1999 habe ich mit dem Schreiben begonnen. Die erste Unsicherheit hat sich gelegt. Ich habe viel ausprobiert und von vielen Kontakten in diversen Foren profitiert.
Den Cycosmos gibt es nicht mehr. Aber ich bin froh dort in der
Autoren Community einen Schutzraum gehabt zu haben, der er mir ermöglichte, Selbstvertrauen aufzubauen und
mich auf sehr viel glatterem Parkett zu
behaupten. ;-))))
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Ekkehard
März 1978.
Ekkehard war schon am Nachmittag gekommen. –- Er hatte eine Flasche
„Johnny Walker“ mitgebracht. Als sie leer war, zogen wir ein Haus
weiter, eine Gewohnheit aus längst vergangenen Studententagen. Wir waren
beide nicht mehr ganz nüchtern. Die schummrige Beleuchtung in der Kneipe
ließ alles um uns herum verschwimmen. Der Lichtkegel der Deckenlampe
sperrte selbst unsere Körper aus und erhellte nur die Tischplatte, einen
Aschenbecher, randvoll mit Kippen, die wir während der vergangenen Stunde
darin ausgedrückt hatten. Mein Freund hatte seinen Unterarm auf die
Tischkante gelegt und hielt eine Zigarette zwischen den Fingern. Der Rauch
stieg kräuselnd nach oben und mein Blick folgte ihm konzentriert, bis zum
Kinn, der vollen Unterlippe und dem dunkelblonden Schnurrbart darüber;
alles andere lag im Dunkel..
„Ich habe Krebs.“, sagte Ekkehard, “Lungenkrebs. Nicht mehr zu
operieren.“
Wir saßen einander gegenüber, zwischen uns zwei Pils und irritiertes
Schweigen.
„Ich glaub’ das nicht.“, antwortete ich und zog den Kopf zwischen
die Schultern, wie eine Schildkröte, die Deckung sucht. -
„Doch, doch“, sagte er und nickte dabei mit dem Kopf. „Mein Freund
ist Arzt. Er hat mir die Röntgenbilder gezeigt.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß Du stirbst“, wehrte ich ab und
wischte dabei nervös mit der Hand über die Platte des Eichentisches.
Befangen spähte ich zu Ekkehard hinüber, ertastete scheu seinen massigen
Umriss. Auch im Sitzen war er ein unförmiger Riese. Unproportioniert. Ihm
fehlte der rechte Arm. Ein Sprengkörper, den er als Kind gefunden und mit
dem er gespielt hatte, war in seiner Hand explodiert. - „Gott sei Dank,
der Rechte“, hatte er einmal lächelnd zu mir gesagt, und seine Augen
blitzten dabei herausfordernd. Er war Linkshänder. Nur ein Auge hatte
geblitzt, auf dem anderen war er blind, ebenfalls eine Folge dieses
Unfalls. - Wir kannten einander seit ich siebzehn war. Beide studierten
wir damals Kunst; ich war neu an der Akademie und er schon ein paar
Semester weiter, sehr viel erwachsener, vierundzwanzig, verheiratet, ein
Sohn. Auf Festen stand er meist beiseite, eine Tabakdose unter seinen
Armstumpf geklemmt und trommelte darauf mit den Fingern den Takt zur
Musik. Er verehrte mich schüchtern und ich ließ es mir scheu gefallen.
Wir waren Freunde. Ich stand ihm oft Modell. Als er zwei Jahre später die
Hochschule verließ, war es kein Abschied für immer, sondern wir sahen
uns immer wieder bei Gelegenheit, sechzehn Jahre lang.
Schweigen war auf uns gefallen. Mich fröstelte... Wir tranken unser Bier
aus und verließen in uns gekehrt die Gaststätte. Ich wollte nur heim,
weg von ihm, weg von dem, was er mir erzählt hatte; ich wollte die
Bettdecke über meinen Kopfziehen und aufhören zu denken. Er begleitete
mich nach Haus. Vor der Tür ein verlegener, fast wortloser Abschied.
Ich hörte nichts mehr von Ekkehard . - Ob er noch lebt? fragte ich mich
oft und verdrängte diesen Gedanken wieder. Nach einigen Jahren war ich überzeugt,
dass er inzwischen gestorben war. - Ich trauerte, aber meine Trauer hatte
nichts Konkretes, kein Grab, kein Datum, nichts - nur die Erinnerung an
unser letztes Gespräch.
Jahre später traf ich auf einem Straßenfest, einen ehemaligen
Kommilitonen. Wir verabredeten uns auf ein Glas Wein am Abend bei mir
zuhause. Ich wusste, daß Uwe seit langem Professor an der Kunsthochschule
in K. war. Im Lauf der Unterhaltung fiel beiläufig ein Name, der mich
erstarren ließ....
