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Begegnungen der besonderen Art 


Asti

Kennengelernt habe ich Asti zunächst als Gesprächspartner von Quoth , der den Ritsos -Übersetzer  2003 ins Forum der gruppe vier-w "quotiert " hatte.

Hier nun einige Geschichten, die er mir im Verlauf eines längeren Dialogs im Forum erzählte. Auch wenn der Dialog aufgrund meiner Nachlässigkeit nicht weitergeführt wurde.

Doch  hoffe ich  gelegentlich von ihm weitere Geschichten zu bekommen, wenn ihm danach zumute sein sollte zu erzählen, und vielleicht den Dialog  wieder aufzunehmen, der hier auf den folgenden Seiten wiedergegeben ist.

Vorangestellt sind die Sätze  aus dem Dialog, die ihn zum Erzählen  anregten .

Wie ich Asti in Realität kennenlernte, steht in meinem Text Blind Date .
Gelegentlich geht noch ein Gruß hin und her, wie zum Jahreswechsel und für die Zustimmung zu dieser Seite.

madonna , Januar2005

Asti @ madonna 1

Asti @ madonna  2

Asti @ madonna  3




Asteris Koutoulas Blog


Asteris bei Wikipedia

































































































































































































































          


 


Asti erzählt:

1.

Zitat:

Literatur lebt von der Imagination. Herzlich madonna


 

....also gut, hier ein imaginaerer brief an meine geliebte, 11 uhr nachts:

liebste,
ich weiss: du kaempfst; dutzende dinge, auf die du ein auge, die du im kopf haben musst. und diese hitze, die dich umgibt. diese schwuele hitze. 
denk auch an dich - und ab und zu nur an dich - bei all dem trubel. jeder halbe tag, an dem du dir nicht auch mal was goennst, nimmt dir etwas. also: alle zwoelf stunden hab zehn minuten fuer dich, fuer die tiefenentspannung, die totale entlassung, denk an was schoenes, an dein dorf, den hof von tante e., das wohnzimmer von n. und j. und die magischen naechte mit spaziergaengen durch das funkelnde ancona. 
triff dich mit mir in gedanken dort, ich werde da sein, und wir werden dann in einer taverne sitzen und einen wunderbaren fisch essen und tomaten-gurken-schafskaese mit zwiebel, und wir werden uns ein glaeschen wein genehmigen, und die eine und die andere katze wird um deine beine streichen, und dann kommt der servitoros und plaudert ein bisschen mit dir. man hoert boote in den hafen kommen, ganz leise, das wasser, und die berge weiss man ringsum. und jetzt leck dir mal ueber die lippen.
ich weiss, bei dir ist es wohl schon viel spaeter, vielleicht liest du meine zeilen erst morgen, aber ich hatte solche sehnsucht. es ist elf uhr nachts. es ist wirklich ein traum. ich weiss - es ist eine flucht auf eine insel, aber es ist eine schoene flucht. 
tausend kuesse fuer dich. ich wuensche dir, dass es auch ein paar zeiten gibt, in denen du durchatmen kannst, du hast ja gesagt, du liebst bombay; dann geniess es, so wie du kannst. ich stelle es mir immer noch irre vor: du in bombay ... 
ich wuensche dir ein paar erfrischende begegnungen und auch ein paar schoene blicke - obwohl ich eifersuechtig bin und es mir ein bisschen das herz zusammen krampft, aber ... warum sollen nicht auch ein paar andere maenner in deine schoenen augen schaun ... gibt es in bombay was vitaminhaltiges? zur not eventuell aepfel morgens vom fruehstueckbuefett. und denk wenigstens ein mal pro tag an mich.
dein a.

 

 

2.

Hallo M., apropos Geschichten: 

auf meinen vielen Reisen durch Europa in den letzten beiden Monaten konnte ich nachdenken und so erinnerte ich mich, was ich um jene Zeit gemacht habe, als du Leonard Cohen kennengelernt hattest (da ich gerade in Polen bin, schreibe ich die Umlaute aus, sonst liest du meine Texte mit Verzierungen...) 

