lesbarkeit
einfache, klare sprache oder kunstwerkliche ziselierung?
durch mich selbst geht ein riss, bin ich doch vollkommen
gespalten.
für alle verständlich möchte ich sein, nicht nur einer
kulturelite hätschelkind, sondern jedem menschenbruder
bereicherung, pause im sisiphos, ahnung der gegenwelt,
zauberwort für der gefährtin wangenrot.
und doch springt meine sprache kapriolen, erfindet sich neue
wörter, spielt mit fremden, lässt sich von dunkelmännern
bobmots schenken, verschraubt ihre tanzschritte, stiehlt
symphonischen klang, reißt sich blutig am fleisch der
codierungen.
ich weiß nicht, was tun?
es schreibt aus mir heraus, schießt aus wie die bäume im
mai. ich als ganzer bin drin. kann nicht zurück hinter
meinen lebenswortschatz, meine lebenslesungsfrüchte, meinen
eigenen jux, den ich mir machen will, jaja, nestroy, dem
volk aufs maul schaun kann ich auch, aber dann, gleich
drauf, kommts wieder: die vulgata, caesar, seneca bis
rimbaud und pound. den einfältigen - nur eine falte? wie
will man da spielen? mit welchem gewinn darin suchen?
also so schreiben, dass der eine nur eine falte, der andere
den faltenwurf in jedem wort, jedem satz lesen kann? wie
caesar den vordergrund in kurzen, einfachsten hauptsätzen;
den hintergrund dazu in eingeschobenen, oszillierenden
gliedgefügen? doch wie soll der pinsel die eine falte
erkennen? farbig markieren sollte ich sie, oder aber in
fußnoten, jedem einfachen hauptsatz also eine girlande aus
ziffern, hochgestellt, hinterherwehen lassen wie einen
kometenschweif? kursiv, intensiv wen hervorheben: den
haupt-oder gliedsatz?
sollte ich getrennt: frauen- und männerliteratur schreiben?
langatmig, aber einfach für frauen; kurz, aber
polyphonierendes wortmaterial für männer?
ist das legitim? soll ich das kinderbuch in einen
vorgeblichen kinderwortschatz zwingen? ein
fremdwörterglossar in marginalien ergänzen? oder einfach den
texten vertrauen, sie würden ihre leser von alleine finden,
notfalls den gebildeten menschenbruder neben sich in ein
gespräch ziehen, zur beratung an sich heran lassen,
kommunikationsgewinn, menschliches zusatzplus auch für mich?
gibt es aber nicht andererseits eine schönheitslust am
unverstandenen? welcher zynische frauenfeind sagte nicht, es
gäbe frauen, die seien so unverständlich, dass man nicht
enden wolle, und könne, hinter ihrer leeren, doch
unbeschreiblich schönen maske doch noch immer weiter zu
suchen, um nichts zu finden?
kann nicht die vollkommene unverständlichkeit, aber
strahlende schönheit eines wortgemäldes auch im einfachsten
nebenmir ein inneres beben auslösen, wie die sonne oder der
regen oder der nächtliche sternenhimmel? warum traue ich ihm
nicht zu, dass er sich n i c h t voll grauen abwenden würde,
nur weil der sinn dunkel bliebe? gingen nicht centennien
menschen vor raunendem, ihnen fremdem latein in die knie?
ich weiß es nicht.
kommunikation oder anbetung? was will ich?
stehe ich auf der richtigen seite? lasse ich mich vor den
falschen karren spannen? kann und darf ich von welt absehen,
um nur der sprache zu leben? codiere ich für mich oder für
möglichst alle? ändere ich die welt oder nur mich? gebe ich
den armen brot oder nur wieder den reichen diamanten?
ich tue das eine und will das andere.
2004
© Susanna Bummel
Frei schreiben
Jeder Wunsch bewirkt sein Gegenteil. Mir wünschte man
fortdauernde Kreativität und schon ist alle Kreativität
verflogen wie Raben nach einem lauten Knall. Na danke!
Selbständig floss die Feder dahin in einem Früher, als ich
mich nur hinsetzen musste, die Hände bereit, die Gedanken
gebändigt wie eine Ameisenstraße. Nun aber überschichten
Theorieüberlegungen in mehreren Stapeln alles Quirlige im
Innern. Fort damit! Frei schreiben!
Wohin geht der Weg? Ins Narrentum, denke ich. Mir zur Freude
in den unentdeckten Kosmos des Heute. Wie das Wasser von mir
neu getrunken mir unberührt und rein erscheint, obwohl es
doch vor mit schon Dante getrunken hat, beispielsweise, mit
ausgetrocknetem Mund über dem christlich gedachten Inferno
sitzend, in das er die Klügsten vor ihm verbannt hatte,
nicht ahnend, einer Erzählung aufgesessen zu sein. Bevor
dieses Wasser also von Dante wieder ausgeschieden in einer
Kanalisation landete und zu Wolken verdunstete, da muss es
seine vermutlich schlechten Zähne umspült haben und eine
geübte Zunge. Dantewasser in den Wolken regnete es aus ihnen
herab, wurde aufgefangen, Grundwasser, Trinkwasser.
