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DER HALBSTARKE
7. April 1992 Daniel Jacks wirkte schon auf den ersten Blick genau wie einer jener junger Männer, vor denen die Mütter ihre Kinder warnten. Cowboystiefel, verwaschene Jeans, eine alte Lederjacke und ein helles T-Shirt ließen ihn wie eine Neuauflage von James Dean erscheinen. Seine dunkle Sonnenbrille rundete das Bild ab. So lehnte er mit dem Rücken an einer Plakatwand, als würde er dazugehören. Wenn man ihn so sah, fühlte man sich unwillkürlich an eine Eidechse erinnert, die auf einem Stein lag und Sonnenenergie tankte. Den meisten Leuten aus der Umgebung viel er nicht mehr auf. Jonathan Walker zählte nicht zu dieser Sorte. Seit mehr als achtzehn Jahren betrieb er nun den kleinen Getränkemarkt, der schräg gegenüber der Kreuzung lag, an der Daniel immer stand. Er kannte die Leute aus diesem Viertel und wußte, daß dieser Kerl nichts Gutes im Schilde führen konnte. Kein anständiger Mensch konnte es sich leisten, jeden Nachmittag, an dem sich die Sonne sehen ließ, an eine Wand gelehnt seine Zeit zu vertrödeln. Nun gut, auch er hatte während seiner Jugend so manche Stunde unnütz vertan, aber nur irgendwo in der Gegend herumzustehen und so zu tun, als warte man auf den Bus, das war ihm im Traum nicht eingefallen. Anfangs hatte Jonathan noch gedacht, er würde vielleicht auf seine Kumpane warten. Aber der einzige Mensch, der sich regelmäßig mit ihm traf, war der Mann, der die Plakate aufklebte. Es entbehrte manchmal nicht einer gewissen Situationskomik, wenn auf dem Bild eine freundliche Dame mit ihrem Waschmittel in Hände herunterlächelte und dann ein schmuddeliger Halbstarker davor lehnte.
In
diesem Moment bemerkte Jonathan einen jungen Neger, der sich der
Plakatwand
und dem Mann davor näherte. Er konnte beobachten, wie sich die beiden die
Hände reichten und etwas untereinander austauschten. Als der Schwarze
verschwunden war, fragte er sich, was der da wohl getan hatte. Er sah
gerade noch, wie der Junge in seine Jackentasche griff und etwas
herauszog. Was das war, konnte er leider nicht mehr erkennen. Ein Kunde
betrat seinen Laden. Jonathan kannte ihn zwar nicht, aber er wünschte
sich jetzt schon, daß es mehr Leute dieser Sorte gäbe. Er war sauber
gekleidet und frisch rasiert. Der alte Walker wußte sofort, was dieser
Mann wollte. So packte er sein freundlichstes Grinsen aus, als er ihn
ansprach. "Volltreffer!
Ich bewundere ihre Menschenkenntnis. Ich bin auf der Suche nach einem
wirklich guten Brandy." Das
war genau das, was er hören wollte. Er setzte gerade an, dem Fremden zu
sagen, wo er die gewünschte Flasche finden konnte, überlegte es sich
dann aber anders und stand selbst auf. Normalerweise verließ er seinen
Platz hinter der Kasse und vor allem hinter der dazugehörigen
Schrotflinte nicht, solange Kunden in seinem Laden waren, aber bei einem
so ehrlich wirkenden Mann konnte er schon mal eine Ausnahme machen. "Oh,
das ist die Lieblingsmarke meines Schwagers", meinte der Fremde und
strahlte dabei über das ganze Gesicht, so als ob er gerade eine brennende
Glühbirne verschluckt hätte. Dann nahm er die Flasche, die inzwischen in
eine braune Papiertüte gewandert war, entgegen und bezahlte mit einer
Hundert-Dollar-Note. Jonathan
verstaute den Schein in seiner Kasse und gab das Wechselgeld zurück. Er
konnte es sich aber nicht verkneifen, noch einen guten Ratschlag
loszuwerden. "Sie
sollten sich vorsehen, wenn sie mit so viel Bargeld auf der Straße
herumlaufen. Vor allem um den Kerl auf der anderen Seite der Kreuzung würde
ich einen großen Bogen machen. Ich habe schon ein paar mal gesehen, wie
ihn die Polizei mitgenommen hat." "Ah
ja. Vielen Dank. Ich werde ihren Rat gerne befolgen. Man kann heutzutage
gar nicht vorsichtig genug sein. Schönen Tag noch!" Jonathan
bedankte sich und erwiderte den Gruß. Als er wieder zu seinem speziellen
Freund hinüberschaute, sah er, wie gerade ein Polizeiwagen hielt und
einer der Beamten heraussprang. Der Blonde wurde am Arm gepackt und zum
Auto geführt. Alles sah genauso aus, wie man es vom Film her eben kannte.
