Der federmechanische Domestik
....."Ich
halte in meinem Salmdorfer Haus einen Domestiken mit Federantrieb,
der als Wortwart ideal geeignet wäre", sagt Solemnius in die
Begeisterung des Herrn Hans hinein. "Für meinen Haushalt ist er zu
wirkmächtig. 'Sysiphos', den Namen gab er sich übrigens selber,
hat meine Räume frühmorgens schon nach wenigen Minuten in Ordnung
gebracht und dienert dann unausgelastet um mich herum, zupft mir
ein Stäublein von der Schulter, rückt ganz unnötig den Sessel
zurecht, erkundigt sich in Einem fort nach meinen Wünschen,
streicht mir stündlich das Haar glatt, schleppt unverlangte
Getränke heran, reißt die Fenster zum Lüften auf, ordnet meine
Bücher und Konstruktionspläne nach für mich unerfindlichen
Kriterien. Es ist nicht zum Aushalten. Die Wohnlichkeit, die
dieser Vollautomat mir herzustellen sucht, schlägt um in reinen
Terror. Dabei ist er auch noch hochsensibel. Jedes Kommando, das
seiner rastlosen Tätigkeit zumindest vorübergehend Einhalt
gebieten soll, stürzt ihn in tiefe Depressionen. Er steht dann
zwar still, aber quietscht und rasselt mit seinem Räderwerk und
zieht ein kreuzunglückliches Gesicht dabei. Ich bin sicher, der
Domestik wird selig sein, ein seinen Fähigkeiten entsprechendes
Aufgabenfeld zu bekommen und unbemerkt wirken zu können."
Der Herr Hans will es auf einen Versuch ankommen lassen. Solemnius
führt ihn hinter eine ausrangierte Bußpredigt und schiebt ein
Füllwort beiseite. Dahinter werden die Gewölbe seines Kellers in
Salmdorf sichtbar. Der Erfinder steigt aber nicht in seine
Kellerräume, sondern steckt nur den Kopf durch die entstandene
Öffnung. Mit hoher, schmeichelnder Stimme ruft er: "Sysiphos, mein
Sysiphoslein, komm mein Guter, hier gibt‘s zu tun für dich!" Sein
Ruf bleibt nicht unerhört. Schwere Eisenschritte klirren eine
Treppe herunter. Solemnius ist mit zwei großen Schritten hinter
einem unleserlichen Fragesatz verschwunden.
Nach wenigen Augenblicken reckt sich ein neugieriger Blechkopf
hinter dem Füllwort hervor und glotzt heraus auf die Halde.
Vorsichtig äugt der Domestik nach seinem Herrn. Wie oft hat ihn
dieser schon aus dem Haus zu locken versucht, unter Vorspiegelung
dringender Arbeiten in Hof und Garten, dann hinter ihm das Tor
zugeschlagen und auf kein Klopfen, kein Läuten, kein Geschrei mehr
reagiert. Nur gut, daß er in übler Voraussicht beim Verlassen des
Hauses immer einen Schlupf zurück offen ließ, ein Dachfenster
etwa, oder die Katzentüre. So war ihm die Rückkehr zur
selbstgewählten Aufgabe noch jedes Mal gelungen. Stets hatte er
dann die Meßlatte seiner Pflichten höher gelegt, denn er sah in
den Ausbürgerungsversuchen des Solemnius ein Zeichen der
Unzufriedenheit mit seiner Dienerei. Und er umsorgte den Erfinder
dann jedesmal noch aufmerksamer, rastloser, vollständiger. Er ließ
sich schließlich durch nichts mehr aus dem Hause locken, weder
durch Bitten, noch durch Befehle oder gar Drohungen. Hörte er
seinen Herrn von außerhalb nach ihm rufen, schaltete er sein Gehör
ab, und, um ganz sicher zu gehen, den lautstärksten Sauger an,
ging damit mehrmals über die schon längst staubfreien Böden. In
seiner Verzweiflung darüber, daß auch die äußersten Anstrengungen
seinen Herrn und Erbauer um keinen Deut freundlicher, sogar eher
gegenteilig stimmten, versuchte er auch sein Aussehen gefälliger
zu gestalten. Ein Leser hatte dem Erfinder bei seiner Abreise den
Katalog eines großen Versandhauses überlassen. Solemnius erhoffte
sich daraus Anregungen für eigene Erfindungen. Und tatsächlich
entwickelte er nach dem Durchblättern des umfangreichen Druckwerks
eine Reihe von intelligenten Küchenmaschinen, nur als Beispiel
genannt sei die skeptische Eieruhr, ein Gerät, das seine Benutzer
in langwierige Diskussionen über das Wesen der Zeit und die
Relativität der Begriffe ‚weich‘ und ‚hart‘ verwickelt, tückischen
Luxus, wie das selbstfaltende Bettuch, welches allerdings nur
verschwommene Vorstellungen vom angemessenen Zeitpunkt der
Eigenfaltung hatte, deshalb so manchen in ihm schlafenden Besitzer
gleich mit ins Schrankformat brachte und im Wäschefach stapelte.
