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Melvin - melvinhaze

RAUBER   Kommentarverlauf
im Forum text-fuer-text

 

 

  10.02.2004
melvinhaze



Rauber

Fort im Doben raubt der Geler,
Einer, der die Raben lehrt,
Intribut im Wesen kehrt;
Blind im Neigen vor dem Stehler,

Und bedagt in reinem Zell,
Lässt er recht von zielen Deifen,
Sieht den Fimm durch glaste Reifen,
Laumt ihn ein mit grindem Well,

Dort instimmt im lauten Weit.
Wollte saumen auf Gelust,
Da der Game sandig grust:
„Heiler Weile fehlt die Zeit.“

So beraubt der alte Zinner
Auf den Gamen, der ergastet:
„Sag wohin das Weile hastet.“
Im zeluten Wandgestinner,

Und bedagt nun mehr von Zahm,
Findet kein Begall den Stunder;
Einer drimmt den Sohl am Funder,
Und der Dronte wog am Stahm.

  




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11.02.2004
Anna

Re: Rauber
Kann mir das mal jemand ins Plattdeutsche übersetzen? :-)


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11.02.2004,
madonna

Kann mir das mal jemand ins Plattdeutsche übersetzen?

nicht ins Plattdeutsche aber ins Kauderwelsch. ;-)

Hier jetzt frei übersetzt das Gedicht.
Es handelt vom Altwerden vom Verlust der Kräfte
und des Einflusses und davon, dass die Zeit unser aller Meister ist.

frei übersetzt:


Dort (im) Droben raubt der Geler,
einer der die Raben lehrt
Intribut - was ihrem Wesen grundverkehrt
doch sie neigen blind sich vor dem Stehler.

Und betagt im sauberen Gefieder,
Lässt er nun sein zielend Kreisen sein
Sieht den fernen Himmel durch verglaste Reifen
mit 'nem Wall aus Schorf, zäunt er ihn ein

Stimmt ein Liedchen an ins Weit,
Will laut singen nach Gelüste,
Da vom Turme grüßt ihn eine Stimme rauh wie Sand
„Heiler Weile fehlt die Zeit.“

So beraubt, der alte Zinner
Auf dem Turme, wo er Gast ist:
„Sag wohin das Weile hastet.“
in der (Wand)Uhr aus Zelluloid

Und betagt nun mehr von Zahm,
Findet kein Gefallen an den Stunden
Einen Fuß, den hat er fest am Boden
Und den anderen angezogen


Dies hier sind natürlich nur Assoziationen - keine außer hier existierenden Wörter .

Geler (der große Vogel)- (gr. Segler) (Geyer)
Intribut - Abgaben
verglaste Reifen(durch die Brille)
Well - Wall-Mauer
Game -Turm
Zelut - aus zelluloid
Zahm (Alter) - gezähmt vom Alter
(dem alte Vogel auf den Zinnen wurde die Zeit geraubt)
Begall (Gefallen)

Funder - Boden
Dronte - den anderen
am Stamm -zu sich heran gezogen
Sohle – Fuß

 

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12.02.2004
Anna

Ey, das find ich ja klasse, was du da draus gemacht hast, Donna :-)


Melvin, ist das von dir als Experiment angelegt, um zu sehen, was da so beim Leser rauskommt?
Das Gestaltungsprinzip, mal unterstellt, dass es eins gibt, hab ich hier noch nicht durchblickt,
aber es hat eine ganz eigene Stimmung und ist ausgesprochen assoziativ ...

LG, Anna B.


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12.02.2004
melvinhaze


hi ihr,

madonna, ich muss dich loben...viele der assoziationen sind mir nicht fremd. wenn ich nun
mal eins verrate...es geht in der tat um eine art räuber und um ein verblassen im dialog.

und frau blume,
ein experiment ist es wohl, aber so war es nicht von anfang an geplant. aber es gibt ein gestaltungsprinzip...wenn auch kein konventionelles fürchte ich. hab mir vielleicht mehr dabei gedacht, als es den anschein macht ;-)

gruß melvin


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12.02.2004
nikola


das gedicht wird immer interessanter, je öfter man es sich durchliest. es sieht leicht aus
und ist schwer zu verstehen. aber eigentlich doch ganz einfach, wenn man sich drauf einlässt.
wie schwierig es ist, so etwas zu schreiben, sehe ich erst jetzt, wo ich es auch versucht habe. vielleicht klappt es ja doch noch

nikola


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13.02.2004
Anna

und frau blume,
ein experiment ist es wohl, aber so war es nicht von anfang an geplant. aber es gibt ein gestaltungsprinzip...wenn auch kein konventionelles fürchte ich. hab mir vielleicht mehr dabei gedacht, als es den anschein macht


