madonnas archiv

mai 2004


Dies ist keine autobiografische Geschichte. Aber sie hätte eine sein können, wenn nicht alles 
ganz anders gekommen wäre. ;-)

Ich versuche mich seit einiger Zeit an Prosa und mir fällt es leichter über etwas zu schreiben das ich kenne,
als  mir nur etwas auszudenken. 

Ich fühle mich sicherer, präziser, wenn ich mich an Erlebtes zumindest anlehnen kann. An dieser Geschichte
 ist nur der Ausspruch meiner Mutter authentisch und meine  Freundschaft
 
zu dem Mopedfahrer.  ;-)

 


 

 

 

 

 



 



Herz und Bildung 


"Herz und Bildung muss ein Mann haben. Aber vor allem Bildung", sagte meine Mutter, nachdem sie mich im Hausflur mit einem Jungen ertappt hatte. Wir waren gerade dabei gewesen im Dunkeln schüchtern erste Zärtlichkeiten auszutauschen, als sie mich streng in die Wohnung zurück beorderte. Über das, was meine Mutter mir sonst noch erzählte, hörte ich mit roten Ohren hinweg. "Herz und Bildung" jedoch beeindruckte mich nachhaltig. Das war dann auch das Ende meiner Freundschaft zu dem jungen Friseur. Er hatte nur ein Moped.
In den nächsten Jahren hatten junge Männer keine Chance bei mir. Was ihnen an Bildung fehlte ersetzten sie mit Angeberei, also bewertete ich auch das, was sie an Herz zu bieten hatten, nicht hoch. Ich war damals noch ein Gänschen und hatte nur eine ungenaue Vorstellung von dem, was Bildung ist. Daher warf ich mich älteren Männern in die Arme, die, nach meiner damaligen Vorstellung, über Lebenserfahrung und Bildung verfügten. Um das Herz machte ich mir keine Sorgen, denn das hat ja jeder. Von meinen älteren Freunden lernte ich zunächst das, worauf meine Mutter mich hatte vorbereiten wollen, - aber nun an der Quelle (?) Ich fing an zu glauben, dass ich meine Mutter falsch verstanden hatte.. ‚Sex und Bildung. Aber vor allem Sex.', schien die Formel zu sein, nach der das Spiel lief.
Und da ich meiner Mutter nicht zugehört hatte, blieb es nicht aus, dass ich schwanger und, kaum achtzehn Jahre alt, Mutter wurde. Da konnte ich sehen, wie ich mit dem, was ich an Lebenserfahrung und Bildung gewonnen hatte, meine Tochter groß zog. Meine Mutter war beleidigt mit mir, weil ich nicht auf sie gehört hatte und schlug vor mir und meinem Kind die Türe zu.
Ich fand Unterschlupf in einer Wohngemeinschaft von Frauen. Dafür, dass ich für meine drei Mitbewohnerinnen die Wohnung in Ordnung halte, habe ich freie Kost und Logis und ein kleines Taschengeld. Ich war damals froh, mit meinem Kind irgendwo bleiben zu können und war ihnen dankbar. Meine Mitbewohnerinnen sind gebildete Frauen, die ein Studium abgeschlossen haben und zu jener Zeit dabei waren, eine berufliche Karriere aufzubauen. Von ihnen lernte ich neue Betrachtungsweisen.
" Wozu braucht man Männer?", fragt z.B. Hellen, die Journalistin, mit rauem Lachen. "Man schleppt einen ab, wenn man einen Schwanz braucht. Auf den Rest kann man verzichten, der macht nur Probleme."
Ich hatte aber auf einige Zeit mit dem Haushalt und der Pflege meiner Tochter ausreichend Beschäftigung, so dass ich darauf verzichtete, Hellens Erkenntnisse selber in die Tat umzusetzen.
"Selbstverwirklichung und das Leben mit einem Mann vertragen sich nicht", verkündet Lore, die Lehrerin regelmäßig, wenn sie von einem Ihrer Emanzipationsseminare erleuchtet zurück kehrt und mir in der Küche bei einer Flasche Wein berichtet, was sie diesmal "erfahren" hat. Wenn die Flasche leer ist, hängt Lore meist lallend an meinem Hals und ich muss die wie ein Kind Schluchzende trösten und zu Bett bringen.
Die einzige, die zum Thema Männer überhaupt nie etwas äußerte, ist Jutta, die Hebamme. Sie schnappt zu wie ein Auster, wenn Hellen und Lore über ihr Lieblingsthema ablästern.

Seit meine Tochter aus dem Gröbsten heraus ist, besuche ich die Volkshochschule, um selber Bildung zu erwerben, anstatt sie bei Männern zu suchen. Meine Mitbewohnerinnen nörgeln jetzt zuweilen, weil gelegentlich der Abwasch stehen bleibt, wenn in Eile das Haus verlasse, weil ich zum Kurs muss.
Gestern Abend, als ich von der Schule nach Hause kam, traf ich im Hausflur meine Tochter knutschend mit einem pickeligen Jungen an. Ich bat sie, sofort mit mir nach oben zu kommen.
"Herz und Bildung", sagte ich am Ende meines Vortrags, "aber vor allen Dingen Herz."
Sie schwieg verstockt und ich ahnte, dass ich mit meinen Eröffnungen bereits einige Zeit zu spät dran war.
"Aber vor allen Dingen Herz." Das hatte mir Jutta vor drei Wochen ins Ohr geflüstert und dann küsste sie mich auf den Mund.

 

© Sigrid Kriener
2004

______________________________________


           


86 Die Dichterin
Inhalt   Text
Autoren  Kollegen Freunde
Startseite