Eine reale Begegnung aufgrund einer
Literaturforenbekanntschaft
Mehr von und über Asti auf
meiner Gastseite mit Dialogen aus dem Literaturforum
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Blind
Date
Der Mann, mit dem ich verabredet bin, ist Grieche.
Wir kennen uns aus einem Literaturforum – noch nicht lange und
nicht besonders gut. Ein paar Mal haben wir kultiviert gestritten.
Ich finde ihn etwas arrogant. Das ist alles.
"Vielleicht hast du ja Zeit auf einen Stehkaffee", hatte
ich vor zwei Tagen vorgeschlagen, als ich erfuhr, dass er heute nach
Hamburg käme. Er sollte nicht denken, ich sei schüchtern. Das wird
doch nix, dachte ich, mailte aber vorsichtshalber meine
Telefonnummer.
Als jetzt aber das Telefon klingelt, nehme ich den Hörer auf.
"Asti?", frage ich, ohne einen Moment zu zögern.
"Madonna?" Seine Stimme klingt überraschend jung und gar
nicht griechisch, eher süddeutsch. Wie alt ist er überhaupt?
"Ich habe bis drei Uhr Zeit", sagt er, "wo treffen
wir uns?" Er rollt das R.
Ich schlage den Alsterpavillon vor. Asti ist da in der Nähe und ich
kann in 15 Minuten dort sein. Wir werden kaum mehr als eine halbe
Stunde Zeit miteinander haben.
"Wie erkenne ich dich?" Plötzlich bin ich aufgeregt.
Bisher habe ich nicht mal ein Foto gesehen.
"Ich bin ganz schwarz", sagt er, "du erkennst mich
schon." Er scheint sich sicher zu sein.
Ich lache. "Das trifft sich. Ich bin ganz weiß."
Weiße Dame trifft schwarzen König, geht es mir durch den Kopf.
Gardez!
Ich greife mir meine Handtasche, versichere mich, dass die Kamera
darin ist und mache mich im Eilschritt und ein wenig skeptisch auf
den Weg zur U-Bahn und zu meinem Rendezvous. Ohne Lippenstift, ohne
Wimperntusche, ’einäugig’ – mit nur einer Kontaktlinse, die
zweite hatte sich am Morgen der Prozedur widersetzt.
Klosterstern – Hallerstraße – Stephansplatz - Jungfernstieg.
Während der Fahrt versuche ich mir den Mann vorzustellen: schwarzes
Outfit, angenehme Stimme - nicht mehr ganz jung, denn er hat mit
Theodorakis gearbeitet, wie ich weiß.
Theodorakis. Für mich der Inbegriff eines Griechen. In den
Siebzigern war seine Musik täglich im Radio. Berichte über seine
Inhaftierung durch die Junta und Bestrebungen um seine Freilassung
immer wieder in den Medien. Später, nachdem er frei war, Konzerte
überall in der Welt. Was für eine Persönlichkeit! Was für ein
Mann!
Es ist ein Juni, es ist heiß, ein strahlender Tag.
Die Terrasse des Alsterpavillons ist gut besetzt, doch nicht übermäßig.
Stechpalmen in Pflanzcontainern teilen die Anlage in kleine Inseln.
Es gibt diverse Männer in schwarz, aber es ist kein
"Grieche" dabei. Ich mache eine Runde durch das Lokal,
ohne Erfolg. Als ich wieder auf die Terrasse komme, schiebt sich ein
Schwarzgekleideter - eine pralle Tasche und eine Plastiktüte vor
der kräftigen Gestalt bugsierend - zwischen den Tischen hindurch
auf mich zu. Das ist er, zweifellos, so wie ich ihn mir vorgestellt
habe. Haare sehr kurz, blasser Teint, volle Lippen. Grausilberne
Stoppeln verdecken unvollkommen die weichen Gesichtszüge. Er lächelt.
Ich winke.
Wir setzen uns an einen der runden Tische und bestellen Wasser. Er
schwitzt und trocknet sein Haupt mit einem Papiertaschentuch. In den
ersten Minuten verliert sich die Unterhaltung fast im Blickabtausch.
Neugierig und abwartend zugleich. Ich mag seine Augen. Er ist mir
sympathisch. Ich hoffe, er denkt das gleiche von mir.
Wir sprechen über unsere Familien, über das, was wir beruflich
machen, über das ’sich -entfernen von ursprünglichen Zielen’.
Von Gewöhnung an Wohlstand - und, dass die Seele dabei Schaden
nimmt. Das Gespräch fließt locker dahin, ab und zu für einen
Augenblick unterbrochen von forschendem Schweigen.
Er habe bis vor kurzem nicht gewusst, dass es so etwas wie
Literaturforen im Internet gäbe, sagt er. Dann unvermittelt:
"Ich glaube nicht, dass ich dir noch so schreiben kann, wie
vorher."
Ich frage nicht, was er damit meint, sondern denke an das Geplänkel
im Forum – über "bis an die Grenzen gehen" in der
Kunst, über Sozialismus und die enormen Belastungen des
Managerseins, über "den Geruch seines früheren
Lebens..." - mich reizt an ihm eine spürbare Zerrissenheit.