Also, ich fuhr 1975, fuenfzehnjaehrig,  zum ersten Mal nach Griechenland. Ich erinnere mich, dass der Zug gerade die jugoslawisch-griechische Grenze passiert hatte, als sich mit einem Schlag die Landschaft veraenderte - die Luft heiss und flirrend, die Haeuser schlohweiss und flach, und (zum erstenmal fuer mich!) einheimische Griechen, laessig und "mediterran", ein Begriff der mir erst viel spaeter einfiel, aber ich erfasste instinktiv das mittelmeerische Gemuet dieser "eigentlichen" Griechen. Sie wirkten auf 
mich anders als ihre Landsleute der unfreiwilligen Diaspora im Ostblock, die ich als Kind in Oradea, Bukarest, Moskau, Iwanowo, Prag, Budapest, Dresden und Leipzig kennengelernt und mit denen ich gelebt hatte. Die griechischen Griechen erschienen mir stolzer, anarchischer, ungebrochener als jene im sozialistischen Exil, die sich zum Teil einer mir verhassten Ungebildetheit unterworfen hatten, doppelte Analphabeten, ihre eigene - griechische - Mutter-Sprache wie jene des Gastlandes ungenuegend 
beherrschend. Und obwohl sich viele von ihnen arrangiert hatten und Privilegien besassen, waren sie geduckt worden durch das Leben im real existierenden Sozialismus.

Das erfasste ich bereits 1975 (glaube ich), waehrend die Zypressen und Olivenbaeume an meinen Augen vorbeihuschten, waehrend sich bald eine mir unbekannte Sonne in einem mir unbekannten blauen Meer spiegelte, auf dem kleine Boote tanzten.
Ich, im rumaenischen und spaeter im dresdner DDR-Exil, war aufgewachsen mit dem praegenden und sich jedes Jahr wiederholenden Silvesterspruch meiner Eltern: "Und im naechsten Jahr in der Heimat". Er glich einer Beschwoerung, einer so nachhaltigen, dass ich mir spaeter, gleichsam wie unter Zwang, Griechenland ins Deutsche uebersetzte, als wollte ich meine beiden Heimatlaender - oder sind es Vaterlaender? - in meinem Innern vereinen.
Jener Spruch verwandelte sich naemlich mit der Zeit in eine drohende Gebaerde, in eine Chimaere, in eine kauderwelschende Empfindung: kai perassan meres poles messa sse ligin ora, ke perassan meres poles messa sse ligin ora, oi, oi mana mou, oi, oi, mana mou.
Ich erzaehle das, weil es meine obsessive Beziehung zu den von mir gemachten oder angeregten Buechern verdeutlicht. Denn Uebersetzen war fuer mich immer eine Ueberquerung, bei der es darauf ankam, den Fuss sicher aufs andere Ufer zu setzen. 
Uebersetzen ist stets auch eine "hoefliche Angelegenheit" - man muss sich negieren oder verschwinden koennen hinter dem Original oder sich darin verlieren lassen. (Inzwischen, das gebe ich zu, kann ich dies kaum noch.)
Als ich spaeter begann, Buecher herauszugeben und selbst zu verlegen, war dies fuer mich die Weiterfuehrung meiner uebersetzerischen Taetigkeit mit anderen Mitteln - und zugleich die Losloesung von einem permanenten Schuldgefuehl gegenueber meiner unbekannten Heimat Griechenland, die meinen deutschen Geist schon laengst bewohnte.
Alles, was dann kam, und vor allem die Edition der "Bizarren Staedte" - einer "inoffziellen Zeitschrift" - in jenem bizarren Land DDR, war fuer mich die Behauptung eines lebbaren freien Raumes innerhalb eines vormundtschaftlichen Staates, der Sieg meiner Phantasie ueber einen abgezirkelten und entfremdeten Alltag, ja in gewisser Weise die Apotheose des Machens um des Machens willen. Ein Raum fuer vernarrte Individualisten und fuer das, was man gemeinhin mit "Kunst" umschreibt.
Im Lande DDR gab es gluecklicherweise einige solcher Raeume. Und ich wuenschte mir schon damals, dass der Zufall oder die Neugier Leute, die sonst keine Beruehrung mit Kunst haben, mit solch einer fern-wehmuetigen unirdischen Welt wie dieser konfrontieren moegen. Denn in einer Zeit, die keine positive Utopie mehr hervorzubringen vermag, sollte wenigstens das "Schoene und Wahre", also das wunderbare Gefuehl der Freiheit, erfahrbar bleiben, und sei es nur in Nischen - so wie frueher und doch ganz anders.