Das einzige, was fehlte, waren die Handschellen, aber der Kerl hatte
bisher noch nie Widerstand geleistet, so daß man anscheinend darauf
verzichten konnte. Verzichtet hatte man auch auf das Durchsuchen nach
Waffen, was Jonathan jedoch nicht auffiel. Er schaute dem Streifenwagen
nach, als er um die Ecke bog und im Verkehrsgewühl verschwand. Dabei
blieb sein Blick an einem großen Barspiegel hängen, den er neben der
Eingangstür angebracht hatte. Dahinter verbarg sich das Loch, das er dort
mit seinem Gewehr hinterlassen hatte. Nie würde er den Tag vergessen, als
die beiden Kerle mit ihren Brechstangen hereingekommen waren und ihm den
Schädel einschlagen wollten. Damals hatte er zum ersten- und bisher auch
einzigen Mal auf einen Menschen geschossen. Er hatte darauf vertraut, daß
die Schrotflinte unter seiner Kasse genug Streuung hätte, um damit auch
mit einem ungezielten Schuß zu treffen. Damit war er gründlich im Irrtum
gewesen. Auf eine Distanz von weniger als vier Metern hatte die Munition,
die er geladen hatte, ein etwa faustgroßes Loch hinterlassen; allerdings
nicht in den Einbrechern, sondern in der Wand daneben. Zu seinem Glück
stand auf der anderen Seite ein Stahlschrank, der die Kugeln aufgehalten
hatte. Ansonsten hätte der Spielwarenladen nebenan wohl keinen so
kinderfreundlichen Eindruck mehr gemacht. So aber hatte er eines seiner
Regale waidgerecht erlegt und die Räuber so geschockt, daß sie sich
augenblicklich ergaben. Sie hatten seine für einen Außenstehenden
recht gekonnt wirkende Aktion wohl eher als "Warnschuß vor den
Bug" verstanden und schienen sichtlich froh zu sein, als die Polizei
sie in Gewahrsam nahm. An ihre Gesichter konnte sich Jonathan nicht mehr
erinnern, aber er wußte noch genau, daß sie beide schwarze Lederjacken
getragen hatten. Als
es draußen dunkel wurde, schloß er zufrieden seinen Laden ab. Der
Halbstarke war wieder einmal hinter Schloß und Riegel und ein
freundlicher junger Mann gönnte sich jetzt vielleicht gerade einen guten
Brandy. Einen Brandy, den er mit einer falschen Hundert-Dollar-Note
bezahlt hatte, aber das sollte Jonathan erst sehr viel später bemerken. Am
nächsten Morgen wachte Jonathan ein wenig zufriedener als sonst auf. Das
mochte wohl daran liegen, daß der Junge von der Plakatwand wieder
einmal eingebuchtet worden war. Im Grunde genommen war das sein Verdienst.
Er war es gewesen, der die Polizei schon vor Monaten auf einen verdächtigen
Jugendlichen hingewiesen hatte. Er war schon mehrmals von einem
Streifenwagen abgeholt worden, aber man hatte ihn anscheinend nie überführen
können, da der Kerl immer schon am nächsten Tag wieder an seinem
gewohnten Platz stand und seine Drogen verkaufte, denn um nichts anderes
konnte es sich bei dem handeln, was er aus seiner Jackentasche zog und den
Leuten gab, die ihn ansprachen. Vielleicht hatte der Junge ja
einflußreiche
Freunde, die ihn aus dem Knast herausholen konnten. Als
der alte Getränkehändler an diesem Morgen aufwachte, beschloß er, die
Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sollte der Kerl heute wieder vor
dieser Plakatwand lehnen, dann würde er ihn höchstpersönlich von
selbiger vertreiben. Er malte sich in Gedanken bereits aus, wie er vor dem
Burschen stand und dieser sein Springmesser oder welche Waffe er auch
immer tragen mochte, aus seiner Jacke zog und damit auf ihn losging. Dann
würde er nur kaltlächelnd seine Schrotflinte hinter seinem Rücken
hervorholen und diesen Kriminellen so voll Blei pumpen, daß zwei Füße
nicht mehr ausreichen würden, um sein Gewicht noch zu tragen. Vielleicht
würde er ihm auch nur eins mit dem Gewehrkolben überziehen und ihn
dann wegen Mordversuchs anzeigen. Andererseits war es womöglich auch ein
wenig voreilig, gleich so brutal zu Werke zu gehen. Diese Jugendlichen
waren oft raffinierter, als man glaubte. Er selbst hatte schon von Fällen
gehört, in denen sie andere durch zweideutige Gesten zu Angriffen
verleitet und später die armen, mißhandelten Kinder gespielt hatten.
