madonnas archiv

Ekkehard / biografische Notiz / November 2000



1999  habe ich mit dem Schreiben begonnen. Die erste Unsicherheit hat sich gelegt. Ich habe viel ausprobiert und von vielen Kontakten in diversen Foren profitiert. Den Cycosmos gibt es nicht mehr.
Aber ich bin froh dort in der Autoren Community einen Schutzraum gehabt zu haben, der er mir ermöglichte, Selbstvertrauen aufzubauen und mich auf sehr viel glatterem Parkett zu behaupten.
;-))))








 



 

Ekkehard

März 1978.

Ekkehard war schon am Nachmittag gekommen. –- Er hatte eine Flasche „Johnny Walker“ mitgebracht. Als sie leer war, zogen wir ein Haus weiter, eine Gewohnheit aus längst vergangenen Studententagen. Wir waren beide nicht mehr ganz nüchtern. Die schummrige Beleuchtung in der Kneipe ließ alles um uns herum verschwimmen. Der Lichtkegel der Deckenlampe sperrte selbst unsere Körper aus und erhellte nur die Tischplatte, einen Aschenbecher, randvoll mit Kippen, die wir während der vergangenen Stunde darin ausgedrückt hatten. Mein Freund hatte seinen Unterarm auf die Tischkante gelegt und hielt eine Zigarette zwischen den Fingern. Der Rauch stieg kräuselnd nach oben und mein Blick folgte ihm konzentriert, bis zum Kinn, der vollen Unterlippe und dem dunkelblonden Schnurrbart darüber; alles andere lag im Dunkel..
„Ich habe Krebs.“, sagte Ekkehard, “Lungenkrebs. Nicht mehr zu operieren.“
Wir saßen einander gegenüber, zwischen uns zwei Pils und irritiertes Schweigen.
„Ich glaub’ das nicht.“, antwortete ich und zog den Kopf zwischen die Schultern, wie eine Schildkröte, die Deckung sucht. -
„Doch, doch“, sagte er und nickte dabei mit dem Kopf. „Mein Freund ist Arzt. Er hat mir die Röntgenbilder gezeigt.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß Du stirbst“, wehrte ich ab und wischte dabei nervös mit der Hand über die Platte des Eichentisches.

Befangen spähte ich zu Ekkehard hinüber, ertastete scheu seinen massigen Umriss. Auch im Sitzen war er ein unförmiger Riese. Unproportioniert. Ihm fehlte der rechte Arm. Ein Sprengkörper, den er als Kind gefunden und mit dem er gespielt hatte, war in seiner Hand explodiert. - „Gott sei Dank, der Rechte“, hatte er einmal lächelnd zu mir gesagt, und seine Augen blitzten dabei herausfordernd. Er war Linkshänder. Nur ein Auge hatte geblitzt, auf dem anderen war er blind, ebenfalls eine Folge dieses Unfalls. - Wir kannten einander seit ich siebzehn war. Beide studierten wir damals Kunst; ich war neu an der Akademie und er schon ein paar Semester weiter, sehr viel erwachsener, vierundzwanzig, verheiratet, ein Sohn. Auf Festen stand er meist beiseite, eine Tabakdose unter seinen Armstumpf geklemmt und trommelte darauf mit den Fingern den Takt zur Musik. Er verehrte mich schüchtern und ich ließ es mir scheu gefallen. Wir waren Freunde. Ich stand ihm oft Modell. Als er zwei Jahre später die Hochschule verließ, war es kein Abschied für immer, sondern wir sahen uns immer wieder bei Gelegenheit, sechzehn Jahre lang.

Schweigen war auf uns gefallen. Mich fröstelte... Wir tranken unser Bier aus und verließen in uns gekehrt die Gaststätte. Ich wollte nur heim, weg von ihm, weg von dem, was er mir erzählt hatte; ich wollte die Bettdecke über meinen Kopfziehen und aufhören zu denken. Er begleitete mich nach Haus. Vor der Tür ein verlegener, fast wortloser Abschied.

Ich hörte nichts mehr von Ekkehard . - Ob er noch lebt? fragte ich mich oft und verdrängte diesen Gedanken wieder. Nach einigen Jahren war ich überzeugt, dass er inzwischen gestorben war. - Ich trauerte, aber meine Trauer hatte nichts Konkretes, kein Grab, kein Datum, nichts - nur die Erinnerung an unser letztes Gespräch.