Fuer einen ausgekochten Pessimisten wie mich - und das meine ich ohne jede Koketterie - hat sich seit der Arbeit an den "Bizarren Staedten" ohnehin grundlegend nichts an dem Umgang mit diesen Dingen geaendert. Ausser dass ich in Gedanken schon in die andere, die mediterrane Welt  uebergewechselt bin. In dieser spielen Phaenomene wie "Seele" und "Empfindung", "Meer" und "Licht" eine ganz andere Rolle als im kuehlen Deutschland, ja, sie sind fuers GERMANISCHE unuebersetzbar. 
Und auch das Pathos gehoert zum Alltag, genauso wie der Fanatismus und die Herzlichkeit. 

Waehrend jener ersten Zugfahrt durch Griechenland 1975 stieg in einem Dorf ein alter Mann mit einem Huehnerkorb in den Zug und stellte sich in den Gang. Grossgewachsen, kraeftig gebaut, mit dickem Schnurrbart und grauem Haar sah er durchs Fenster auf die Landschaft im Sonnenuntergang. Als ihn der Schaffner nach der Fahrkarte fragte, sah er ihn nur kurz an und sagte: "Ich besitze keine, mein Sohn". Der Schaffner holte einen Block heraus: "Dann musst du jetzt nachloesen, Opa!" - "Ich habe kein Geld bei mir", lautete dessen Antwort. Der Schaffner zuckte mit den Achseln: "Tja, Opa, dann musst du leider die naechste Station aussteigen!" Der alte Mann sah ihm in die Augen und beendete den Disput mit versoehnlicher Stimme: "Mach dir nichts draus, mein Sohn, da will ich auch hin." Und, setze ich hinzu, von da an wusste ich, dass auch ich dorthin wollte - und irgendwie bin ich staendig dorthin unterwegs. Wer weiss, ob ich jemals 
ankommen werde. Zumindest troeste ich mich mit Kavafis: "Der Weg ist Ithaka..." 

Viele Gruesse, A.

 

 

3.

Zitat:
Dabei schwaermen einige aus in Sphaeren, wo sie sich selbst und manchmal sogar den Weg zurueck verlieren.



Ich kannte einen aussergewoehnlichen Autoren, der sich selbst so unglaublich verloren hatte, dass er mir bereits in Ithaka angekommen zu sein schien, freilich, ohne es zu wissen. Er nannte sich flanzendoerfer, wahrscheinlich um seine Verwandtschaft mit pflanzlichen und doerflichen Existenzen zu assoziieren, und gehoerte zu den wenigen, die mir begegnet sind, fuer die Schreiben nichts anderes war, als eine zum Extrem verbogene Lebensform.

Fast vier Jahre nach seinem Selbstmord veroeffentlichte der Verlag von Gerhard Wolf, Janus press Berlin, das erste Buch Frank Lanzendoerfers (1962-1988), ein eigenwilliges und hochinteressantes literarisches Dokument. Ich kann uebrigens dieses Buch all jenen empfehlen, die sich jenseits von "Literatur" auch fuer das sogenannte authentische Schreiben interessieren. Was - zugegeben - unter der Hand bedeuten koennte, man habe es mit einem Phaenomen zu tun, das sich qualitativen Kriterien widersetzt.
Selbst der Herausgeber des Buches, mein Freund Peter Boethig, kapituliert in seinem Nachwort vor diesem Phaenomen und erklaert z.B. das regelmaessige Fasten Lanzendoerfers wie folgt: "Sein Fasten war, wie alles, was er tat, radikal ... "
Das Experiment mit dem Koerper konnte in ein sprachliches uebergehen und umgekehrt. Dazu muss man wissen, dass Lanzendoerfer mit dem Fasten so umging, wie andere mit Drogen – um jene Sinneswahrnehmungen zu erfahren, die er fuers Schreiben brauchte. Ich werde nie vergessen, wie er mir erzaehlte, dass er sich mit seiner Freundin auf den Balkon seiner Pankower Hinterhauswohnung aussperrte und den Balkontuerschluessel hinunterwarf. Er hatte nur Wasser mitgenommen, und sie hielten es immerhin einige Tage aus, bevor sie um Hilfe riefen.

