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Begegnungen der besonderen Art



Jörg Borgerding -
alias Jottbe


Schisser


Das Methusalem-Kompott

Ein Festmahl für Hitler

Gutemiene.htm
(noch eine Katzengeschichte)

Gedichte





 

Von Jörgs Geschichten ist dies die, die  besonders gerne mag. Warum will ich gar nicht groß erklären. Entweder man mag sie, oder man mag sie nicht. Jörg hat  ein Talent für absurde Geschichten  die bisweilen die Grenze der  Geschmack-losigkeit streifen. Und dennoch muss ich  darüber lachen, obwohl ich meine, ich dürfte es eigentlich nicht. Doch. Ich darf. Sie helfen das Unerträgliche zu verspotten und sich nicht von ihm unterkriegen zulassen.

Sagte ich schon das Jörg ein Bewunderer von Monty Python Flying Circus ist? Nein? Wieso wird klar, wenn man diese Geschichte gelesen hat. Er ist ein Bruder im Geiste.







































































































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Festmahl für Hitler veröffentlicht in:
Jörg Borgerding
Der Drippendeller und andere Geschichten, Auslesen Verlag

 

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Ein Festmahl für Hitler Jörg Borgerding

Auf Marut war Verlass. Wann immer ich den letzten Schluck Raki oder Efes getrunken hatte, eilte er herbei, ohne dass meine Augen die seinen suchen, ich einen Finger heben oder gar nach ihm rufen musste. Wortlos sorgte der kleine dunkelhäutige Türke, in dessen Land ich zu Gast war, dafür, dass ich nicht austrocknete.

Als ich den Platz auf der Terrasse des Strandrestaurants eingenommen hatte, saß ich noch im Schatten, den ein barmherziges Sonnensegel spendete. Seit dem waren gut zwei Stunden vergangen, die Sonne hatte ein gutes Stück ihres Weges zurückgelegt und heizte mir gewaltig ein. Mein Hemd war schweißgetränkt, doch das war mir egal. Vor mir lag auf weißem Teller ein großes, gegrilltes Steak, das ich mir als Mittagessen bestellt hatte. Es war unberührt, längst kalt, nicht ein Stückchen davon hatte ich gegessen. Ich hatte nur getrunken - und ich begann, das zu spüren.
Es waren keine weiteren Hotelgäste mehr im „Sandals“, wie dieses Restaurant des All-Inclusive-Hotels hieß, in dem ich vor drei Tagen – anders, als zunächst geplant, nämlich alleine - abgestiegen war. Bald würde das Restaurant den Mittagsbetrieb einstellen, die Putzfrauen würden den Holzboden fegen und die Tische säubern, und Marut und seine Kollegen würden die Tische für den Abend decken.
Und ich saß da, trank Raki um Raki und Bier um Bier, wie auch schon an den beiden Tagen zuvor, und kriegte das Bild nicht aus dem Kopf, das sich mir geboten hatte, als ich an jenem Donnerstag, knapp eine Wochen vor dem Abflug, früher als geplant von der Arbeit heim kam und Sonja nackt im Wohnzimmer auf dem Teppich kniend vorfand. Da lag auch ein Mann rücklings auf dem Teppich, ebenfalls unbekleidet. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Sonja hockte darauf.

Soeben hatte Marut mir ein weiteres türkisches Herrengedeck gebracht. „Bald Schluss, Chef!“, sagte er und sah mich, wie mir schien, ein wenig mitleidig an.
„Ja, Marut - bald Schluss!“, antwortete ich, merkte, das meine Zunge schwer zu dirigieren war und prostete dem Kellner zu. „Bald Schluss“, murmelte ich nochmals, in das Glas hinein.
Ich spürte etwas am Bein. Ich schaute nach unten und erblickte Hitler.

Ich mag Katzen, war immer fasziniert von ihrem stoischen Gleichmut, ihrem selbstvergessenen Sein, war schon oft ihren scheinbar leeren Blicken erlegen, die gleichsam alles Wissen der Welt und noch viel mehr in die Unendlichkeit senden oder von dort empfangen, in der Überzeugung, dass sie all die darin enthaltene Weisheit für ihr Wohlempfinden nicht benötigen – alles, was sie dafür brauchen, sind jede Menge Schlaf und ein paar Mäuse.
Katzen waren für mich immer die schönsten Tiere der Schöpfung. Und das hässlichste dieser schönen Wesen hockte in einem türkischen Freilufthotelrestaurant zu meinen Füßen, und sah mich aus eiskalten, eitergelben Augen mit winzigen schwarzen Pupillen an.
Überwiegend schmutzig-weiß das Fell, mit einigen wenigen schwarzen Flecken darin. Einer davon überzog den Schädel der Katze und wurde auf der rechten Kopfhälfte gradlinig von einem feinen weißen Streifen gescheitelt. Ein weiterer, kleiner dunkler Fleck auf der Kinnspitze erinnerte im Zusammenhang mit der Katzenfrisur sehr an den widerlichsten Schnauzbart der Weltgeschichte.
Nicht genug damit, begann Hitler zu sprechen. Und die Katze sah nicht nur aus wie der GröFaZ - sie sprach auch so. „Ihr Essen – schmeckt es Ihnen nicht?“ Ich schüttelte heftig den Kopf, rieb mir Augen und Nacken, ließ den Kopf auf den Schultern kreisen, trank mit einem Schluck den süßen Anisschnaps aus und blickte wieder zu Boden. Hitler saß immer noch da. Er war keine Ausgeburt meiner Trunkenheit.

