madonnas archiv

Hoffnung / März 2000



Diese Geschichte entstand
in einem Schreibprojekt der
Autorengruppe des Cycosmos,
genau wie 'Lorenzo und Nano'.
'Lorenzo und Nano' und Hoffnung'
sind nach den gleichen Vorgaben
entstanden. Siehe unten. .








 



 

Hoffnung

Kaum einer nahm Notiz von der jungen Frau, die an einem der kleinen runden Tische des Cafés nahe am Fenster saß. Sie mochte Ende zwanzig sein, schlank, fast mager, die Haare mattblond etwas zersaust. Sie rauchte.
Vor ihr auf dem Tisch lag ein Stapel Zeitungen. Es waren die Wochenendausgaben einiger großer Tageszeitungen. Beiseitegeschoben, ein halbabgegessener Teller, auf dem noch einige Scheiben Mozzarella mit Tomate und Basilikum lagen. Daneben ein halbvolles Glas Rosé. Sie studierte den Stellenteil des Abendblattes. - Vor kurzem erst hatte sie ihr Studium beendet, Mathematik, mit Abschluß Diplom. Sie hatte recht ordentlich bestanden... jetzt kam der schwierigere Teil. Schon mehrfach hatte sie sich auf Anzeigen hin beworben und sogar schon das ein oder andere Vorstellungsgespräch gehabt, jedoch zeichnete sich noch nirgendwo eine Zusage ab. Mit Schauder dachte sie an den letzten Einstellungstest zurück, bei dem sie unter anderem, nach einer kurzen Vorbereitungszeit, eine Stellungnahme zu dem Buch "Gödel, Escher, Bach" hatte abgeben sollen. - Beschämt hatte sie sich eingestanden, dass sie auf solche Tests nicht gefaßt gewesen war, und hatte daraufhin an einigen Bewerbungsseminaren teilgenommen, um nicht wieder in eine solche Lage zu geraten. Aber der Mißerfolg der ersten Bewerbungsrunde lastete auf ihr, und sie fühlte sich zerschlagen, irgendwie leer und orientierungslos, so wie vor einigen Jahren, nach ihrer Scheidung.
Etwas Asche fiel von ihrer Zigarette auf die auf dem Tisch liegenden Zeitungen. Als sie mit der Hand darüber strich, um sie zu entfernen, blieb ihr Blick auf der "Schreckensseite" hängen. Schon wieder ein Familiendrama mit tödlichem Ausgang, ein versoffener stellungsloser Schornsteinfeger hatte nach einem Streit seine Ehefrau, die Mutter seiner drei Kinder, erschossen und sich anschließend im Dachstuhl erhängt. - Die junge Frau las das ohne Teilnahme, ihre Augen glitten darüber hinweg, kaum, dass die Tatsachen in ihr Bewußtsein drangen. Sie seufzte und schaute aus dem Fenster... grau war es draußen... ein diesiger Novembernachmittag. "Triste...", dachte sie..."einfach triste". Langsam legte sie ihre Zeitungen zusammen und verstaute sie ihren Rucksack. Sie winkte dem Kellner, einem vertrocknet aussehenden Zwerg, um zu zahlen. - "Triste!" dachte sie wieder und trat aus dem Cafe in den nebeligen Nachmittag. Sie zog ihre Jacke enger um die Brust und verschränkte die Arme, um die feuchte Kaelte abzuwehren. Sie freute sich, als sie an die behagliche Wärme ihrer Wohnung dachte und beeilte sich, nach Hause zu kommen.
Als sie die Tür zu ihrer kleinen Wohnung im 11.Stockwerk eines Hochhauses öffnete, erwartete sie bereits der Kater mit einem mißmutigen Mauzen. Der arme Kerl hatte seit dem frühen Morgen auf Futter gewartet, und nun hatte sie doch vergessen, welches zu kaufen. Sie hatte keine Lust wieder zurück in den Nebel zu gehen. Also servierte sie ihm Miesmuschlen aus einer Konservendose, die sie im Vorratsschrank gefunden hatte. -" Triste", dachte der Kater, "einfach triste". - Die junge Frau ignorierte sein unzufriedenes Gesicht und wandte sich dem Papageien in der Voliere zu. Sie kraulte ihn unter den Brustfedern, und er rieb den gebogenen Schnabel an ihrem Handrücken. Langsam entspannte sie sich...
Sie goß sich eine Kanne Hibiskustee auf und rollte sich auf dem Sofa unter einer Wolldecke zusammen. Aus dem Radio ertönte die Arie des Papageno... Sie kuschelte sich zufrieden in die Kissen und nippte an ihrem Tee. Sie dachte an ihren letzten Urlaub in Spanien, wo sie mit einer Gruppe eine Gebirgswanderung gemacht hatte. Das war vor ihrer Prüfung gewesen, - sie hatte nochmal Streß abbauen wollen. In Gedanken ließ sie die Bilder noch einmal vorüberziehen. - Da, mit einem Satz landete plötzlich der Kater auf ihrem Bauch. Sie hatte gerade die Teetasse in der Hand, und der heiße Tee schwappte über und ergoß sich auf das Sofa und die weiße Wolldecke. "Mistvieh" - entfuhr es ihr, und sie sprang auf, um den Schaden soweit möglich wieder gut zu machen. Der Kater war inzwischen unter dem Sofa verschwunden und starrte sie mit einem vergrätzten Gesichtsausdruck an. - "Okay, okay, du hast gewonnen", sagte sie, "ich geh einkaufen". Der Kater war unversöhnlich... Die junge Frau griff nach ihrer Handtasche und suchte nach ihren Schlüsseln. Bei der Gelegenheit kramte sie einen Lottoschein hervor. Sie nahm sich vor, auf dem Rückweg bei der Annahmestelle vorbeizuschauen. Als sie aus dem Haus trat, begegnete ihr ein Schornsteinfeger.
"Schornsteinfeger bring mir Glück!", sagte sie und kreuzte ihre Finger.- " Wenn der wirklich Glück bringt - das wäre doch affengeil!", dachte sie.
Sie lächelte und schüttelte den Kopf.
Hoffnung wäre ein zu großes Wort...


Februar 2000
© sigrid kriener
 

        

Vorgaben für diesen Text
Folgende Wörter waren zu verwenden:
Gebirgswanderung / Miesmuscheln / Zwerg /
Kater / Dachstuhl / Ameisenbau / Lotto /
Ehescheidung / Schornsteinfeger/
Vogelvoliere / Konservendose / Papageno /
Mozarella / Verpuffung / Mathematik /
vertrocknet /
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bild 3

11 / Lorenzo und Nano
31 / Himmelsriss und Schneegestöber
Inhalt