicht mein Spiegelbild oder das eines anderen Bildes sichtbar war. Also drückte ich nicht auf den Auslöser.
In der folgenden Zeit musste ich immer wieder an das Bild denken. Wegen der Eindeutigkeit der Assoziation schien es mir nicht zum Zyklus zu passen. Und es passte doch, wenn ich den Zusammenhang mit „The return oft he repressed“ bedachte.
Vier Wochen später war ich mit Freunden in der Ausstellung verabredet. Ich ging extra früher hin, weil ich das Bild – Spiegelung hin, Spiegelung her –  diesmal fotografieren und einen unverstellten Blick darauf haben wollte. Doch das Bild war nicht mehr da. Ich war irritiert, suchte die ganze Ausstellung danach ab, obwohl ich doch wusste, wo es gehangen hatte, erkundigte mich beim Aufsichtspersonal, ob ein Bild entfernt  oder umgehängt worden sei. Doch wen ich auch fragte, die Antwort war immer die gleiche. Nein. Es sei nichts verändert worden seit der Eröffnung. Vielleicht hätte ich das Bild woanders gesehen. Daraufhin fotografierte ich den Raum systematisch in der Hoffnung, die Kamera könne entdecken, was ich vermisste. Vergebens. 
Verunsichert durchstöberte ich die Bücher und Kataloge im Museums-Shop. In einem Buch fand ich ein Bild, ‚Don't swallow me‘, welches dem, das ich suchte, ähnlich war. Aber es war über einen Meter groß. Kein Kleines Format. Ich gab auf.
Inzwischen waren meine Freunde angekommen. Auch sie fanden die Geschichte, die ich aufgeregt erzählte, rätselhaft und fühlten sich an Hitchcocks Film „A Lady Vanishes“ erinnert.
 


         Don’t swallow me

 Zu Hause berichtete ich meinem Mann von dieser seltsamen Begebenheit.
„Das Bild kenne ich“, sagte er. „Ich habe es irgendwo schon einmal gesehen.“
Ich schaute ihn ungläubig an, hatte er doch noch keine einzige Ausstellung von Louise Bourgeois gesehen. „Wirklich“, beteuerte er. „Ich weiß nur nicht mehr wo.“ 
Fünf Tage später schrieb ich der Kuratorin von meinem Erlebnis und jagte  ihr damit einen gehörigen Schrecken ein.Die Antwort jedoch war, wie erwartet: „Alles in Ordnung. Sie müssen sich geirrt haben.“
Was blieb mir übrig, als den Spruch von Louise Bourgeois ernstzunehmen? 
“I had a flashback to something that never existed.“ 
   
“Ich habe diese Geschichte nicht erfunden“, schrieb ich einer Freundin.
„ Wie schade“, schrieb sie zurück

 

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