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Begegnungen der besonderen Art 



Asti im Dialog



Aus dem Forum der gruppe- vier-w

Auf dieser Seite nun der Thread aus meinem Autorenforum bei 4w,  aus dem
 die vorherigen Geschichten stammen.

Ich wünsche mir noch mehr davon, Ich lese das
mit großem Interesse. 

Ein Beispiel wie man sich in den Foren  von gegensätzlichen Positionen durch Dialog von annähert. Die Originaldateien sind nicht mehr
online.



Asti

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Beitrag: madonna @ Asti - Asti @ madonna




Asti
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...Fortsetzung von Seite2:

Fuer einen ausgekochten Pessimisten wie mich - und das meine ich ohne jede Koketterie - hat sich seit der Arbeit an den "Bizarren Staedten" ohnehin grundlegend nichts an dem Umgang mit diesen Dingen geaendert. Ausser dass ich in Gedanken schon in die andere, die mediterrane Welt uebergewechselt bin. In dieser spielen Phaenomene wie "Seele" und "Empfindung", "Meer" und "Licht" eine ganz andere Rolle als im kuehlen Deutschland, ja, sie sind fuers GERMANISCHE unuebersetzbar. Und auch das Pathos gehoert zum Alltag, genauso wie der Fanatismus und die Herzlichkeit.

Waehrend jener ersten Zugfahrt durch Griechenland 1975 stieg in einem Dorf ein alter Mann mit einem Huehnerkorb in den Zug und stellte sich in den Gang. Grossgewachsen, kraeftig gebaut, mit dickem Schnurrbart und grauem Haar sah er durchs Fenster auf die Landschaft im Sonnenuntergang. Als ihn der Schaffner nach der Fahrkarte fragte, sah er ihn nur kurz an und sagte: "Ich besitze keine, mein Sohn". Der Schaffner holte einen Block heraus: "Dann musst du jetzt nachloesen, Opa!" - "Ich habe kein Geld bei mir", lautete dessen Antwort. Der Schaffner zuckte mit den Achseln: "Tja, Opa, dann musst du leider die naechste Station aussteigen!" Der alte Mann sah ihm in die Augen und beendete den Disput mit versoehnlicher Stimme: "Mach dir nichts draus, mein Sohn, da will ich auch hin." Und, setze ich hinzu, von da an wusste ich, dass auch ich dorthin wollte - und irgendwie bin ich staendig dorthin unterwegs. Wer weiss, ob ich jemals ankommen werde. Zumindest troeste ich mich mit Kavafis: "Der Weg ist Ithaka..."

Viele Gruesse, A.

 


madonna
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Zitat:

....Ausser dass ich in Gedanken schon in die andere, die mediterrane Welt uebergewechselt bin. In dieser spielen Phaenomene wie "Seele" und "Empfindung", "Meer" und "Licht" eine ganz andere Rolle als im kuehlen Deutschland, ja, sie sind fuers GERMANISCHE unuebersetzbar. Und auch das Pathos gehoert zum Alltag, genauso wie der Fanatismus und die Herzlichkeit.



Lieber Asteris,
dank für die Geschichte vom alten Mann auf der Fahrt zur nächsten Station. - Ich wünschte manchmal wir alle könnten uns so erreichbare Ziele setzen. Dabei schwärmen einige aus in Sphären, wo sie sich selbst und manchmal sogar den Weg zurück verlieren. Andere halten sich fest am Seil. -Sie werden nicht nach Ithaka gelangen.

Interessant finde ich auch den von Dir oben vorgebrachten Gedanken. Wieso tut ihr "Südländer", die ihr hier im rauhen Norden erwachsengeworden seid, soviel leichter mit <<"Seele" und "Empfindung", "Meer" und "Licht"<< ?
Ich denke da auch an meine Freund Toma.

Herzliche Grüße
madonna

 


Asti
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Zitat:
Dabei schwaermen einige aus in Sphaeren, wo sie sich selbst und manchmal sogar den Weg zurueck verlieren.


Ich kannte einen aussergewoehnlichen Autoren, der sich selbst so unglaublich verloren hatte, dass er mir bereits in Ithaka angekommen zu sein schien, freilich, ohne es zu wissen. Er nannte sich flanzendoerfer, wahrscheinlich um seine Verwandtschaft mit pflanzlichen und doerflichen Existenzen zu assoziieren, und gehoerte zu den wenigen, die mir begegnet sind, fuer die Schreiben nichts anderes war, als eine zum Extrem verbogene Lebensform.

