sie sind so
lebendig
ich habe sie aufgenommen vom sand.
ich komme der steine wegen in diese bucht.
alle denken, sie schweigen. ich trage sie
zum südbalkon, wo sie rufen, wo sie klagen.
ich tröste sie, das gibt mir kraft. ich halte mich
an ihrem warmen leib fest. sie träumen schwer.
sie vermissen die möwen, meine worte fliegen.
vom wasser, das kommt und geht, wollen sie
nichts wissen. ich bin jetzt ihre ebbe, ihre flut.
täglich übe ich die langgezogenen schreie.
mit dünnen trägern
hängt ein hemdchen auf dem wartesitz.
es geht der wind geht hinein, der weiße stoff
faltet sich auf, hebt rund die brust, die männer
kriegen freieraugen. ich warte, analytisch
dies „als ob“ betrachtend und die angestaute
luft wie atem, seufzen, das zusammenfallen
dann der lust. wie wenig braucht es doch,
den dingen leben einzuhauchen, denke ich,
wie viel schenkt uns die kunst der phantasie.
vogelverkünden
in der dämmerung singt ein irrgläubiger
vogel, als läge der mai versteckt
unterm grau dieser weihnacht. es sticht
mir die wahrheit in der brust. wir sitzen
im licht des baums, das neugeborene
schläft und eine ruhe geht über alle narben,
dass ich mich seinem vertrauen anschließe,
dass ich diesen tag festhalte,
an dem ich lebendig bin, an dem die amsel
singt in der kälte, eine, die sehen kann
und verkünden.
Hainbuchenhecke im Frühjahr
Ein jedes Ding hat seine Zeit,
und Orte ändern Duft und Namen.
Kein zweites Mal streift Blick denselben Stein.
Der Mai lebt schnell. Und die Libelle
beschleunigt für den Stillstand Flügel.
Ein Windhauch pendelt Takt zum Wandeln, Werden:
Das trockne Blatt des Herbstes rührt
an junges Grün. Begegnung - Knistern.
Und funkelnd, einen Atem lang, blitzt Tau.
Lindenblüten
nachts im traum beiße ich
mir die zähne aus
ich gleiche den schwarzen
witwen der spanischen berge
tunke milchbrot in dünnen kaffee
alles wandelt sich und ich werde
haare lassen aber es bleibt
die beständigkeit der linden-
blüten ihr duft in meiner brust
eine wiederkehrende unruhe
eine sommersehnsucht
ein neubeginn ein leichentuch
ein himmelsweit ein engelssüß
die alten weiber steigen
über die jakobsleiter und kehren
mit beweglichen gliedern zurück
Alle Texte auf dieser Seite
© Bess Dreyer
|