Na gut, Herr Hase, dann nehm ich das - wie geplant- als Herausforderung ... :-)

Blumigen Gruß, Frau ApunktBpunkt


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14.02.2004
Trist



Hi Melvin,

zunächst: ich fühle mich doch arg an meine Aphasie Patienten erinnert und Madonna sollte sofort eine Umschulung zur Logopädin machen, so begabt wie sie sich hier im Umgang mit Neologismen und Paraphasien zeigt.

Aber nicht nur, weil ich täglichen Umgang mit Wortneuschöpfungen habe: Hier wird´s mir zuviel. Das ist persönlicher Geschmack, mehr nicht. August Stramm übrigens, der recht groß darin war, gehört auch nicht zu meinen Lieblingen des Expressionismus. Böse Zungen nannten ihn gar den "Stammler"...

:-)
Lieben Gruß von
Trist


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14.02.2004, 20:39 Beitrag: #10
melvinhaze


hi trist,

vielleicht sind solche texte geschmackssache. und als markenzeichen finde ich so etwas selbst ein wenig arm.
mir ging es auch eher um den kampf gegen einen gedachten intersubjektivismus (eine meiner liebsten zeitvertreibe). expressionismus (oder gar dada) hatte ich hier nie im sinn.

ich liebe texte, die spalten ;-)

gruß melvin


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14.02.2004
madonna


... Madonna sollte sofort  eine Umschulung zur Logopädin machen, so begabt wie sie sich hier im Umgang mit Neologismen und Paraphasien zeigt.

Danke für die Lorbeeren, Trist, aber sie gebühren mir nicht allein. :-)
Eine Kollegin "Nachtigall" ist voran geschritten.
Sie hat ebenfalls eine sehr schöne Version abgeliefert.

Dir auch , liebe Anna,
dank für das Lob.
Mit einer guten Vorlage komme selbst ich wieder in die Puschen :-)


Hallo Melvin,
ich finde Dein Gedicht zauberhaft.
Es hat stark reanimierend auf mich gewirkt.

lieben Gruß
madonna


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15.02.2004
Tommy Gärtner

ich liebe texte, die spalten ;-)

Und ich dachte, das wäre Leos Spezialität ;-)

Nein, aber mal im Ernst: was soll da spalten? Neu ist diese Technik ja wohl nicht, Sprache so zu verwenden, daß sie ähnlich klingt- wie etwas, das man zu kennen glaubt, während es sich im Grunde um neue Wörter mit unbekannter Bedeutung handelt, die nur vom Assoziationskontext leben, vom "Ähnlichklingen".

Meine Assoziationen beim Gedicht "Rauber" sind die, welche schon benannt wurden: es geht um Zeit und um deren Entwendung. Da fallen, je nachdem, welche privaten Assoziationen man mit "Zeit" verbinde, solche Redewendungen ein wie "jemandem die Zeit stehlen", "keine Zeit", "wir haben nicht zuwenig Zeit, wir vergeuden zuviel" (Seneca), usw.usw. Die ganze Palette einschlägig bekannter Redewendungen. Sprichwörter, Alltagsweisheiten.

"Und bedagt nun mehr von Zahm,
Findet kein Begall den Stunder;
Einer drimmt den Sohl am Funder,
Und der Dronte wog am Stahm.
"

Finde es überflüssig (und vermutlich aussichtslos), jetzt jede Zeile interpretieren, "in unsere Sprache" übersetzen zu wollen. Es ist eben ein Spiel, ein Spachspiel, das mich an "Alice im Wunderland" erinnert. Auch dort geht es um Sprache. Hier mal der entscheidende Dialog mit Goggelmoggel:


"Ich verstehe nicht, was Sie mit 'Glocke' meinen", sagte Alice. Goggelmoggel lächelte verächtlich. "Wie solltest du auch - ich muss es dir doch zuerst sagen. Ich meinte: 'Wenn das kein einmalig schlagender Beweis ist!'"

"Aber 'Glocke' heißt doch gar nicht 'einmalig schlagender Beweis'", wandte Alice ein.

"Wenn ich ein Wort gebrauche", sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, "dann heißt es genau, was ich für richtig halte - nicht mehr und nicht weniger."

"Es fragt sich nur", sagte Alice, "ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann."

