Doderama präsentiert Doderers Abenteuer

  Wie wir wurden was wir sind (2)


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Dass ich in mich ging, hatte, zugegeben, vor allem einen persönlichen Grund. Kurz nach dem Zusammenbruch unsrer Novemberrevolte, meine Kampfgefährten flüchteten sich von der Pforte des Maximilianeums stracks auf die Sofas ihrer Analytiker, meditierten sich im fernen Indien die Seele aus dem Leibe, oder zogen aufs Land, begaben sich dort, verwirrte Handwerksmeister nötigend, in Schreinerlehren und fertigten an Sonn- und Feiertagen plumpe, braunviolette Teetassen, denen beim ersten Gebrauch die Henkel abbrachen, die schließlich als Aschenbecher und Kippensammler endeten, damals rauchte man ja noch, was die Lunge hielt.
In jenen flüchtigen Tagen jedenfalls schlich sich die Schüchternheit an mich heran und packte mich am Genick, wie eine Katzemutter ihr Junges, um mich bis auf den heutigen Tag nicht wieder loszulassen.
Wäre ich nicht von einem Tag auf den anderen so ungemein verlegen geworden, hätte ich darüber eigentlich baff erstaunt sein müssen, war ich doch von klein auf im Rampenlicht gestanden, hatte ohne Scheu vor tausenden im revolutionären Geiste versammelten Gutwilligen anfeuernde Lieder gesungen, ‚Im Osten geht die Sonne auf’ beispielsweise, und meinen Vortrag mit niedlichen Tanzschritten untermalt, oder, in engagierten Märchenstücken des Kinderladens, locker und mit regem Anklang, den ‚Biturbo Radicale’ gegeben, einen linksextremen Zwerg, der den korrupten Zwergenkönig vor das Volkstribunal bringt. Auch auf dem schrillen Höhepunkt der Siebziger kannte ich noch keine Scheu, beschied dem eines Abends zutraulich werden wollenden Löwauer ’die Hosen bleiben an’, was sie prompt auch blieben, und doch war ich nun über Nacht zum Befangenen mutiert, fing errötend das Stottern an wenn ich nur in den Spiegel schaute.
‚Ich bin plötzlich so unsäglich schüchtern Mutter’, sagte ich natürlich nicht, das hätte ich in dieser Verfassung nie über mich gebracht, sondern schrieb ich ihr auf einer Karte, unter den üblichen Glückwünschen zum Muttertag.
‚Du mußt dein Päckchen tragen, wie wir alle, Max’, schrieb die feinfühlige Frau zurück, dies, sparsam wie sie war, auf einer alten Zahlungserinnerung, wir waren zu jener Zeit fast immer pleite, aber bekannten uns voller Stolz dazu, und schob mir diese Mahnung zu nächtlicher Stunde unter meiner Türe durch ins Zimmer.
Ich las und verstand. Was blieb mir auch anderes übrig? Dem Schicksal sei Dank, hatte ich von meinen Vorfahren mütterlicherseits eine enorme Ertragefähigkeit vererbt bekommen. Also erduldete ich fortan mein Erröten, mein Herzrasen, meine Schweißausbrüche und Beklemmungen mit deiner Duldsamkeit, die auch den langmütigen Schafen Respekt abgenötigt hätte, wären diese eher einfältigen Tiere zu einer solchen Regungen überhaupt fähig. Denn mir wurde allmählich klar, es hatte das Schicksal, der bucklige Diener des wurmhäuptigen Gottes Zufall, mich mit diesem Leiden geschlagen, damit ich von aller oberflächlichen Geselligkeit Abschied nähme, um in der Einsamkeit Tiefgang zu gewinnen, wie ein Schlammbagger im Hafenbecken, dort, wo es donnerstags nach Räucheraal riecht, und im blassklaren Licht über grauen Wassern die Möwen schreien.
Ich würde Gedanken denken, im meiner nördlichen Geisteseinsamkeit, wie man sie nie zuvor gedacht hatte, auf daß sie aller Welt in Zeiten großer Not vor die Augen kämen und ihr bedeuteten: macht euch bloß keine falschen Hoffnungen! Doch musste für dieses Vorhaben ein stabiler Tisch samt Stuhl beschafft werden, Stöße von Papier und mittelharte Bleistifte. Als alles bereit war, meine Mutter hatte ihren Charme entsprechend spielen lassen, nahm ich Platz, spitzte meine Faber No.6 und wartete, was mir nun in den Sinn kommen würde.
Als erstes überfiel mich die Ahnung, daß ich vor Äonen schon einmal gelebt hatte, und zwar als Exemplar eines der Wissenschaft noch unbekannten Kleinbeutlers, der in Baumhöhlen lebte und das Eingangsloch beim Schafen mit seinem hornigen, wie ein Kiefernzapfen geformten Schwanzende verschloss, daher im Schlummer nahezu unangreifbar war. Doch lebte ich für diesmal in der Gegenwart und hatte statt Höhle und verhorntem Schwanz nur Papier und Bleistift zu meiner Verfügung. Deshalb gab ich mir einen Ruck und verfasste, nun zum Äußersten entschlossen, mein erstes Manifest, das mit ‚Ha!’ Betitelt war und auch nur aus diesem Wort bestand.
 

                                                          Als mir der Gedanke kam >>>>

 

 

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