Er beschloß, dieses Thema erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Sollte
der Junge ihn angreifen, würde er sich schon zu helfen wissen; egal ob
nun bewaffnet oder nicht. Kurze
Zeit später öffnete Jonathan seinen Laden. Beim Hochziehen des schweren
Eisengitters hatte er jedoch leichte Schwierigkeiten. Er hatte sich
gerade eben seine Finger an der heißen Herdplatte verbrannt. Damit hatte
seine Stimmung ein Niveau erreicht, das sich knapp unterhalb der Grasnabe
befand. Entsprechend freute er sich über seine ersten "Kunden".
Es handelte sich dabei um drei junge Männer, die etwa um die siebzehn
Jahre alt sein mochten. "Guten
Morgen, wir hätten gerne eine Flasche Whiskey." "Hey
Jungs, ihr wißt genau, daß ihr zu jung seid, um Alkohol zu kaufen." "Wir
sind alt genug, um zu wissen, was wir trinken wollen, alter Mann, also
mach keinen Aufstand und stell` eine Flasche auf den Tisch. Wir bezahlen
schließlich auch dafür. Es braucht ja keiner zu erfahren." "Alles
was ihr von mir bekommen könnt, ist eine Limonade oder eine Tracht Prügel.
Also macht, daß ihr verschwindet." Einer
den Jungen macht Anstalten, ein Messer zu ziehen, ließ aber schleunigst
davon ab, als Jonathans Hände unter der Theke verschwanden und mit der
Schrotflinte wieder hervorkamen. Als die Fronten auf diese Weise geklärt
waren, verzogen sich die Drei, jedoch nicht ohne einige freundliche Grußworte
zu hinterlassen, in denen sie den Ladenbesitzer mit seinem verlängerten Rückgrat
verglichen. Der
alte Walker hatte nicht sonderlich viel Zeit, sich über diese Äußerungen
zu ärgern. Schon wenig spät wurde er von seiner Stammkundschaft in
Beschlag genommen. Er wurde umfassend über alle Geschehnisse in der
Nachbarschaft informiert, ob ihm das nun paßte oder nicht. Aber das war
ihm immer noch erheblich lieber, als von halbwüchsigen Möchtegern-Säufern
angepöbelt zu werden. Der
hektische Betrieb flaute erst zum Mittag hin ab, so daß Jonathan froh
war, ein wenig aus dem Fenster schauen zu können. Irgendwie kam ihm die
Plakatwand schon richtig kahl vor ohne den Halbstarken. Aber heute würde
er hier wohl kaum auftauchen, nachdem er erst gestern verhaftet worden
war. Bei diesem Wetter würde ihn das wohl besonders ärgern. Der leichte
Windhauch, der durch die Straßen wehte, schien wie geschaffen, um die
Sonnenseite des Lebens (oder der Plakatwand) zu genießen. Dieser
Meinung war wohl auch das bildhübsche Mädchen, das in diesem Moment an
seinem Fenster vorüber ging. Einen Augenblick ließ er sich fesseln von
ihrem anmutigen Hüftschwung und wünschte sich, noch einmal Zwanzig zu
sein. Sein Blick folgte ihr, als sie die Straße an der Kreuzung überquerte.
Nach einigen Schritten blieb sie plötzlich stehen, und der alte Walker
rieb sich ungläubig die Augen, als er den Grund ihres Anhaltens erkannte.
