Anna
2002 Ich war mit MVS nach Worpswede gefahren zum 2.
Treffen der 'gruppe-vier-w:' Die Aufregung war nicht so groß , wie
im Jahr zuvor ,aber ich war doch gespannt auf die 'Neuen'
Anna
und Amygdala.
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Annas Gedichte hatten mich zunächst befangen gemacht, weil ich spürte,
daß zwischen ihr und mir eine Art emotionale Verwandtschaft geben
müsse. Sie schrieb, wie ich eigentlich schreiben wollte.
Mir gefiel ihre unverschnörkelte Sprache,
die bei aller Schlichtheit eine Art inneres Pathos besitzt, welches man
nicht an Worten oder Sätzen festmachen kann. Es vibririert. Vielleicht
ist Pathos der falsche Ausdruck - ich meine ein sehr starkes Gefühl, das
sich mitteilt in einfachen Worten.
Ihre Bilder sind nicht immer so einfach; wirken aber auch bei
Rätselhaftigkeit niemals 'aufgesetzt'. -
Während
MVS und ich auf Ankömmlinge warteten, kam Bernd Hutschenreuther auf uns
zu. Er hatte geschrieben, daß er diesmal mit seiner Frau käme, da sie
silberne Hochzeit hätten. Verständlicherweise hielt ich die Frau an
seiner Seite für die seine und begrüßte sie freundlich.
"Weißt
du wer ich bin?" fragte sie mich.
"Bernds Frau", antwortete ich.
" Ich bin Anna ", sagte sie.
Anna ist Autorin und Mitherausgeberin von:
text-für-text, Poesie & Prosa,
24 Autoren, vorgestelt von: Matthias von Schramm, Elke Moeller,
Dietrich Feldhausen, Sigrid Kriener
- ISBN 3-86901-001-0
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Die Korallenfängerin
manchmal sieht sie ein Schiff
vorbeiziehn und versinken
an einem Ort weit hinter ihrer Welt
manchmal kehrt eins zurück,
dann kommen auch die Vögel,
manche lachen
und manchmal, wenn die Nacht
voll Mond ist und der Wind noch leer,
dann ist sie vor den Wellen dort
und alles, was vom Tage übrig blieb,
fängt sie mit ihren Blicken ein
Blaue Reise
Sie sitzt am Fenster
und sie schaut
auf die bewegte Zeit,
Erwartung
legt sich auf die Haut
wie eine warme Decke.
Der Zug hält an
und sie steigt aus
im leichten Kleid.
Minuten später dann
entgleist ihr Tag
auf grader Strecke
die Reise der Äpfel
Ein heller Wind
geht schon seit Wochen
um das Haus
und legt mir Tag für Tag
ein Tuch aus fernen Gärten
vor die Tür.
Die ersten Stare sind zurück.
Am frühen Morgen
sitzen drei von ihnen
regungslos
im Apfelbaum,
noch stumm vom Winter
und vom Weg.
Nur einer
lärmt sich munter
in den neuen Tag
und sucht schon aufgeregt
unter dem alten Laub
die Sonne.
Vielleicht waren sie auch nie fort
Andromeda
Gedanken steigen wie aus einem Weiher,
verweben sich in deine fernen Schleier
aus Schwarz und Grau und milchigtrübem Weiß,
wollen mit Jupiter den Krebs durchstreifen,
im Kepheus nach dem roten Apfel greifen
und werden dann im Maul des Fischs zu Eis.
Jetzt sind die Nächte länger als die Tage,
die Venus wechselt in das Bild der Waage,
das Dreieck wird zum Viereck, wird zum Kreis
Julimond
Am Ende eines
tiefen
Tages
flicht der Hibiskus
seinen letzten
Duft
blauviolett
ins
Haar
der Nacht
und Spinnen
legen
blasse Seidendecken
auf die
Zeit
hell über allem
fern und
immer
Julimond
Septembermoond
Of dat al Harvst is,
dinkt se, he schient
so anners hüüt,
jüst so as domols,
as so vääl so anners
schienen dä ...
Un mit sien Licht
holt he ehr Güstern
ut dat Swiegen
un striekt de Ecken glatt
un leggt dat wiet
över de Bööm
un över de Hüüs
un wiest ehr Stroten,
de noch sünner
Nooms sünd.
In disse Nacht
schrifft se sik
in ehr Morgen
över en´n Moond
mit en´n Licht,
dat nodüstern deit
ünner de Huut.
Käferlachen
mit ihrem Finger
malt sie Sonnen auf die
beschlagene Scheibe des Fensters
so wie sie immer Sonnen malt
auf beschlagenes Glas
lauter lachende
Sonnen
nach einer Weile
krabbeln von den Strahlen
kleine Käfer die Scheibe hinab
und ertrinken unter den triefäugigen
Blicken hochbeiniger Spinnen
in den Pfützen auf
dem Rahmen
In Ambra
Im frühen Sand,
noch feucht von der Nacht,
entdecke ich zwischen
Muscheln und Tang
eine Träne der Freya,
perlend getragen
von flüssiger Zeit,
dunkel vom Licht,
matt vom Salz
und vom Wind.
Später erst,
weit fort vom Meer,
finde ich darin
die Sprache der Fische.
Matinee
Was für ein Fest!
Man lacht
und trinkt
an allen Tischen.
Aus einem
umgestürzten Glas
versickert
beinah unbemerkt
verbleites Rot
in einem Raum
dazwischen.
Komprimiert
Gestern verbrannte ich
das alte Jahr,
weil ich es nicht
begraben mag.
Nun passt die Asche
wunderbar
in eine Nacht
und einen achtel Tag.
Bin ein Sommer im Abend
Kurz hinter Cherbourg.
Helle Ränder auf den Tischen.
Schnittmengen von Stunden,
von Jahren.
Une cigarette?
Merci, mais je ne fume plus ...
Ein Lachen. Helle Augen.
Zuerst Kaffee, später Wein.
Erdiges rinnt die Kehle hinab.
Und Worte. Rot und leicht.
Encore un vin?
Anderes schenkt sich ungefragt ein.
Strömt ins Sonnengeflecht.
Und weiter. Wie Musik.
Ein Lied, Jacques Brel,
Je suis un soir d’ été ...
Ein Bart, der weich sein wird.
Das Schiff geht früh.
Wortkarges Licht. Ungefiltertes
zwischen den Laken. Über dem Bett
ein vergilbter Druck. Dürers Mutter.
Wieder ein Lachen. Am Fenster
ein letzter, tiefer Zug.
Im Foyer zwei Katzen.
Ein Mann mit müden Händen.
L'addition, s'il vous plait.
Es ist Tag.
Kurz hinter Cherbourg.
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