Dass ich in mich ging, hatte, zugegeben, vor allem einen
persönlichen Grund. Kurz nach dem Zusammenbruch unsrer
Novemberrevolte, meine Kampfgefährten flüchteten sich von der
Pforte des Maximilianeums stracks auf die Sofas ihrer Analytiker,
meditierten sich im fernen Indien die Seele aus dem Leibe, oder
zogen aufs Land, begaben sich dort, verwirrte Handwerksmeister
nötigend, in Schreinerlehren und fertigten an Sonn- und Feiertagen
plumpe, braunviolette Teetassen, denen beim ersten Gebrauch die
Henkel abbrachen, die schließlich als Aschenbecher und
Kippensammler endeten, damals rauchte man ja noch, was die Lunge
hielt.
In jenen flüchtigen Tagen jedenfalls schlich sich die
Schüchternheit an mich heran und packte mich am Genick, wie eine
Katzemutter ihr Junges, um mich bis auf den heutigen Tag nicht
wieder loszulassen.
Wäre ich nicht von einem Tag auf den anderen so ungemein verlegen
geworden, hätte ich darüber eigentlich baff erstaunt sein müssen,
war ich doch von klein auf im Rampenlicht gestanden, hatte ohne
Scheu vor tausenden im revolutionären Geiste versammelten
Gutwilligen anfeuernde Lieder gesungen, ‚Im Osten geht die Sonne
auf’ beispielsweise, und meinen Vortrag mit niedlichen
Tanzschritten untermalt, oder, in engagierten Märchenstücken des
Kinderladens, locker und mit regem Anklang, den ‚Biturbo Radicale’
gegeben, einen linksextremen Zwerg, der den korrupten Zwergenkönig
vor das Volkstribunal bringt. Auch auf dem schrillen Höhepunkt der
Siebziger kannte ich noch keine Scheu, beschied dem eines Abends
zutraulich werden wollenden Löwauer ’die Hosen bleiben an’, was
sie prompt auch blieben, und doch war ich nun über Nacht zum
Befangenen mutiert, fing errötend das Stottern an wenn ich nur in
den Spiegel schaute.
‚Ich bin plötzlich so unsäglich schüchtern Mutter’, sagte ich
natürlich nicht, das hätte ich in dieser Verfassung nie über mich
gebracht, sondern schrieb ich ihr auf einer Karte, unter den
üblichen Glückwünschen zum Muttertag.
‚Du mußt dein Päckchen tragen, wie wir alle, Max’, schrieb die
feinfühlige Frau zurück, dies, sparsam wie sie war, auf einer
alten Zahlungserinnerung, wir waren zu jener Zeit fast immer
pleite, aber bekannten uns voller Stolz dazu, und schob mir diese
Mahnung zu nächtlicher Stunde unter meiner Türe durch ins Zimmer.
Ich las und verstand. Was blieb mir auch anderes übrig? Dem
Schicksal sei Dank, hatte ich von meinen Vorfahren
mütterlicherseits eine enorme Ertragefähigkeit vererbt bekommen.
Also erduldete ich fortan mein Erröten, mein Herzrasen, meine
Schweißausbrüche und Beklemmungen mit deiner Duldsamkeit, die auch
den langmütigen Schafen Respekt abgenötigt hätte, wären diese eher
einfältigen Tiere zu einer solchen Regungen überhaupt fähig. Denn
mir wurde allmählich klar, es hatte das Schicksal, der bucklige
Diener des wurmhäuptigen Gottes Zufall, mich mit diesem Leiden
geschlagen, damit ich von aller oberflächlichen Geselligkeit
Abschied nähme, um in der Einsamkeit Tiefgang zu gewinnen, wie ein
Schlammbagger im Hafenbecken, dort, wo es donnerstags nach
Räucheraal riecht, und im blassklaren Licht über grauen Wassern
die Möwen schreien.
Ich würde Gedanken denken, im meiner nördlichen Geisteseinsamkeit,
wie man sie nie zuvor gedacht hatte, auf daß sie aller Welt in
Zeiten großer Not vor die Augen kämen und ihr bedeuteten: macht
euch bloß keine falschen Hoffnungen! Doch musste für dieses
Vorhaben ein stabiler Tisch samt Stuhl beschafft werden, Stöße von
Papier und mittelharte Bleistifte. Als alles bereit war, meine
Mutter hatte ihren Charme entsprechend spielen lassen, nahm ich
Platz, spitzte meine Faber No.6 und wartete, was mir nun in den
Sinn kommen würde.
Als erstes überfiel mich die Ahnung, daß ich vor Äonen schon
einmal gelebt hatte, und zwar als Exemplar eines der Wissenschaft
noch unbekannten Kleinbeutlers, der in Baumhöhlen lebte und das
Eingangsloch beim Schafen mit seinem hornigen, wie ein
Kiefernzapfen geformten Schwanzende verschloss, daher im Schlummer
nahezu unangreifbar war. Doch lebte ich für diesmal in der
Gegenwart und hatte statt Höhle und verhorntem Schwanz nur Papier
und Bleistift zu meiner Verfügung. Deshalb gab ich mir einen Ruck
und verfasste, nun zum Äußersten entschlossen, mein erstes
Manifest, das mit ‚Ha!’ Betitelt war und auch nur aus diesem Wort
bestand.
Als mir der Gedanke kam
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