madonnas archiv

Die Nacht / März 2000



Dieser Text entstand im Rahmen eines Schreibprojektes im März 2000 in der Autoren Community des Cycosmos.
Hat Spaß gemacht.








 









 

Die Nacht
 

Weit aufgerissene Augen starrten sie an aus dem Spiegel. Sie konnte es
nicht fassen.... Wohin war die Sanftmut ihres Antlitzes, die  früher,
gestern noch, ihr Wesen hatte strahlen lassen? Der Kerzenschein, die einzige Lichtquelle im Raum, zeichnete tiefe Schatten wie Narben auf ihr 
blasses Gesicht; sie erkannte sich nicht. Das flackernde Licht konnte
nicht hinwegtäuschen über die Gesichtstarre, die ihre Züge verzerrte. 
Sie war unfähig sich zu rühren. Blankes Entsetzen lähmte sie... 
Von irgendwoher erklang  immer wieder neu ansetzend eine
Melodie. - Langsam, schwerfällig, als litte sie unter Gicht, bewegte 
sich die Frau. Von ihrem Schoß nahm sie behutsam ein Neugeborenes in 
die Arme, wiegte es und summte dabei leise vor sich hin . Ganz still lag 
das Kind an ihrer Brust. Die Frau erhob sich, hüllte das Kind in einen 
warmen Schal und verließ die dunkle Kammer. 
Als sie Tür hinter sich schloss fiel ein Hut vom Haken... Vor dem Haus
zitterte sie vor Kälte. Ein schmaler Holzweg führte durch einen kleinen Wald zum Strand hinunter. Zielsicher schlug die Frau diesen Weg ein. Der Herbststurm zerrte an ihren Kleidern und ihre dunklen Locken  wehten ihr ins Gesicht. 
Die Frau hörte weder das Gewisper der Nacht noch die Eulenrufe. Sie 
folgte dem Weg , der im Mondlicht glänzte, bis zu einem kleinen Tempel, 
am Rand des Wäldchens,  nahe am Strand. Hier hielt sie inne. 
Sie drückte ihr Kind noch einmal an die Brust, dann legte sie es nieder 
und läutete an der Tempelpforte. Sie wartete nicht bis jemand öffnete, 
sondern wandte sich ab und ging hinunter zum Meer. Der Sturm 
peitschte das Wasser und in der Luft war der Geschmack von Salzwasser.
Am Horizont war ein Himmelsriss zu sehen... ansonsten war stockfinstere 
Nacht, der Mond war untergegangen.

Die Sonne schien in das Zimmer, Sonnenstrahlen streiften das Gesicht der  jungen Frau, die im Zimmer auf dem Diwan lag und schlief. Sie blinzelte, wollte die Augen noch nicht öffnen. Einen Moment später wurde sie jedoch schlagartig wach, als sie einen rücksichtslosen Stoss gegen die Bauchdecke spürte. Sie legte ihre Hand auf den Leib gegen das rumpelnde Etwas. -
"Hallo, Kleines", sagte sie, " Es ist noch nicht so weit". 

Draußen vor dem Fenster blühte der Hibiskus und die Kirschbäume 
verloren bereits ihre Blüten. "Sieht aus wie ein Schneegestöber" dachte 
die junge Frau. - Noch immer ertönte von irgendwo das Krächzen einer in einer Endlosschleife sich drehenden Schallplatte.



© sigrid kriener


            


Himmelsriss und Schneegestöber / Märchen
Behaart / Bodytext
Inhalt