Fast vier Jahre nach seinem Selbstmord veroeffentlichte der Verlag von Gerhard Wolf, Janus press Berlin, das erste Buch Frank Lanzendoerfers (1962-1988), ein eigenwilliges und hochinteressantes literarisches Dokument. Ich kann uebrigens dieses Buch all jenen empfehlen, die sich jenseits von "Literatur" auch fuer das sogenannte authentische Schreiben interessieren. Was - zugegeben - unter der Hand bedeuten koennte, man habe es mit einem Phaenomen zu tun, das sich qualitativen Kriterien widersetzt.
Selbst der Herausgeber des Buches, mein Freund Peter Boethig, kapituliert in seinem Nachwort vor diesem Phaenomen und erklaert z.B. das regelmaessige Fasten Lanzendoerfers wie folgt: "Sein Fasten war, wie alles, was er tat, radikal ... Das Experiment mit dem Koerper konnte in ein sprachliches uebergehen und umgekehrt." Dazu muss man wissen, dass Lanzendoerfer mit dem Fasten so umging, wie andere mit Drogen – um jene Sinneswahrnehmungen zu erfahren, die er fuers Schreiben brauchte. Ich werde nie vergessen, wie er mir erzaehlte, dass er sich mit seiner Freundin auf den Balkon seiner Pankower Hinterhauswohnung aussperrte und den Balkontuerschluessel hinunterwarf. Er hatte nur Wasser mitgenommen, und sie hielten es immerhin einige Tage aus, bevor sie um Hilfe riefen.

Lanzendoerfer lernte ich 1987 bei der Arbeit an der in der DDR "inoffiziellen" Zeitschrift BIZARRE STAEDTE kennen, fuer deren ersten Band er GARUNA, ICH BIN gestaltete, eine Collage aus Texten, Fotos, Grafiken und Ueberarbeitungen; die Autobiographie eines anonymen ICH, so unentschieden zwischen Lanzendoerfer und flanzendoerfer, dass der Autor mit drei Kreuzen unterschrieb. Der Text schien mir damals, und scheint mir noch heute, ein "Wurf" zu sein, seiner abgruendigen Melancholie und seltsam unironischen Sehnsucht nach Harmonie wegen: "ich bin krank/... die stimme der mutter: alles wird/ wieder gut. ein vogel, es ist winter, das leben,/ ist herrlich. & es ist der vaeterliche stammplatz,/ sonst ihm vorbehalten, nun darf ich &/ kein gezeter, gluecklich sein."

Lanzendoerfer litt nicht nur an seinem Einzelgaengertum sondern auch an der ihn umgebenden Vormundschaft. Im Mai 1988 kam es in meiner pankower Wohnung zu einer Begegnung der dritten Art, als zwei Stasileute bei mir auftauchten, um mich wegen der Bizarre-Staedte-Herausgabe zu befragen und Lanzendoerfer, der gerade bei mir war, etwas verdutzt und augenzwinkernd gruessten: "Ach, Herr Lanzendoerfer, Guten Tag!" Woraufhin ich verdutzt fragte: "Sie kennen sich?" Der juengere erwiderte: "Kennen, ist gut gesagt! Was, Herr Lanzendoerfer! Ich dachte, Sie sind schon laengst weg!" - und spielte damit auf einen inzwischen zurueckgezogenen Ausreiseantrag Lanzendoerfers an. Es blieb still in meiner Kueche. Die beiden Stasileute wurden unsicher, wie immer nehme ich an, wenn ihnen die konspirative Grundlage genommen war: Ich schwieg, starrte sie an, Lanzendoerfer sass stumm kippelnd auf einem Stuhl, diese Stummheit dem Raum regelrecht aufzwingend. Nach etwa fuenf Minuten einer immer unertraeglicheren Stille standen die Stasileute auf und gingen fort.