Neben dem Mädchen lehnte, mit dem Rücken an der Plakatwand, der
Halbstarke und schien sich mit ihr zu unterhalten. Jonathan stieß eine
wüste Beschimpfung hervor. Anscheindend hatte es der Kerl wieder einmal
geschafft, sich durch die Maschen des Gesetzes zu winden und noch dazu
hier aufzutauchen, ohne daß er
es gesehen hatte. Ihm wurde bewußt, daß er das eigentlich noch nie
gesehen hatte. Jonathan nahm sich vor, in den kommenden Tagen einmal
genauer darauf zu achten. Zunächst aber galt seine ganze Aufmerksamkeit
dem hübschen Mädchen und dem Jungen mit der Sonnenbrille. Der griff
gerade in seine Lederjacke und zog etwas heraus, das er dem Mädchen
zeigte. Er hantierte ein wenig damit herum, zeigte es dem Mädchen erneut
und ließ es dann wieder in seiner Jacke verschwinden. Als er seine Hände
jedoch ihrem Gesicht entgegenstreckte, platzte Jonathan der Kragen. Er stürmte
zur Tür, drehte das "Komme gleich wieder" - Schild um, und schloß
seinen Laden zu, um in Richtung Plakatwand loszueilen. Das Mädchen
verschwand allerdings, noch bevor er die Wand erreichen konnte. Dadurch
ließ sich Jonathans aufgebrachtes Gemüt aber nicht mehr beruhigen. Mit
leicht gerötetem Gesicht baute er sich vor dem jungen Mann auf. "Das
könnte dir so passen; hier auf offener Straße Mädchen belästigen. Das
Eine merk` dir: Solange ich in dieser Gegend wohne, werde ich dafür
sorgen, daß du die Leute hier in Frieden läßt." Daniel
machte Anstalten, in seine Jacke zu greifen, wurde aber jäh von einem
erneuten Wutausbruch seines Gegenübers gestoppt. "Laß
deine Hände ja da, wo ich sie sehen kann, oder ich verabreiche dir die
Tracht Prügel, die dir deine Eltern schon lange hätten geben sollen.
Such dir lieber eine anständige Arbeit, anstatt den ganzen Tag nur in der
Sonne zu stehen und herumzugammeln. Jetzt hat es dir die Sprache
verschlagen, wie? Hast wohl gedacht, ein alter Knacker wie ich hätte
Angst vor dir. Da hast du dich aber getäuscht. Jetzt mach, daß du
verschwindest, und laß dich so bald nicht wieder blicken." Daniel
Jacks schlug seine Jacke zurück, um nach einem glänzenden Metallzylinder
zu greifen, der an seinem Gürtel hing. Aber der alte Walker war
schneller. Er entriß Daniel den Gegenstand und wollte gerade wieder
anfangen zu schimpfen, als ihn das Geräusch von brechendem Glas
herumfahren ließ. Es kam aus der Richtung seines Ladens, und in der Tat
konnte er gerade noch die drei Jugendlichen von heute morgen erkennen, wie
sie mit Baseballschlägern um die Ecke verschwanden. Vom Schaufenster
seines Ladens war nur noch ein Haufen Scherben übrig. Rasend vor Zorn überquerte
er die Kreuzung, ohne auf die hupenden Autos zu achten, die wegen ihm
bremsen mußten. Aber hier zeigte Jonathan das Alter seine Grenzen auf.
Keuchend blieb er nach ein paar Metern stehen und verfluchte die
verkommene Jugend aufs Herzlichste. Als er sich umdrehte, um wenigstens
dem Halbstarken seine Lektion zu geben, war auch dieser verschwunden. So
ging er zu seinem Laden zurück, um den Schaden zu begutachten. Unterwegs
untersuchte er den Metallstab genauer, den er gerade eben in seinen Besitz
gebracht hatte. Er war sich nicht recht darüber im Klaren, was der Junge
damit hatte anfangen wollen. Erst auf den zweiten Blick bemerkte er den
Druckknopf, bei dessen Betätigung aus dem unscheinbaren Stab ein ca.
120 cm langer Teleskop-Stock wurde. Jonathans Augen leuchteten auf. So
etwas hatte er schon einmal in einem dieser Kung-Fu Filme gesehen.
Vielleicht war das der Polizei endlich Beweis genug für die Gefährlichkeit
der Jungen. Für den heutigen Tag hatte er genug Aufregung gehabt, aber
gleich morgen würde er den Vorfall melden. Ein Krankenwagen, der mit
heulenden Sirenen an seinem Laden vorüberfuhr, schreckte ihn aus seinen
Gedanken und erinnerte ihn daran, daß er noch jede Menge Glas vom
Gehsteig zu kehren hatte. Am
nächsten Vormittag betraten zwei Polizisten Jonathans Laden, um die
Beschreibung der Jugendlichen aufzunehmen, die sein Fenster zertrümmert
hatten. Der alte Walker kannte die beiden schon flüchtig. Sie hatten sich
schon ab und zu eine Erfrischung bei ihm besorgt; alkoholfrei, versteht
sich. Während sich der eine im Hintergrund hielt, stellte sich der andere
als Officer James Beam vor. Ihm erzählte Jonathan von den Ereignissen des
Vortags, verzichtete aber noch darauf, den Halbstarken zu erwähnen. Das
wollte er sich als krönenden Abschluß aufbewahren. Er konnte aber nicht
umhin, zu bemerken, wie sich die Miene Beams immer mehr verfinsterte.
