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Juni 2000 / Wenn ich München höre


 

Die Idee einen Text über  meine erste Reise nach München zu schreiben, kam mir beim Lesen der  Reise-berichte meines Autorenkollegen Doderer, dessen Reiseeindrücke bei seinen Reisen kreuz und quer durch Deutschland, ich sehr erheiternd finde. Diese Geschichte hier hat nicht annähernd den Witz; sie kam dennoch bei einer Reihe von Lesern gut an.


















































 



Matthias von Schramm

schrieb zu diesem Text:

Ein grosser Platz in München
auf der Suche nach Furchtlosigkeit
beim Erkunden der Sprache
Blick auf das was kommen mag
Und später
Gedanken
Sprache
Filme
Menschen vielleicht
die daran erinnern.

(für Sigrid)
19. September 2000




 

Wenn ich München höre ...

Einen Tag, nachdem Marilyn Monroe an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben war, am 6. August 1962, fuhr ich zum ersten Mal mit dem Zug von Hamburg nach München. Am Hauptbahnhof schlug mir die traurige Neuigkeit von allen Titelseiten der Tageszeitungen entgegen. Ich war geschockt. Zu jener Zeit bedeuteten Stars für mich noch etwas, und Marilyn war eine der ganz großen für mich. – Ich kaufte mehrere Zeitungen. Unterwegs vertiefte ich mich in die Berichte. Ich war damals 19 Jahre alt, und fast nicht aus Norddeutschland heraus gekommen, und keineswegs so selbstsicher wie heutige junge Frauen. Dass man in diesem Alter damals „Fräulein“ titulierte wurde, passte also sogar, jedenfalls für mich.
Diese Reise war mein erstes Stück Selbstständigkeit... Verreisen, zum ersten Mal ohne Begleitung. Als Studentin hatte ich wenig Geld, und hatte mich daher für einen Sonderzug entschieden der preisgünstig war, dafür aber zwanzig Stunden unterwegs. Ich hatte also genügend Zeit die Nachrufe zu lesen, die Abbildungen der schönen Verstorbenen zu betrachten und mich zu fragen, wie es mir wohl ergehen würde, wenn ich erst einmal 36 Jahre alt wäre, ob auch ich Angst davor hätte zu altern und nach und nach meine Schönheit zu verlieren.
Schönheit. – Wie wichtig das für mich war! Bis dahin hatte ich kaum etwas vorzuweisen in meinem Leben. Man bewunderte mich, weil ich schön war, das war alles. Und nun hatte sich Marilyn davongemacht und ließ alle Ängste zurück... war nicht mehr. Ihre Schönheit nur noch Zelluloid
Tod. – Das war bis kurz zuvor noch ein Begriff gewesen, der nichts mit mir zu tun hatte und nun war es schon der zweite Tod, der mich erschütterte. Nur wenige Wochen vorher war mein Professor, den ich bewundert und geliebt hatte gestorben, ebenfalls zu früh, im Alter von 42. Zum ersten Mal war ich von Trauer und Trostlosigkeit geschüttelt gewesen, hatte mich kaum beruhigen können. Nie wieder habe ich später bei Beerdigungen geweint... es war als hätte ich alle Tränen, die ich für solche Ereignisse hatte, auf einmal vergossen. –

Und nun war ich auf dem Weg nach München.
Zwei Ziele hatte ich dort. Erstens sollte ich Verwandte aufsuchen, die durch die Scheidung meiner Großmutter meiner Familie entrückt waren, und die von meiner Existenz keine Ahnung hatten. Niemand hatte mich dort angekündigt und ich selbst war auch nicht auf die Idee gekommen.
Zweitens war ich dort mit einem Kommilitonen verabredet. Dieser wollte mich mit seinem Freund bekannt machen, der ebenfalls ein ehemaliger Schüler unseres kürzlich verstorbenen Lehrers gewesen war. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Der Freund wohnte am Viktualienmarkt und hatte dort auch sein Atelier. Eine ganze Ausstellung erwartete uns, an die vierzig Bilder, abstrakt surrealistisch, in einer faszinierenden Technik. Farbig besprühte Spinnweben, die er auf dem Lande in alten Scheunen fand, montierte er auf dunkle Bildgründe wie schwebende Plazenta oder Lungenschmetterlinge. Ich durfte mir ein Bild aussuchen und besitze es heute noch. Wir aßen Käse und tranken Rotwein aus einer zwei Liter Flasche. Am nächsten Tag reiste auch noch mein Liebster an. Ich schwebte auf einer Wolke... teilte meine Zeit mit drei jungen Männern in München, einer Kunstmetropole. Wir besuchten Ausstellungen und Galerien, diskutierten über Kunst und sprachen von Leben und vom Tod. Eine neue Welt tat sich für mich auf. Ich - Landpomeranze, behütete Tochter - hatte so ein ganz klein wenig das Gefühl von Bohème und Existentialismus.
Als ich am späten Nachmittag die Klingel an einer Wohnung meiner Verwandten in Maximilianstrasse drückte, geschah zunächst gar nichts. Ich versuchte es ein zweites Mal. Da wurde die Tür einen spaltbreit geöffnet. Ein älterer Herr spähte hinaus in das Halbdunkel des Flures, dahinter erkannte ich eine Frau. Onkel Adolf und Tante Karla, Schwager und Schwägerin meiner Großmutter... nach anfänglichem Zögern wurde ich eingelassen in die dunkle Altbauwohnung mit den schweren Ledermöbeln. Ich erklärte den Grund meines Besuchs, es nützte nichts... die Stimmung blieb reserviert. Zwanzig Minuten später stand ich wieder unten auf der Maximilianstrasse und fühlte mich so frei ... so frei.... Familie.. bah! Was hatte ich damit zutun? Das war was für Spießer... Bourgeoises! Sollte meine Mutter sehen wie sie Kontakt zur Familie ihres Vaters bekam. Mich interessierte das nicht. Ich war Künstlerin, meine Freunde waren Künstler ...und am Abend würden wir in Schwabing einen drauf machen.


Juni 2000
 


   
         
               

 


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