Diesen Terror der Stille - wie ich es nennen wuerde - kultivierte Lanzendoerfer geradezu, ja diese Art des Terrors gehoerte zu den beliebten "Instrumenten", derer er sich bediente, um sich Spannung in den sonst langweiligen und trostlosen Augenblick zu holen ("telepathie eine leichtigkeit" schreibt er irgendwo); aehnliche Szenen, in ganz anderen Zusammenhaengen, erlebte ich mit ihm immer wieder. Aber er experimentierte - vor allem - an sich selbst und an allen um sich herum, abstands- und kompromisslos.
Diese Rigorositaet naehrte seine Schreibmotivation und beeinflusste natuerlich die Methodik seines Schreibens: "er schlaegt auf den vergangenen satz./ der satz bricht zusammen, ersteht von neuem" - lese ich im Text "Unmoeglich es leben", der dem ganzen Buch den Titel gab, ein Titel, der heute so symbolistisch wirkt, dass ich ihn gern austauschen wuerde. Denn eigentlich passt er zu gut zu den wehmuetigen und zugleich abgehackten poetischen Bildern flanzendoerfers.

Gruss aus Oesterreich - Asti

Ic

 

Asti
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Zitat:

ich schulde Asti noch die weitere Geschichte...
madonna



Hallo M.,

Habe mehrere Monate auf deine Geschichte mit Leonard Cohen gewartet. Wo, wo ist sie geblieben? Neulich erinnerte ich mich wieder an unser schönes Leben in der DDR, als es noch schwierig war Cohen, Bukowski und all diese anderen wunderbaren Abartigkeiten zu geniessen. Ich erinnere mich noch genau der Aussage von Claus Träger, meines Leipziger Literaturtheorie-Professors, der die Frage nach der fehlenden Mobilität im DDR-Roman wie folgt beantwortete: "Was wollen Sie? Wenn Sie in diesem Land, sagen wir mal, in Oschatz geboren worden sind, dann werden Sie in Oschatz leben, in Oschatz arbeiten, und in Oschatz sterben." Genau das war in dieser Hinsicht die DDR: man bereitete sich planmäßig auf den Tod vor; keine Visionen, keine Extravaganzen. Nein, alles ging seinen geregelten - kleinbürgerlichen - sozialistischen Trott. Alles verharrte innerhalb der Matrix. Die Bevölkerung durch die "Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei" gelähmt und korrumpiert, man gaukelte den Leuten vor, auf Konsumebene mit dem Westen Schritt halten zu wollen und können (was für ein revolutionärer Gedanke!). Dafür durfte auch keiner aufmucken.

Dem "Arbeiter" ging es gut (solange er nicht anfing nachzudenken), dem Intellektuellen (ich meine: dem wirklichen, also dem "Künstler") ging es schlecht, weil er, um ER zu sein, NACHDENKEN MUSSTE. Man lese heute im "Neuen Deutschland" von vor 1990, und man wird sofort verstehen, was ich meine: Angesagt war die allgemeine Verblödung im Namen der fortschrittlichsten und revolutionärsten Gesellschaft. Ich habe das schon damals als organisierten Versuch der persönlichen Entmündigung empfunden. Und konnte nicht akzeptieren, daß ein vergreister und realitätsenthobener Erich Honecker uns vorschreiben zu können glaubte, was wir zu denken, zu sagen und zu machen haben. Was für eine Hybris von einem solchen Kleingeist! Es war einfach lächerlich, aber auch tot-ernst.

Die eigene Kreativität auszuleben war in der DDR unerwünscht, und ich kenne viele Leute, die trotzdem danach lebten und kaputtgespielt wurden. Das beliebteste, einfachste und effektivste Mittel war, durchsickern zu lassen, daß der und der für die Stasi arbeitet. Es gab kaum einen Bekannten, über den nicht ein anderer gesagt hätte, ich solle mich vor ihm vorsehen... - so konnte man weder arbeiten noch leben. Unter solchen Voraussetzungen waren solche Künstler wie Cohen ganz anders, ganz elementar, wichtig. Oft fing die Nahrungskette mit ihnen an. Also, gib mir Stoff, gib mir die Geschichte...

