Wer mir noch vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass ich
schreiben würde, den hätte ich ausgelacht. Aber in dieser Autoren Community habe ich Mut gefasst, selber zu schreiben. Wo ich doch
anfangs gekommen war, nur um zu lesen...
März 2000
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Seele
Ein Mann lebte mit seiner Familie in einem Haus am Rande
eines großen Waldes. Jahr aus Jahr ein tat er seine Arbeit, pflegte seinen
Garten, fütterte das Vieh und am Abend war er müde und schlief traumlos bis
zu nächsten Morgen. Er hatte keine Sorgen, die Geschäfte gingen gut. Die
Früchte seines Gartens waren die begehrtesten auf dem Markt, und er lebte in
einem bescheidenen Wohlstand. Seine Kinder wuchsen heran, wurden ordentliche
Leute und schickten sich an, selbst einen Hausstand zu gründen. Er glaubte
schon, sein Leben würde immer so weitergehen bis zu seinem Ende. - Irgendwie
machte ihn das traurig, warum vermochte er nicht zu sagen.
Niemals in all den Jahren war er in dem Wald gewesen, an den sein Garten
grenzte. Wohl hatte er hin und wieder hinüber geschaut, aber es war ihm nie
in den Sinn gekommen dort nach etwas zu suchen.
Eines Tages besuchten ihn Freunde aus seinen Jugendtagen, leichtsinnige und
lustige Gesellen, und überredeten den Mann mit ihnen auf die Jagd zu gehen.
Er verstand sich nicht auf das
Waidwerk, aber da er nichts Besseres zu tun hatte, begleitete er sie in den
Wald. Seine Freunde machten sich auf die Jagd nach allerlei Wild, allein der
Jagderfolg wollte sich nicht so bald einstellen. Weil sie aber in
ausgelassener Stimmung waren, drangen sie immer tiefer in den Wald. Der
Mann, der so lange Jahre am Rande dieses Waldes gelebt hatte, sah zum ersten
Mal die riesenhaften Bäume aus der Nähe, die majestätischen Kronen, die
dunklen Schatten, die goldenen Lichterstrahlen, die die Laubdecke
durchdrangen und zauberhafte Muster malten, und zum ersten mal hörte er das
sanfte Rauschen des Waldes, wie eine Melodie, die er schon immer gekannt und doch nicht
wahrgenommen hatte. Ein unbestimmtes Verlangen befiel ihn und er folgte einem
schmalen Pfad. Bald hörte er die Stimmen der Jagdgesellschaft nicht mehr,
sondern befand sich allein, auf diesem Weg, der ihn tiefer und tiefer in den
Wald führte. Als er eine Zeitlang gegangen war, kam er auf eine Lichtung mit
einem kleinen See. Die Sonnenstrahlen entfalteten hier ihre volle Kraft; es
war warm im Gegensatz zur kühlen Frische des Waldes. Der Mann war müde
geworden und setzte sich in das hohe Ufergras um ein wenig auszuruhen.
Als er da saß, kamen die Tiere des Waldes um am
See zu trinken, und er wunderte sich, dass sie ihn nicht fürchteten. Wenig
später bemerkte er, dass er verstand, was sie sprachen. Aufmerksam lauschte
er den Rehen und den Vögeln, erfuhr, was die Bienen einander zusummten,
verstand alles und hätte doch nichts von dem berichten können, was er dort
hörte; mit keinem Wort seiner eigenen Sprache hätte er es erzählen können.
Er sah den Fischen zu, die im Wasser spielten, ihre glatten Leiber
schillerten und glänzten im Sonnenlicht, wenn sie plötzlich mit einem
übermütigen Satz ihr Element für einen Moment verließen, um dann gleich
darauf unter Blättern und zwischen Kieseln ein Versteck zusuchen. Er konnte
sich gar nicht satt sehend an dem fröhlichen Spiel. Nach einer Weile war
ihm, als ob ihn jemand beobachtete, und er schaute sich um. Aus dem
Uferschilf heraus starrte ihn ein dunkles Augenpaar an.
"Wer bist du?" fragte der Mann, doch er bekam keine Antwort. Er wartete und
nach einer kurzen oder längeren Zeit fragte er wieder: "Wer bist du? Was
machst du da?" Da teilte sich das Schilf und eine schöne junge Nixe lächelte
ihm zu. "Ich habe dich erwartet", sagte sie. Er konnte sich vor Verwunderung
nicht fassen und blickte sie sprachlos an.
"Woher wusstest du, dass ich komme?" fragte er endlich“, ich war doch noch
in meinem ganzen Leben nicht hier:" Die Nixe schwieg und mit einer flinken
Bewegung tauchte sie unter und einen Augenblick später vor ihm auf. Ihre
langen dunklen Haare fielen nass über ihre weißen Schultern und bedeckten
ihren schlanken Leib.
" Wie heißt du?" fragte der Mann. - "Ich heiße Seele", antwortete die Nixe.
Da war ihm, als hätte er diesen Namen schon einmal gehört, aber er konnte
sich nicht erinnern wann und wo. - "Wenn die Menschen traurig sind, kommen
sie zu mir, und ich rede mit ihnen über das, was sie sonst niemandem
erzählen", sagte sie. Da wurde der Mann sehr still, und konnte keine Worte
finden für das, was er gerne gesagt hätte, und seine Augen wurden feucht und
er schämte sich. Da streckte die Nixe ihre Hand aus und wischte ihm zart die
Tränen aus den Augenwinkeln. " Ich weiß alles" sagte sie und legte ihre
kühle Hand auf seine Wange. Lange sahen sie einander an. - Irgendwo, ganz
tief drinnen in seiner Brust regte sich etwas, was er ganz früher einmal
gekannt hatte. Es war kein Schmerz und es war keine Lust, es war eine
Glückseligkeit, für die sich keine Worte finden läßt. "Seele" sagte er,
"Seele".
Als es Abend wurde ging er heim. Der Mond war aufgegangen und beleuchtete
den Weg. Die Freunde waren schon lange vorher zurückgekehrt. Sie begrüßten
den Heimkehrenden fröhlich und er lächelte ihnen zu, doch an diesem Abend
sprach er kein Wort mehr. In den Wald und zu dem See ist er nie
zurückgekehrt. Aber traurig ist er nie mehr gewesen.
Er lebte noch viele Jahre still und zufrieden, und als er gestorben war, da
flog ein kleiner Vogel von seinem Haus geradewegs auf den Wald zu und
darüber hinweg, bis zur Lichtung und ließ sich dicht am Ufer in einem Busch
nieder und zwitscherte aus voller Kehle. Nicht weit vom Ufer erhob sich eine
Hand aus den Wellen und winkte.
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Februar 2000
© sigrid kriener
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