Im Juni 2001
schrieb ich , dieses Geschichte. Sie spukte mir schon eine Weile im Kopf
herum. Ich war gespannt, wie so ein Geschichte ohne Pointe ankommen
würde. Sie kam überraschend gut an. Manche hätten die Kinder lieber
deutlicher gehabt. Mir lag jedoch mehr daran einen Nachmittag zu beschreiben, wie er nur von Kindern erlebt
wird - nicht von bestimmten Kindern.
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Kindheitssommer
An einem jener Sommertage, die sich unendlich dehnen, in einem Sommer, der
selbst kein Ende zu nehmen schien, spielten mein Freund und ich am Streek. Es
war früher Nachmittag und das Flüsschen war nur noch ein Rinnsal, das zwischen
Steinen und Flusskieseln dahin plätscherte. Der Himmel über uns war tiefblau,
und die Wolkengebirge, die sich darin türmten, ließen ihn unermesslich hoch
aussehen; die Erde darunter lag platt in der flirrenden Hitze und sah aus, als
ob sie schwitzte. Die Sonne brannte in unsere Nacken, während wir mit bloßen
Füßen im seichten Wasser hockten und die kleinen Fische beobachteten, die unter
uns hin und her flitzten.
„Das sind Stichlinge“, sagte mein Freund.
Ich schwieg und dachte darüber nach, weshalb man diesen Fischen gerade diesen
Namen gegeben hatte. Wenn sie einen Moment lang im Wasser still standen, waren
die kleinen Stacheln auf ihren Rücken deutlich zu erkennen. Schön fand ich sie
nicht. Durch die schräg einfallenden Sonnenstrahlen wirkten sie sehr schmal,
fast wie dunkle Nadeln, besonders wenn man sie von der Schattenseite
betrachtete. Die Stacheln gaben ihren Körpern etwas skeletthaftes. Aber sie
standen nie lange still.
In dem flachen Wasser und den niedrigen Furchen, die die Strömung in den
Flusssand gespült hatte, herrschte reger Betrieb. In kleinen Schwärmen bewegten
sich die Fischlein von der sonnigen Mitte des Flussbetts auf das Dunkel des
Uferstreifens zu, um dann plötzlich, wie auf Befehl, zu wenden und wieder
wärmere Gefilde anzusteuern. Dabei begegneten sie einigen Nachzüglern, denen sie
auf anmutigste Weise auswichen, so dass man hätte glauben können, sie tanzten
miteinander.
Ab und zu störten mein Freund und ich den silbrigen Reigen, indem wir einen
Kieselstein mitten in einen Schwarm warfen. Dann teilte sich dieser V-förmig, um
sich nur wenig später auf die gleiche Weise wieder zu vereinen. Manchmal griff
ich mit der Hand in den Schwarm und versuchte einen der Fische zu erhaschen.
Mein Freund fischte mit einem Marmeladenglas nach ihnen und hatte mehr Glück.
Neidvoll betrachtete ich den Fang. Die silbrigen jungen Stichlinge stießen mit
ihren Spitzmäulern an die Glaswand des Gefäßes und zuckten unruhig in ihrem
Gefängnis. Ihre weißen Augen hatten einen starren Ausdruck, die Kiemen fächelten
aufgeregt.
„Is ja gemein“, sagte ich ...
„Mein Opa hat auch welche“, antwortete mein Freund stolz. Aus seinem Tonfall war
zu schließen, dass er sich jetzt ebenbürtig fühlte.
Ein nagendes Gefühl zehrte an mir.
„Trotzdem“, beharrte ich.
Er hielt das Glas gegen die Sonne. „... fünf Stück ...“, sagte er zufrieden.
Dann sah er mich an und seine hellen Augen begegnete meinem dunklen, mürrischen
Blick.
„Na gut“ ... er hob das Glas. Und mit einem Grinsen, ohne dabei den Blick von
mir zu lassen, schüttete er die Stichlinge in hohem Bogen zurück in das Element,
aus dem er sie gefischt hatte. „... kann mir ja immer wieder welche holen.“
Mit ruckhaften Bewegungen schossen die Winzlinge in alle Richtungen davon, und
schlossen sich gleich darauf wieder der Schar ihrer Artgenossen an. Von einem
Augenblick zum anderen war mir wieder leichter ums Herz.
Nun zogen wir mit Stöckchen kleine Kanäle in den weißen Flusssand und lenkten
die Ströme des Wassers in andere Richtungen. Mit entzückten Rufen begleiteten
wir die Stromfahrt eines Stichlings, der durch das strudelnde Wasser von seinem
Kurs fort gespült wurde. Später saßen wir auf der sonnigen Uferseite, rupften
Binsen, flochten kleine Körbe und Matten, die wir auf dem Wasser schwimmen
ließen. Vorbei an Kieselsteinen suchten sie sich ihre Bahn, blieben auch hängen
an abgestorbenem Holz, das ihnen den Weg versperrte. Doch das kümmerte uns
nicht. Mit erhitzten Köpfen, kühlen Füßen und schon ein wenig müde betrachteten
wir das Gewimmel auf der Wasseroberfläche und darunter. Wasserläufer huschten
darüber hinweg, unten zwischen den Fischen taumelten Schwimmwanzen. Kleine
Mückenschwärme standen in der Luft, und gelegentlich schwirrte eine Libelle
vorbei.
Die tief stehende Sonne kündete den Abend an. Ein Weilchen blieben wir noch. Der
Moor-Express rollte ratternd auf den Schienen heran und überquerte den kleinen
Fluss. Unter dem Brückenbogen hielten wir uns die Ohren zu. Zeit heimzugehen.
Ich schlief unruhig in dieser Nacht - schlanke kleine Fische mit starren
Pupillen huschten durch meine Träume.
Juni 2001
© sigrid kriener
Kommentar von v. Doderer
Nochmals zu Deinem Kindheitssommer: Der Aufbau
besteht, was mir gut gefällt, in einem 'Zoom'
vom Großen ins Detail: zuerst der Sommertag eingebettet
in den schier ewig dauernden Sommer, dann tiefer
'gezogen' auf die kleine Szene am Fluß mit den beiden
Kindern, noch näher, in die konkrete Aktivität der
Szene und schließlich in die Gefühlswelt des Mädchens
hinein. Zusammen mit den schönen Bildern - der gute Effekt -
ich sag doch immer, die Form macht's !
Dies ist natürlich keine Kindergeschichte- sondern,
schön formuliert, 'die Erinnerung an einen
erlebnistiefen Sommertag' eine Tiefe, wie sie meist
nur in der Kindheit erfahren wird.
Du hast recht: Namen wären völlig unangebracht.
Dein erwogener 'Schritt zurück' entspräche, wie ich glaube, verstanden zu haben, Deiner Absicht, einen
Typus Erinnerung zu beschreiben, in der Mädchen
und Junge 'Platzhalter' sind um Leserin / Leser
zurückzuführen in dieses starke kindliche Erleben
eines Sommertages.
Du solltest weiter am Thema Kurzgeschichte bleiben!
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