Getrunken von Tucholski. Ach, was rede ich, von Pampa und
Meer und dem Münchner Grundwasserspiegel. Urin der Ahnen.
Wie kann man nur die Wolken besingen!
Oder die Erde. Diesen Staub der Toten, auf dem wir stehen.
Ihnen will ich singen wie meine Fußsohlen sie streicheln und
anbeten: Ihr, die Ihr Alles hinter Euch gelassen, was gut
und schlecht, was Ihr und Fremd, die Ihr nun von mir
betreten werdet und betreten äugt, gesichtslos verschmolzen
zu einem Boden, der trägt, inmitten von Ozeanen auf denen
Ihr schwimmt. Treibgut (gut?) der Geschichte oder der
Ahnung, die wir aus Erzählungen von ihr haben. Meine
Erzählungen will ich dazu werfen in dieses Meer, nur um das
Wasser zu vermehren, es mit einem Mond vom dunklen Grund her
anzustrahlen, auszukegeln, zu beleuchten, bevor ich noch die
Erde braun und bittersalzig vermehre um einen Quadratmeter
zusammengedrückt. Anfangs nur von dieser Größe, denn das
Häuflein des Gebeins, ja ich geb eins, wird kleiner sein.
Ein Wurzelballen, so groß. Und treten wird man, so hoffe
ich, auf mich mit einem veränderten Gefühl. Was ist mit mir?
soll der Tretende sagen. Sich an die Stirne fassen oder an
das Herz. Ach, Sie meinen ein Herzziehen habe einen anderen
Grund? Nein, nein. Sie stehen nur auf einem Toten der
erinnert sein will. Der nicht aufhören kann, zu fühlen, zu
denken und zu lachen. Wie viele Tote müssen lachen zu einem
Erdbeben. Die Opfer, die zu früh Gefallenen ohne
Altersstarrsinn und Agonie. Aus dem Leben gerissen an einem
sonnigen Tag, in einem Moment des Gedankenspiels über Sexus
und Brot. Schon lauerte der Mörder. Schon zog sich das Blut
in sich zurück und hurtig die Schwelle genommen. Ist gar
nicht weit eigentlich vom Stand in den Boden, nur dies
kleine Stück. Ganz schnell geht das. Narretei von
gleichzeitig Verschwendung und Geiz. Das Gebein gehört mir!
Ein Knöchelchen schenk ich dir, Liebster. Auf ihm pfeife
mein Angedenk, wenn dein Abendrot kommt.
Meine Leber (leb-er? ist das der göttliche Startspruch?),
meine Nieren (nie-renn?), mein Herz (ha!erz?), meine Lunge (lieb-und-geh)
werden gehn. K-noch wird bleiben. K, ja, Kürzel des
Menschseins. Von einem K-aff-k ausgesprochen in dauernder
N-Abel-schau. Nur kein Abel sein, nicht wahr? Kain.
Kain schreibt also seine erschlagenden Worte in die Abels.
Gibt nur leider nicht viele. Sind alle schon erschlagen.
Aber ich trage das Kainsmal auf der Stirne und auf meiner
rechten Hand. Ich erschlage mich selbst. Hirnonan. Doch ich
werde mich auf den Knochen besinnen. Und auf die Knochen
Abels, die zu Hauf herumliegen müssen wie Sand am Wortmeer.
Eine ganze Wüste. Die Abeldünen. Dort kann ich mich frei
bewegen, sie formen nach meinem Bild. Sie wandern lassen in
unzähligen Umhäutungen. Sanft natürlich mit einem Summen.
Und auf dich, Liebster, gebe ich mein Wasser. Eine Oase
sollst du sein. Die Kainsoase, die mich erschlug. Die mich
schuf. Denn ein erschlagener Abel zeugt manches mal einen
Kain. Nur dann aber, wenn dieser das Mal schon trägt. Tragen
kann, denn auch das ist Erbe.
So habe ich mich also verortet. Spreche wie der erste Mensch
aus den Knochen. Spreche zu dem letzten Menschen in der
Erde. Frei.
Wälze die Dünen des Gesagten, Todeswerkzeug sich selbst
erzeugendes Todeswerkzeug, weiter um. Ein Mistkäfer, der
seine Ausscheidungen und die der anderen zu hübschen
Kügelchen formt. Sich davon ernährt. Seine Knochen stärkt.
Noch lebt.
© Susanna Bummel |