Jahre später traf ich auf einem Straßenfest, einen ehemaligen Kommilitonen. Wir verabredeten uns auf ein Glas Wein am Abend bei mir zuhause. Ich wusste, daß Uwe seit langem Professor an der Kunsthochschule in K. war. Im Lauf der Unterhaltung fiel beiläufig ein Name, der mich erstarren ließ....
„Ekkehard?“, fragte ich ungläubig, „ Du meinst doch nicht Ekkehard T. Der ist doch längst tot.“
„Wie kommst du darauf? entgegnete mein Besucher fröhlich, „Nee, der leitet bei uns die Grafikklasse.“
Er erzählte von Ekkehards „Alkoholexzessen“, seiner Vitalität trotz vorhergegangener Infarkte. Er lachte amüsiert vor sich hin, während ich fassungslos lauschte. Es kam mir vor, als wäre ich der Szene entrückt und sähe alles von sehr weit entfernt. Wie unter einer Glasglocke, gelähmt , halb taub, überstand ich den Abend. Mühsam überspielte ich die Wut, die ein mir empor kroch, nachdem ich den Schock überwunden hatte. Ich machte Witzchen - dabei hätte ich schreien mögen vor Empörung. Fast zwanzig Jahre! Solange hatte mich Ekkehard glauben lassen, er sei tot! Wieso ? fragte ich mich immer wieder. Wieso? Die Erbitterung hielt lang an. Zwei Jahre war ich ihm böse. Dann suchte ich im Telefonbuch die Nummer der Hochschule heraus. Weitere Monate vergingen, bis ich mich dazu durchrang ihn anzurufen. Endlich, hatte ich ihn am anderen Ende der Leitung.

Januar 1999

Seine Stimme war die alte. Unverkennbar. Ich nannte meinen Namen. Einen Moment Schweigen.
„Ich habe sehr oft an dich gedacht“, hörte ich ihn sagen.
Pause. Zögern schwang mit.
„Ich bin stocksauer auf dich“, sagte ich reserviert aber mit kratzender Stimme „Wie konntest du nur? Ich hab’ geglaubt, du wärest tot...“
Er schien überrascht, dann erinnerte er sich. „Ach ja... stimmt...“, sagte er, „damals glaubte ich wirklich, dass ich sterben würde. - Es war ein Irrtum. Ich weiß auch nicht wie es dazu kam. Der Arzt hatte wirklich...“

Seine Erklärungen rauschten an mir vorbei. Wieder hing Sprachlosigkeit zwischen uns.
„ Du hättest dich mal melden können.“, grummelte ich schließlich.
„Ich dachte, Ihr wäret in Frankreich“, erwiderte er.
Ich schwieg. Es stimmte - ich war mit meiner Familie für drei Jahre in Frankreich gewesen. Ich hatte ihm von unseren Umzugsplänen erzählt, bevor er mir von seiner Erkrankung berichtete.
„Ich komm dich besuchen...“ seine Stimme klang plötzlich vergnügt. „Ich komme öfter nach Hamburg. Ich freue mich.“
„Ich freu mich auch.“, antwortete ich ernst.

Ein paar Monate später klingelte mein Telefon. Ekkehard war am Apparat.. Am folgenden Wochenende würde im Fernsehen eine Sendung über ihn ausgestrahlt, erzählte er. Seine Stimme klang etwas aufgeregt „Da kannst Du mich schon mal sehen“. Er lachte. - "Das lass ich mir nicht entgehen", sagte ich. - Ich sah die Sendung. Ohne Zweifel, das war Ekkehard wie ich ihn in Erinnerung hatte: mächtig wie eh und je. Älter geworden, die Züge einwenig schwammiger, das kurzgeschorene Haar fast weiß - aber noch immer das Zwinkern in den Augen, die Verhaltenheit in der Stimme. Humor, Bescheidenheit gemischt mit einer Spur von Stolz. Ich erkannte ihn und gleichzeitig fühlte ich eine Distanz, wie es sie früher nie gegeben hatte.
Im Frühsommer erhielt ich eine Einladung zu einer Ausstellung. Ekkehard T. und Schüler. Es war eine unpersönliche Galeriepost. Ich war frustriert. Was hatte das mit mir, mit uns, zu tun? Was sollte ich da? Ich stellte mir unser Wiedersehen anders vor. Intimer. Ich fuhr nicht hin.

Kurz vor Weihnachten traf ich Uwe in einem Blumenladen. Der kleine Raum war durchdrungen vom harzigen Geruch der abgeschnittenen Tannen- und Kiefernzweigen. Beim Verlassen des Ladens tratschten wir ein wenig und wünschten einander dann ein Frohes Fest und alles gute fürs Neue Jahr.
„...und grüß Ekkehard von mir“, sagte ich beim Abschied.
Einen momentlang schien er die Luft anzuhalten, dann kam er einen Schritt näher. „Ekkehard ist im Oktober gestorben.“ flüsterte er.
Nur im ersten Moment war ich überrascht. - Als ich aus dem Laden trat, legte sich die Winterluft eisig frisch auf mein ungeschütztes Gesicht und kniff mir in die Wangen. Tief sog ich durch die Nase ein. Beim Ausatmen bildete sich ein kleine Wolke vor meinem Mund . Über mir der Winterhimmel strahlte in prächtigen Blau.



September /Oktober 2000
© sigrid kriener
 

        


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