Lanzendoerfer lernte ich 1987 bei der Arbeit an der in der DDR "inoffiziellen" Zeitschrift BIZARRE STAEDTE kennen, fuer deren ersten Band er GARUNA, ICH BIN gestaltete, eine Collage aus Texten, Fotos, Grafiken und Ueberarbeitungen; die Autobiographie eines anonymen ICH, so unent-schieden zwischen Lanzendoerfer und flanzendoerfer, dass der Autor mit drei Kreuzen unterschrieb. Der Text schien mir damals, und scheint mir noch heute, ein "Wurf" zu sein, seiner abgruendigen Melancholie und seltsam 
unironischen Sehnsucht nach Harmonie wegen: "ich bin krank/... die stimme der mutter: alles wird/ wieder gut. ein vogel, es ist winter, das leben,/ ist herrlich. & es ist der vaeterliche stammplatz,/ sonst ihm vorbehalten, nun darf ich &/ kein gezeter, gluecklich sein."

Lanzendoerfer litt nicht nur an seinem Einzelgaengertum sondern auch an der ihn umgebenden Vormundschaft. Im Mai 1988 kam es in meiner pankower Wohnung zu einer Begegnung der dritten Art, als zwei Stasileute bei mir auftauchten, um mich wegen der Bizarre-Staedte-Herausgabe zu befragen und Lanzendoerfer, der gerade bei mir war, etwas verdutzt und  augen-zwinkernd gruessten: "Ach, Herr Lanzendoerfer, Guten Tag!"  Woraufhin ich verdutzt fragte: "Sie kennen sich?" 
Der juengere erwiderte: "Kennen, ist gut gesagt! Was, Herr Lanzendoerfer! Ich dachte, Sie sind schon laengst weg!" - und spielte damit auf einen inzwischen zurueckgezogenen Ausreiseantrag Lanzendoerfers an. Es blieb still in meiner Kueche. Die beiden Stasileute wurden unsicher, wie immer nehme ich an, wenn ihnen die konspirative Grundlage genommen war: Ich schwieg, starrte sie an, Lanzendoerfer sass stumm kippelnd auf einem Stuhl, diese Stummheit dem Raum regelrecht aufzwingend. Nach etwa fuenf 
Minuten einer immer unertraeglicheren Stille standen die Stasileute auf und gingen fort.

Diesen Terror der Stille - wie ich es nennen wuerde - kultivierte Lanzendoerfer geradezu, ja diese Art des Terrors gehoerte zu den beliebten "Instrumenten", derer er sich bediente, um sich Spannung in den sonst langweiligen und trostlosen Augenblick zu holen ("telepathie eine leichtigkeit" schreibt er irgendwo); aehnliche Szenen, in ganz anderen Zusammenhaengen, erlebte ich mit ihm immer wieder. Aber er experimentierte - vor allem - an sich selbst und an allen um sich herum, abstands- und kompromisslos.
Diese Rigorositaet naehrte seine Schreibmotivation und beeinflusste natuerlich die Methodik seines Schreibens: "er schlaegt auf den vergangenen satz./ der satz bricht zusammen, ersteht von neuem" - lese ich im Text "Unmoeglich es leben", der dem ganzen Buch den Titel gab, ein Titel, der heute so symbolistisch wirkt, dass ich ihn gern austauschen wuerde. Denn eigentlich passt er zu gut zu den wehmuetigen und zugleich abgehackten poetischen Bildern Lanzendoerfers.

Gruss aus Oesterreich - Asti

am 26.11.2003 

 

 

© Asteris Koutoulas

 


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