Der Domestik kam beim Staubwischen über den Katalog. Er erinnerte
sich, seinen Herrn in diesem dicken, reich bebilderten Wälzer
blättern gesehen zu haben. Beim Betrachten der abgebildeten
Spitzenunterwäsche, entsann sich Sysiphos weiter, hatte sich das
Auge des Erfinders geweitet. Zwar erschien dem Domestiken der
eigene Körper zu kantig und geradlinig für das Tragen dieser nur
geringfügig bedeckenden, deshalb rätselhaften Kleidungsstücke.
Doch er wußte Abhilfe: aus Kork formte er Hüften und
Brustwölbungen, sowie zarte, aber doch ausladende Hinterbacken,
die er mittels Klebstoff an sich befestigte und mit silberner
Ofenrohrfarbe passend zu seiner Blechhaut überstrich. Dann wühlte
er in den umfangreichen Vorratslagern des Hauses nach roten und
schwarzen Seidenstoffen aus China, er schneiderte und nähte. Auch
die Haarpracht der Dessousträgerinnen suchte er mittels langer
Gräser aus dem Innenhof nachzuahmen. Als er sich aber eines
Morgens dem Solemnius derart verändert präsentierte, verschluckte
sich dieser am Frühstückskaffee und suchte keuchend und mit
quellenden Augen das Weite. Rückschläge dieser Art entmutigten den
Sysiphos aber nur kurzzeitig. Sie steigerten insgesamt seinen
Eifer und ließen ihn dafür der Weisungen seines Herrn gegenüber
immer größere Vorsicht und Zurückhaltung an den Tag legen.
So vernimmt er den jetzigen Lockruf des Solemnius mit äußerstem
Mißtrauen. Doch was er nun vor sich auf der Worthalde sieht, läßt
ihn jede Vorsicht vergessen. Diese gigantische Unordnung, dieser
Wortverhau, dieses Durcheinander an Themen und Formen! Der
Domestik vergißt jede Zurückhaltung. Mit leuchtendem Blick
klettert er heraus aus dem offenen Flüchterl, mit zuckenden
Zangen, um Ordnung zu schaffen. Darauf hat der Solemnius gewartet.
In einem Sprung ist er zurück in seinem Keller, hat den
Eingangssatz hinter sich zugeschlagen und von innen verriegelt.
Doch das vormalige Haushaltsgerät hat seine Aussperrung gar nicht
bemerkt. Er zerrt und schiebt an einem riesigen Haufen von
ungebührlichen Zwischenrufen, die der Regisseur des Sprechtheaters
aus allen geschilderten Aufführungen schneiden und hier
herunterbringen hat lassen.
Der Leser ist alleine mit dem federmechanischen Haushaltshelfer
und wird Zeuge, wie ein der Übersicht und Sauberkeit
verpflichtetes Wesen seine Lebensaufgabe erkennt. Ohne Zweifel
wird Sysiphos, der die Zwischenrufe bereits nach dem Grad ihrer
Impertinenz sortiert hat, einen vortrefflichen Wortwart abgeben.
Wir müssen ihn uns als eine glückliche Maschine vorstellen.
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