Mein zweiter Prosatext in 2002
. Ich habe offenbar die Hemmungen überwunden. Nun,
Märchen waren für mich von jeher keine Hürde.
Also , kommt und lest von den merkwürdigen
Begebenheiten, die den Bremer Stadtmusikannten wiederfuhren, nachdem
sie eine Weile recht angesehene Spielleute waren.
Mein Freund Ele hat übrigens einen anderen
Verlauf dieser Geschichte vorhergesehen. Er steht am Schluss der
Seite.
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Wie
die Bremer Stadtmusikanten Weinachten feierten
Es war einmal.
Der Esel, der Hund, die Katze und der Hahn waren wieder obdachlos.
In dem
schönen Räuberhaus, wo sie eine Weile in Saus und Braus gelebt hatten,
durften sie nicht länger bleiben. Es sollte zu einer Jugendherberge
umgebaut werden und Tiere waren dort nicht erlaubt. Auch ihre Arbeit als
Stadtmusikanten hatten sie verloren, denn die Kassen der Stadt waren leer.
Der Kämmerer sagte es dem Bürgermeister, der Bürgermeister sagte es dem
Kulturbeauftragten und dieser sagte es den Stadtmusikanten als sie, wie an
jedem Freitag, ihren Lohn abholen wollten. Fortan erklang keine Musik mehr
in den Straßen und auf den Plätzen, und die Gesichter der Menschen
wurden finsterer von Tag zu Tag. Jeder sorgte sich wegen der schlechten
Geschäfte, der schlechten Lage, der schlechten Aussichten, auch wegen des
schlechten Wetters und überhaupt. Und jeder hielt seinen Geldbeutel fest
verschlossen. Wenn die ehemaligen Stadtmusikanten von einer Hochzeit hörten
und dort vor dem Fenster sangen, kam der Brautvater heraus, schüttelte
bedauernd den Kopf und kehrte seine leeren Taschen von innen nach außen.
„Lasst uns überland gehen“, sprach der Esel, als sie eines Morgens
mit knurrendem Magen auf dem Marktplatz beisammen saßen, „hier ist für
uns nichts mehr zu holen“.
Da verließen sie Bremen und gingen aufs Land hinaus. Es war Herbst. Auf
den Stoppelfeldern fanden sie noch reichlich Ähren und Mais und auf den
Äckern gab es Rüben. Die Katze fing hin und wieder eine leichtsinnige
Maus oder schnorrte beim Bauern ein Tellerchen Milch. Manchmal stahl sie,
wenn die Bauersfrau das Fenster aufgelassen hatte, am Sonntag einen Braten
aus der Speisekammer. Der Hund stand Schmiere, und wenn es brenzelig
wurde, bellte er so laut er konnte, um die Katze zu warnen. Der Hahn
mischte sich unter fremdes Hühnervolk und brachte am Abend in seinem
Kropf immer etwas heim. Der Esel war von Natur aus genügsam, und nahm
auch mit Disteln vorlieb. So kamen sie gut durch den Oktober.
Im November, als es kälter wurde, rückten sie in der Nacht eng zusammen,
um einander zu wärmen. Der Hund legte sich dicht neben den Esel, die
Katze schmiegte sich an den Hund und der Hahn setzte sich abwechselnd mal
auf den einen, mal auf den anderen. Seine Federn wärmten wie ein
Daunenbett. Doch Sturm kam und Regen, und als die Tage kürzer wurden, kam
Schnee und Frost. Sie fanden immer weniger Nahrung auf den Feldern. Die
Fester der Speisekammern auf den Bauernhöfen blieben wegen der strengen
Witterung geschlossen, und wenn die Katze zum Betteln kam, empfing sie der
Besen. Die Vorräte der ehemaligen Stadtmusikanten, gingen zur Neige und
so setzten sie sich wieder zusammen und beratschlagten, wie es mit ihnen
weitergehen sollte.