Ich nicke. Ganz nebenbei krame ich die Kamera aus der Tasche.
"Ich darf doch?" Er signalisiert „Ja“.
Auf gut Glück mache ich zwei Fotos, denn auf dem Display meiner
Kamera ist wegen der Helligkeit nichts zu erkennen.
Asti spricht Deutsch ohne Akzent.
"Seit wann lebst du in Deutschland?" Nach seinem Alter zu
fragen scheint mir unpassend. Ich taxiere ihn zwischen Ende dreißig
und Anfang vierzig.
"Ich kam mit meinen Eltern nach Deutschland, auf der Flucht vor
der Junta. Ich war damals acht.", sagt er, "Deutschland -
das war die DDR.", fügt er mit dem Hauch eines Lächelns
hinzu, in seinen Augen blinkt es herausfordernd."
Welches Jahr war das noch mal?", frage ich und geniere mich
etwas.
"1968"
1968 - überlege ich – da war ich gerade seit einem halben Jahr
mit dem Studium fertig, hatte meine erste Anstellung in einer
Agentur. Es war die Zeit der Studentenproteste, der APO. Die Zeit
der Sit-ins, der Demos gegen den Vietnamkrieg. Gerade als es richtig
spannend wurde an den Hochschulen in Deutschland, begann mein
Einstieg ins bürgerliche Leben. Den Beginn hatte ich noch
mitbekommen. 1967 Farbbeutel auf das Amerika Haus. Die
Demonstrationen gegen den Schah, die Erschießung Benno Ohnesorgs
durch einen Polizisten. In Griechenland hatte die Armee geputscht
und eine Militärdiktatur errichtet. Auch in Deutschland wurde
dagegen protestiert.
1968 - Prager Frühling und dessen Beendigung im August des selben
Jahres durch Einmarsch sowjetischer Truppen unter Beteiligung der
DDR. Ich frage mich, wie sich Asti und seine Eltern gefühlt haben
mochten, in einem Gastland, das aufkeimende Freiheit im Nachbarland
unterdrücken hilft? Ob das zu Hause überhaupt thematisiert wurde?
Ich nehme mir vor, ihn später einmal darauf anzusprechen.
"Ich bin in Dresden zur Schule gegangen", sagt Asti. Die
Kreuzschule – einst gegründet für die Unterrichtung der
Chorknaben des weltbekannten Dresdner Kreuzchores. Tradition der
Musik. Auch heute noch. Damals eine der ganz wenigen christlichen
Schulen in der DDR.
Ich lausche, wundere mich, schweige.
"Das Exil", sagt Asti, "jedes Jahr zu den Festtagen,
das Ritual. Anstoßen mit den Gläsern. So." – er macht es
vor mit den Wasserflaschen, sie klicken am unteren Ende aneinander
-, "Und nächstes Jahr in der Heimat."
Ich erinnere mich an ein Bild: Günter Wallraff, der sich selbst
angekettet hat auf dem Syntagma-Platz in Athen, Flugblätter für
die Freilassung von politischen Gefangenen verteilend. Er wurde
verhaftet. Noch im selben Jahr brach das Militärregime zusammen.
Astis Vater kehrte zurück nach Griechenland und wurde Chefredakteur
der Zeitung der Kommunistischen Partei Griechenlands. Asti ging
weiter zur Schule in der DDR, machte Abitur und studierte in Leipzig
Germanistik und Philosophie. Verliebte sich, heiratete, blieb.
Er übersetzte unter anderem Kavafis und Ritsos ins Deutsche.
"Ich habe 15 Jahre mit Theodorakis gearbeitet", sagt Asti.
Ich lächle und denke an das, was er mir kurz zuvor erläutert hat:
"In Amerika ist es egal wer du bist, Hauptsache man kann dich
ausbeuten. - In Griechenland dagegen ist es wichtig, dass du jemand
kennst, der jemanden kennt."
In dieser Zeit, zwischen 1968 und 1984, hatte ich geheiratet, einen
Sohn und eine Tochter bekommen, hatte ein Jahr in Kalifornien gelebt
und drei Jahre in Paris.
"Warst du nie längere Zeit in Griechenland?", frage ich.
"Doch, 1992, gingen wir für vier Jahre. Ich wollte, dass unser
Sohn Griechisch lernt. Und die Familie kennen lernt. Onkel, Tanten.
- Schrecklich!!!" Asti lacht. Ich nehme ihm das nicht ab und
denke an 'My big fat Greek Wedding'.
Sein Handy klingelt. Die nächste Verabredung. Ein Konzertagent.
Asti überreicht mir eine DVD mit Aufnahmen von Events, die er mit
anderen gemeinschaftlich realisiert hat. Das Millennium-Event 2000
an der Siegessäule in Berlin das Millennium Feuerwerk auf der
Akropolis in Athen.
Wir umarmen uns nicht zum Abschied.
Ein andermal vielleicht.
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