„Ekkehard?“, fragte ich ungläubig, „ Du meinst doch nicht Ekkehard
T. Der ist doch längst tot.“
„Wie kommst du darauf? entgegnete mein Besucher fröhlich, „Nee, der
leitet bei uns die Grafikklasse.“
Er erzählte von Ekkehards „Alkoholexzessen“, seiner Vitalität trotz
vorhergegangener Infarkte. Er lachte amüsiert vor sich hin, während ich
fassungslos lauschte. Es kam mir vor, als wäre ich der Szene entrückt
und sähe alles von sehr weit entfernt. Wie unter einer Glasglocke, gelähmt
, halb taub, überstand ich den Abend. Mühsam überspielte ich die Wut,
die ein mir empor kroch, nachdem ich den Schock überwunden hatte. Ich
machte Witzchen - dabei hätte ich schreien mögen vor Empörung. Fast
zwanzig Jahre! Solange hatte mich Ekkehard glauben lassen, er sei tot!
Wieso ? fragte ich mich immer wieder. Wieso? Die Erbitterung hielt lang
an. Zwei Jahre war ich ihm böse. Dann suchte ich im Telefonbuch die
Nummer der Hochschule heraus. Weitere Monate vergingen, bis ich mich dazu
durchrang ihn anzurufen. Endlich, hatte ich ihn am anderen Ende der
Leitung.
Januar 1999
Seine Stimme war die alte. Unverkennbar. Ich nannte meinen Namen. Einen
Moment Schweigen.
„Ich habe sehr oft an dich gedacht“, hörte ich ihn sagen.
Pause. Zögern schwang mit.
„Ich bin stocksauer auf dich“, sagte ich reserviert aber mit
kratzender Stimme „Wie konntest du nur? Ich hab’ geglaubt, du wärest
tot...“
Er schien überrascht, dann erinnerte er sich. „Ach ja... stimmt...“,
sagte er, „damals glaubte ich wirklich, dass ich sterben würde. - Es
war ein Irrtum. Ich weiß auch nicht wie es dazu kam. Der Arzt hatte
wirklich...“
Seine Erklärungen rauschten an mir vorbei. Wieder hing Sprachlosigkeit
zwischen uns.
„ Du hättest dich mal melden können.“, grummelte ich schließlich.
„Ich dachte, Ihr wäret in Frankreich“, erwiderte er.
Ich schwieg. Es stimmte - ich war mit meiner Familie für drei Jahre in
Frankreich gewesen. Ich hatte ihm von unseren Umzugsplänen erzählt,
bevor er mir von seiner Erkrankung berichtete.
„Ich komm dich besuchen...“ seine Stimme klang plötzlich vergnügt.
„Ich komme öfter nach Hamburg. Ich freue mich.“
„Ich freu mich auch.“, antwortete ich ernst.
Ein paar Monate später klingelte mein Telefon. Ekkehard war am Apparat..
Am folgenden Wochenende würde im Fernsehen eine Sendung über ihn
ausgestrahlt, erzählte er. Seine Stimme klang etwas aufgeregt „Da
kannst Du mich schon mal sehen“. Er lachte. - "Das lass ich mir
nicht entgehen", sagte ich. - Ich sah die Sendung. Ohne Zweifel, das
war Ekkehard wie ich ihn in Erinnerung hatte: mächtig wie eh und je. Älter
geworden, die Züge einwenig schwammiger, das kurzgeschorene Haar fast weiß
- aber noch immer das Zwinkern in den Augen, die Verhaltenheit in der
Stimme. Humor, Bescheidenheit gemischt mit einer Spur von Stolz. Ich
erkannte ihn und gleichzeitig fühlte ich eine Distanz, wie es sie früher
nie gegeben hatte.
Im Frühsommer erhielt ich eine Einladung zu einer Ausstellung. Ekkehard
T. und Schüler. Es war eine unpersönliche Galeriepost. Ich war
frustriert. Was hatte das mit mir, mit uns, zu tun? Was sollte ich da? Ich
stellte mir unser Wiedersehen anders vor. Intimer. Ich fuhr nicht hin.
Kurz vor Weihnachten traf ich Uwe in einem Blumenladen. Der kleine Raum
war durchdrungen vom harzigen Geruch der abgeschnittenen Tannen- und
Kiefernzweigen. Beim Verlassen des Ladens tratschten wir ein wenig und wünschten
einander dann ein Frohes Fest und alles gute fürs Neue Jahr.
„...und grüß
Ekkehard von mir“, sagte ich beim Abschied.
Einen momentlang schien er die Luft anzuhalten, dann kam er einen Schritt
näher. „Ekkehard ist im Oktober gestorben.“ flüsterte er.
Nur im ersten Moment war ich überrascht. - Als ich aus dem Laden trat,
legte sich die Winterluft eisig frisch auf mein ungeschütztes Gesicht und
kniff mir in die Wangen. Tief sog ich durch die Nase ein. Beim Ausatmen
bildete sich ein kleine Wolke vor meinem Mund . Über mir der Winterhimmel
strahlte in prächtigen Blau.
September /Oktober
2000
© sigrid kriener
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