Schließlich packte Jonathan die Neugierde. "Sie
scheinen nicht gerade begeistert von diesem Einsatz zu sein." "Das
stimmt allerdings. Es hat jedoch nichts mit ihnen persönlich zu tun. Es
ist nur so, daß gestern gleich hier um die Ecke ein guter Freund von uns
überfahren wurde. Das hat alle im Revier ganz schön mitgenommen." "Ein
Kollege von ihnen?" fragte der Ladenbesitzer mitfühlend. "Nein,
kein Polizist, sondern ein begabter junger Musiker hier aus der Gegend. Er
war oft bei uns und hat manchmal die ganze Nacht über gespielt. Er hat
sogar Kassetten für die Jungs von der Straße aufgenommen. Vielleicht
kennen sie ihn sogar. Schwarze Lederjacke, Jeans, stand immer dort drüben
an der Plakatwand." Jonathan
wurde ziemlich mulmig bei dem Gedanken, daß es sich dabei nur um den
Halbstarken handeln konnte. So mußte er erst den Kloß in seiner Kehle
herunterschlucken, ehe er weitersprechen konnte. "Ach
ja, jetzt erinnere ich mich. Ein freundlicher junger Mann. Ich habe mich
ab und zu mit ihm unterhalten." Es
war wohl Jonathans Aufregung zuzuschreiben, daß er das leichte
Stirnrunzeln des Beamten nicht bemerkte, als dieser weiterredete.
"Ich muß gestehen, das verwundert mich ein wenig. Ich kannte ihn
eigentlich nicht so gesprächig." "Nun,
er hatte wohl Vertrauen zu mir." Jonathan kämpfte immer noch damit,
die Fassade des unbeteiligten Zuschauers aufrecht zu erhalten und hoffte,
daß die beiden Polizisten möglichst bald zu einem dringenden Einsatz
gerufen wurden. Aber anscheinend hatte zu diesem Zeitpunkt niemand Lust,
eine Straftat zu begehen. "Dann
wissen sie wohl auch, daß ihn sein Vater manchmal verprügelt hat, als
er noch ein kleiner Junge gewesen war." "Sicher.
Er hat einmal beiläufig darüber gesprochen. Aber das ist schon eine
ganze Weile her." "War
Daniel oft in ihrem Laden?" "Nein,
nein, er kaufte hier nur gelegentlich ein." "Er
hat aber nicht zufällig bei einer dieser Gelegenheiten seinen Stock in
ihrem Laden vergessen, oder? Meine Kollegen haben ihn nicht an der
Unfallstelle gefunden." "Das
hat er in der Tat. Er war erst vor ein paar Tagen hier. Da hat er ihn
liegengelassen." "Hat
er ihnen da auch seinen Übersetzungscomputer vorgeführt? Das ist ein Gerät
etwas größer als ein Taschenrechner, in den man ein Wort eintippen kann,
und der Computer..." "...
und der Computer übersetzt es in eine andere Sprache. Ich weiß, ich weiß.
Er hat ihn mir gezeigt und ausführlich demonstriert. Ein äußerst
praktisches Gerät." "Und
ein sehr vielseitiges noch dazu. Für jemand, der stumm ist, ist das eine
einfache Möglichkeit, sich bei Menschen, die die Gebärdensprache nicht
beherrschen, verständlich zu machen." "Das
scheint in der Tat naheliegend zu sein," meinte Jonathan, der sich
durch die Fragen des Beamten zunehmend in die Enge gedrängt fühlte.
"Wenn sie mich jetzt wohl bitte entschuldigen würden, ich habe noch
eine Menge zu erledigen." Jonathan betrachtete das Gespräch damit
als beendet. "Selbstverständlich.
Wenn ich sie noch um Daniels Stock bitten dürfte, damit wir ihn seinem
persönlichen Eigentum zufügen können?" "Aber
natürlich. Konnte er eigentlich damit umgehen; mit dem Stock meine
ich?" "Garantiert;
ebensogut wie mit dem Computer." "Dann
hat er wohl sehr eifrig trainiert, nicht wahr?" "Von
Kindesbeinen an. Tag für Tag. Sein Vater hat ihn einmal, nur weil er
nicht gleich zu schreien aufgehört hatte, geschlagen, bis er bewußtlos
wurde. Er zog sich damals eine schwere Kopfverletzung zu, und seit er
damals aufgewacht ist, hat er kein Wort mehr hervorgebracht." "Und
diesen Stock hat er nun zur Selbstverteidigung, ich verstehe."
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