Dies ist keine autobiografische Geschichte. Aber
sie hätte eine sein können, wenn nicht alles
ganz anders
gekommen wäre. ;-) Ich versuche mich seit
einiger Zeit an Prosa und mir fällt es leichter über etwas zu
schreiben das ich kenne,
als mir nur etwas auszudenken. Ich
fühle mich sicherer, präziser, wenn ich mich an Erlebtes zumindest
anlehnen kann. An dieser Geschichte
ist nur der Ausspruch meiner Mutter
authentisch und meine Freundschaft
zu
dem Mopedfahrer. ;-)
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Herz
und Bildung
"Herz und Bildung muss ein Mann haben. Aber vor allem
Bildung", sagte meine Mutter, nachdem sie mich im Hausflur mit
einem Jungen ertappt hatte. Wir waren gerade dabei gewesen im
Dunkeln schüchtern erste Zärtlichkeiten auszutauschen, als sie
mich streng in die Wohnung zurück beorderte. Über das, was meine
Mutter mir sonst noch erzählte, hörte ich mit roten Ohren hinweg.
"Herz und Bildung" jedoch beeindruckte mich nachhaltig.
Das war dann auch das Ende meiner Freundschaft zu dem jungen
Friseur. Er hatte nur ein Moped.
In den nächsten Jahren hatten junge Männer keine Chance bei mir.
Was ihnen an Bildung fehlte ersetzten sie mit Angeberei, also
bewertete ich auch das, was sie an Herz zu bieten hatten, nicht
hoch. Ich war damals noch ein Gänschen und hatte nur eine ungenaue
Vorstellung von dem, was Bildung ist. Daher warf ich mich älteren Männern
in die Arme, die, nach meiner damaligen Vorstellung, über
Lebenserfahrung und Bildung verfügten. Um das Herz machte ich mir
keine Sorgen, denn das hat ja jeder. Von meinen älteren Freunden
lernte ich zunächst das, worauf meine Mutter mich hatte vorbereiten
wollen, - aber nun an der Quelle (?) Ich fing an zu glauben, dass
ich meine Mutter falsch verstanden hatte.. ‚Sex und Bildung. Aber
vor allem Sex.', schien die Formel zu sein, nach der das Spiel lief.
Und da ich meiner Mutter nicht zugehört hatte, blieb es nicht aus,
dass ich schwanger und, kaum achtzehn Jahre alt, Mutter wurde. Da
konnte ich sehen, wie ich mit dem, was ich an Lebenserfahrung und
Bildung gewonnen hatte, meine Tochter groß zog. Meine Mutter war
beleidigt mit mir, weil ich nicht auf sie gehört hatte und schlug
vor mir und meinem Kind die Türe zu.
Ich fand Unterschlupf in einer Wohngemeinschaft von Frauen. Dafür,
dass ich für meine drei Mitbewohnerinnen die Wohnung in Ordnung
halte, habe ich freie Kost und Logis und ein kleines Taschengeld.
Ich war damals froh, mit meinem Kind irgendwo bleiben zu können und
war ihnen dankbar. Meine Mitbewohnerinnen sind gebildete Frauen, die
ein Studium abgeschlossen haben und zu jener Zeit dabei waren, eine
berufliche Karriere aufzubauen. Von ihnen lernte ich neue
Betrachtungsweisen.
" Wozu braucht man Männer?", fragt z.B. Hellen, die
Journalistin, mit rauem Lachen. "Man schleppt einen ab, wenn
man einen Schwanz braucht. Auf den Rest kann man verzichten, der
macht nur Probleme."
Ich hatte aber auf einige Zeit mit dem Haushalt und der Pflege
meiner Tochter ausreichend Beschäftigung, so dass ich darauf
verzichtete, Hellens Erkenntnisse selber in die Tat umzusetzen.
"Selbstverwirklichung und das Leben mit einem Mann vertragen
sich nicht", verkündet Lore, die Lehrerin regelmäßig, wenn
sie von einem Ihrer Emanzipationsseminare erleuchtet zurück kehrt
und mir in der Küche bei einer Flasche Wein berichtet, was sie
diesmal "erfahren" hat. Wenn die Flasche leer ist, hängt
Lore meist lallend an meinem Hals und ich muss die wie ein Kind
Schluchzende trösten und zu Bett bringen.
Die einzige, die zum Thema Männer überhaupt nie etwas äußerte,
ist Jutta, die Hebamme. Sie schnappt zu wie ein Auster, wenn Hellen
und Lore über ihr Lieblingsthema ablästern.
Seit meine Tochter aus dem Gröbsten heraus ist, besuche ich die
Volkshochschule, um selber Bildung zu erwerben, anstatt sie bei Männern
zu suchen. Meine Mitbewohnerinnen nörgeln jetzt zuweilen, weil
gelegentlich der Abwasch stehen bleibt, wenn in Eile das Haus
verlasse, weil ich zum Kurs muss.
Gestern Abend, als ich von der Schule nach Hause kam, traf ich im
Hausflur meine Tochter knutschend mit einem pickeligen Jungen an.
Ich bat sie, sofort mit mir nach oben zu kommen.
"Herz und Bildung", sagte ich am Ende meines Vortrags,
"aber vor allen Dingen Herz."
Sie schwieg verstockt und ich ahnte, dass ich mit meinen Eröffnungen
bereits einige Zeit zu spät dran war.
"Aber vor allen Dingen Herz." Das hatte mir Jutta vor drei
Wochen ins Ohr geflüstert und dann küsste sie mich auf den Mund.
© Sigrid Kriener
2004
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