„Vielleicht sollten uns trennen“, schlug die Katze vor, denn sie träumte
insgeheim von einer warmen Ofenbank. „Wenn wir allein sind, findet
vielleicht jeder von uns ein Heim.“ “Paperlapp“ kollerte der Hahn,
„wo ich da lande, weiß ich jetzt schon. Im Suppentopf“. Auch der Hund
machte ein bedenkliches Gesicht. Der Esel schwieg und überlegte lange.
Dann sagte er: „Wir hatten gute Zeiten miteinander und nun haben wir
eine schlechte Zeit. So wollen wir uns denn trennen und jeder wieder für
sich selber sorgen. Nur Weihnachten lasst uns noch gemeinsam feiern.“
Der Hund und der Hahn waren erleichtert über den Aufschub, und auch die
Katze war einverstanden aus alter Freundschaft.
Dann kam der Heilige Abend und die Glocken läuteten. Da machten sie sich
auf den Weg zur Kirche. Ein paar Pfeffernüsse erhofften sie und ein
warmes Plätzchen für eine Stunde oder etwas länger..
Die große Tür war schon geschlossen, als sie ankamen. Durch die bunten
Glasfenster strahlte gedämpftes Licht nach draußen und drinnen fing die
Gemeinde gerade an zu singen:
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...“
Da fasste der Esel sich ein Herz und drückte mit seinem Vorderhuf die
schwere Klinke hinunter. Goldenes Licht goss sich über die vier Kameraden
und sie traten in die von unzähligen Kerzen erleuchtete Kirche. Und warm
war es darin, wunderbar warm. Die Menschen in ihren Festtagskleidern
hatten gerötete Gesichter und glänzende Augen. Ob ihnen nur warm war
oder die Feierlichkeit sie so ergriffen hatte, war nicht auszumachen. Der
Esel, der Hund, die Katze und der Hahn gingen den breiten Mittelgang
hinunter geradewegs auf den Altar zu. Davor standen Maria und Joseph neben
der Krippe mit dem Jesuskind, auf der anderen Seite ein Öchslein und ein
Eselein, dazu viel gutes Stroh. ’Wo, wenn nicht hier, sollte unser Platz
sein'‚ dachte der Esel und lagerte sich neben das Eselein. Der Hund die
Katze und der Hahn taten es ihm gleich. Dann kamen die Engel und verkündeten
die Frohe Botschaft:
"Vom Himmel hoch da komm ich her..." ,
und die Gemeinde sang:
„Es ist ein Ros entsprungen... “ und
„ ....Christ der Retter ist da“
und die drei Könige und brachten dem Kind ihre Gaben dar. Auch Kuchen
packten sie aus und Wein und andere Köstlichkeiten, die es nur im
Morgenland gibt. Es wurde angebetet und gefeiert, gegessen und getrunken
und die ehemaligen Stadtmusikanten waren dabei und erhielten von allem
ihren Teil.
Wie es weiterging und was nach Weihnachten aus ihnen aus ihnen geworden
ist, wollt Ihr wissen?
Da gibt es zwei Geschichten, eine ist so gut möglich wie die andere. -
Eine sagt, dass sie sich trennten. Katze, Hund und Hahn zogen mit den drei
Königen. Der Hund ging mit Kaspar, die Katze mit Melchior, und der Hahn
mit Balthasar. Der Esel aber ging mit Maria, Joseph und dem Kind. Und
jedes Jahr am heiligen Abend treffen sie sich wieder in der kleinen
Dorfkirche nicht weit von Worpswede und bleiben bis zum 7. Januar.
Die andere Geschichte berichtet: Sie kamen auf dem Silberstrahl des Mondes
direkt in den Himmel. Und als man dort hörte, dass sie Stadtmusikanten in
Bremen waren, wurde ihnen sogleich eine Stelle im himmlischen Orchester
angeboten. Dort schlägt nun der Esel die Pauke, der Hund bedient mit
seinem Schwanze das Schlagzeug, die Katze singt Sopran und der Hahn weckt
die Engel, wenn sie eingeschlafen sind.
Welche Geschichte wahr ist, wollt ihr wissen?
Sucht es euch aus, denn es ist ja ein Märchen, und Märchen müssen nicht
wahr sein. Hauptsache ist, sie gehen gut aus.
15.12.2002 madonna
© sigrid kriener
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