Asti


madonna
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Zitat:

Zitat:

ich schulde Asti noch die weitere Geschichte...
madonna



Hallo M.,

Habe mehrere Monate auf deine Geschichte mit Leonard Cohen gewartet. Wo, wo ist sie geblieben? Neulich erinnerte ich mich wieder an unser schönes Leben in der DDR, als es noch schwierig war Cohen, Bukowski und all diese anderen wunderbaren Abartigkeiten zu geniessen. Ich erinnere mich noch genau der Aussage von Claus Träger, meines Leipziger Literaturtheorie-Professors, der die Frage nach der fehlenden Mobilität im DDR-Roman wie folgt beantwortete: "Was wollen Sie? Wenn Sie in diesem Land, sagen wir mal, in Oschatz geboren worden sind, dann werden Sie in Oschatz leben, in Oschatz arbeiten, und in Oschatz sterben." Genau das war in dieser Hinsicht die DDR: man bereitete sich planmäßig auf den Tod vor; keine Visionen, keine Extravaganzen. Nein, alles ging seinen geregelten - kleinbürgerlichen - sozialistischen Trott. Alles verharrte innerhalb der Matrix. Die Bevölkerung durch die "Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei" gelähmt und korrumpiert, man gaukelte den Leuten vor, auf Konsumebene mit dem Westen Schritt halten zu wollen und können (was für ein revolutionärer Gedanke!). Dafür durfte auch keiner aufmucken.

Dem "Arbeiter" ging es gut (solange er nicht anfing nachzudenken), dem Intellektuellen (ich meine: dem wirklichen, also dem "Künstler") ging es schlecht, weil er, um ER zu sein, NACHDENKEN MUSSTE. Man lese heute im "Neuen Deutschland" von vor 1990, und man wird sofort verstehen, was ich meine: Angesagt war die allgemeine Verblödung im Namen der fortschrittlichsten und revolutionärsten Gesellschaft. Ich habe das schon damals als organisierten Versuch der persönlichen Entmündigung empfunden. Und konnte nicht akzeptieren, daß ein vergreister und realitätsenthobener Erich Honecker uns vorschreiben zu können glaubte, was wir zu denken, zu sagen und zu machen haben. Was für eine Hybris von einem solchen Kleingeist! Es war einfach lächerlich, aber auch tot-ernst.

Die eigene Kreativität auszuleben war in der DDR unerwünscht, und ich kenne viele Leute, die trotzdem danach lebten und kaputtgespielt wurden. Das beliebteste, einfachste und effektivste Mittel war, durchsickern zu lassen, daß der und der für die Stasi arbeitet. Es gab kaum einen Bekannten, über den nicht ein anderer gesagt hätte, ich solle mich vor ihm vorsehen... - so konnte man weder arbeiten noch leben. Unter solchen Voraussetzungen waren solche Künstler wie Cohen ganz anders, ganz elementar, wichtig. Oft fing die Nahrungskette mit ihnen an. Also, gib mir Stoff, gib mir die Geschichte...

Asti

 

Hallo Asti,

wie schön, dass Du hier rein geschaut hast - und ich zufällig auch. Jedenfalls hab ich mich gefreut wieder von Dir zu lesen. Du glaubst gar nicht, wie ich das aufsauge.

Du kriegst die Fortsetzung -und vielleicht sogar eine erfundene, denn ich bin im Augenblick dabei mich im Prosaschreiben zu üben.
Ich habe mich eigentlich auf unbestimmte Zeit nur noch auch ein sehr kleines Forum festgelegt, damit ich nicht zusehr abgelenkt werde. Es ist der reine Zufall, dass ich hier herein schaute, weil ich eigentlich den Ordner in mein Autorenforum verschiebenlassen wollte. Ich hatte nicht mehr mit Dir gerechnet. Aber jetzt lasse ich ihn natürlich stehen.

Grüße Dich herzlich.
madonna



Asti
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was heisst „SOGAR eine erfundene“ – es ist doch eh alles erfunden, was wir hier schreiben, oder? stell dir vor, es wäre alles wahr. nicht auszudenken. und das ist noch das beste daran. denn schau dich doch in diesem forum um (ich kenne auch kein anderes). was siehst du? lauter wahre geschichten, geschrieben von illusionisten, kaputten, huren, bayerischen landtagskandidaten, eitlen gecken und einfühlsamen abstraktionisten, apokalyptisierenden galoppreitern, großspurigen kleinverbrechern des geistes, verhinderten ejakulationisten, neidvollen kleinbürgern. alles individualisten, unterwegs in sachen sinnsuche, zusammengewürfelt und vermixt, in erwartung auf die erleuchtung, die segnung, die offenbarung. manchmal amüsant, meistens ermüdend.

etwas erfunden-wahres über deine beziehung mit leonard wäre doch wenigstens etwas substantielles aus der abteilung klatsch und tratsch. und ich kenne nichts besseres.

asti

 

 


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