"Es fragt sich nur", sagte Goggelmoggel, "wer der Stärkere ist, weiter nichts."
(Lewis Carroll, "Alice im Wunderland", 1865.)


Die Bedeutung eines Wortes, einer Wortkombination, eines Satzes liegt in seinem Gebrauch. Der Lyriker ist in diesem Forum immer der Stärkere :-) , denn er gebraucht Worte, mehr oder weniger abweichend vom konventionellen Gebrauch, so, wie ihm das angemessen erscheint in Bezug auf sein Kunstprodukt. Wer wollte Goggelmoggel etwas entgegen halten, wenn er folgendes Gedicht vorträgt (und daran hat mich "Rauber" stark erinnert):



Der Zipferlake

Verdaustig wars, und glasse Wieben
Rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.

"Hab acht vorm Zipferlak, mein Kind !
Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr !
Vorm Fliegelflagel sieh dich vor !
Dem mampfen Schnatterrind !"

Er zückt' sein scharfgebifftes Schwert,
Den Feind zu futzen ohne Saum,
Und lehnt' sich an den Dudelbaum
Und stand da lang in sich gekehrt,

In sich gekeimt, so stand er hier :
Da kam verschnoff der Zipferlak
Mit Flammenlefze angewackt
Und gurgt' in seiner Gier.

Mit eins! und zwei! und bis aufs Bein !
Die biffe Klinge ritscheropf !
Trennt er vom Hals den toten Kopf,
Und wichernd sprengt er heim.

"Vom Zipferlak hast uns befreit ?
Komm an mein Herz, aromer Sohn !
O blumer Tag ! O schlusse Fron !"
So kröpfte er vor Freud.

Verdaustig wars, und glasse Wieben
Rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.


Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln



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15.02.2004
Trist


Genialer Hinweis Tommy, der Ordner macht Spaß!!!

Jabberwocky. Ich habe ariadna noch rezitierend im Ohr :-)

Zum besseren Vergleich diese Version auf Deutsch:



Der Jammerwoch

Es brillig war. Die schlichte Toven
Wirrten und wimmelten in Waben;
Und aller-mümsige Burggoven
Die mohmen Räth' ausgraben.

Bewahre doch vor Jammerwoch!
Die Zähne knirschen, Krallen kratzen!
Bewahr' vor Jubjub-Vogel, vor
Frumiösen Banderschnätzchen!

Er griff sein vorpals Schwertchen zu,
Er suchte lang das manchsam' Ding;
Dann, stehend unten Tumtum Baum,
Er an-zu-denken-fing.

Als stand er tief in Andacht auf,
Des Jammerwochen's Augen-feuer
Durch tulgen Wald mit wiffek kam
Ein burbelnd ungeheuer!

Eins, Zwei! Eins, Zwei! Und durch und durch
Sein vorpals Schwert zerschnifer-schnück,
Da blieb es todt! Er, Kopf in Hand,
Geläumfig zog zurück.

Und schlugst Du ja den Jammerwoch?
Umarme mich, mien glänzlich Kind!
O Freuden-Tag! O Halloo-Schlag!
Er chortelt froh-gesinnt.

Es brillig war. Die schlichte Toven
Wirrten und wimmelten in Waben;
Und aller-mümsige Burggoven
Die mohmen Räth' ausgraben.



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15.02.2004
melvinhaze
ja, der jabberwock,

ich mag diesen vergleich nicht, aber er drängt sich auf. allerdings: ich mag den jabberwock gern...als übersetzung taugt jedoch m.E. die version, die tommy zitiert hat, noch am ehesten.

hier ein link, der um den jabberwock geht; dort gibts auch zwei übersetzungen von bernd hutschenreuther und eine von mir:

http://2037.rapidforum.com/topic=100987774559">http://2037.rapidforum.com/topic=100987774559
(Leider steht das nicht mehr online)

die geschichte, die der rauber erzählt, ist jedoch eine andere. mir lag es fern, den jabberwock
(hier: den zipferlak) zu imitieren. mir ging es nicht mal so um das formale. doch wahrscheinlich kommt man, fasst man das gedicht "falsch" (weil trotz aller vorsätze intersubjektiv) auf, zwangsläufig zu diesem, mir etwas müden, vergleich.
ich kann das keinem übel nehmen, es lag mit in meiner intention.

"Es fragt sich nur", sagte Goggelmoggel, "wer der Stärkere ist, weiter nichts."
und drehen sich nicht alle interpretationen von gedichten immer um diese frage?

gruß melvin


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