Er seufzte und begann zu erklären. „Ich bin dazu verdammt, immer und immer wieder aufzuerstehen und immer und immer wieder als Hotelkatze in wechselnden Orten und Ländern dahin zu vegetieren - bis mich ein tunesischer Hotelboy packt und mir den Hals umdreht, mich thailändische Rotzlöffel in einer entlegenen Ecke hinterm Hotel steinigen, mich streunende, verlauste Strandhunde in Zypern zerreißen und auffressen, verrohte halbwüchsige Niederländer mir einen Schlauch in den After stecken und mich mit Wasser voll pumpen, bis mir …“ Er stockte, atmete schwer. Fast weinerlich fuhr er fort: „Ich wäre lieber tot - richtig tot, für immer und ewig, glauben Sie mir! Mein letzter Tod war die Hölle – in einem Strandhotel in Tel Aviv wurde ich von betrunkenen russischen Touristen mit Grillanzünderflüssigkeit besprüht und entflammt! Sagen Sie mir – womit habe ich das verdient?“

Die letzte Frage schien mir eine rhetorische zu sein, darum antwortete ich nicht. Er fasste sich wieder. „Also – was ist nun mit dem Essen?“, fragte er fordernd.
„Es ist Fleisch“, sagte ich, „Sie … Sie sind … Sie waren Vegetarier!“
„Nur bedingt. Außerdem war das eine andere Zeit. Die Umstände haben sich geändert. Ich muss fressen, was ich kriege. In Tel Aviv habe ich sogar, kurz bevor ich den Feuertod starb …,“, es fiel ihm sichtlich schwer, weiter zu sprechen, „… Gefilte Fisch gegessen - denken Sie sich nur!“
Ich versuchte, nicht zu denken. Mit unsicherer Hand führte ich das Messer, schnitt ein Stückchen des Steaks ab und warf es der Reinkarnation des Bösen vor die schwarzen Vorderpfoten. Gierig schluckte der Kater, ohne zu kauen, blickte Nachschub heischend zu mir auf. Ich gab es ihm. Stück für Stück schnitt ich vom Steak ab und fütterte den amtierenden Weltmeister im Massenmord.

Kaum hatte ich den letzten Happen zu Boden fallen lassen, sah ich eine andere Katze auf meinen Tisch zu humpeln, die noch hässlicher war als jene, die laut schmatzend neben meinem Tisch ihr Festmahl verspeiste. Klein, mickrig, anthrazitfarben und rattengesichtig, die rechte Vordertatze saß ihr wie ein Klumpen an der verkümmerten Pfote. Es wunderte mich nicht, dass auch diese Katze sprach. Es wunderte mich nicht, wie sie sprach, als sie bei dem Schlemmenden angekommen war. Es wunderte mich nicht, dass er es war.
„Mein Führer! Mein Führer!“
Hitler brauste auf. „Wie können Sie es wagen, mich bei dem besten Essen zu stören, das ich seit meinem letzten Aufenthalt auf dem Kehlstein zu mir nehme!?“
„Aber mein Führer – Sie sind in großer Gefahr! Wir sind in großer Gefahr! Einer der Hotelgärtner – ich habe ihn erkannt! Es ist …“
„Schweigen Sie endlich still und lassen Sie mich mein Mahl genießen“, herrschte der vierbeinige Führer seinen dreieinhalbbeinigen Propagandaminister an, woraufhin der - wie ein geprügelter Schäferhund - seinen Schwanz zwischen die Hinterpfoten klemmte und einige hinkende Schritte auf Distanz ging.

Mir reichte es. Ich erhob mich, trank im Stehen mein Bier aus, warf einen letzten Blick auf Hitler, der seine Mahlzeit fast beendet hatte und Fleischkrümel und Grillsoßentropfen vom Fußboden leckte.
Ich trat aus dem wandlosen Restaurant hinaus auf den Rasen und wollte hinunter zum Strand, um mich unter einen Sonnenschirm zu legen und zu versuchen, auch dieses Bild aus dem Kopf zu bekommen. Ich drehte mich noch einmal um, zu sehen, ob die Nazi-Katzen wirklich da waren, oder ob es vielleicht doch nur böse Gaukeleien meines vernebelten Hirns waren.
Sie waren da. Hitler sprang vom erhöhten Holzboden des Restaurants auf den Rasen. Goebbels folgte ihm. Ich hörte ihn rufen: „Der Gärtner - mein Führer! Sehen Sie doch den Gärtner!“
Hitler sah zur Seite und erblickte ihn im selben Moment wie ich. Neben einem buschigen Oleander, einen Spaten in der Hand, und nur gut eine Spatenstiellänge von den Katzen entfernt, stand ein dicker, alter Mann mit spärlichem Haar und teigigem Gesicht, eine Zigarre im Mund. „Das ist doch dieser verdammte britische …“, belferte Hitler los, weiter kam er nicht.
Erstaunlich schnell für seine massige Gestalt holte der Gärtner mit seinem Spaten aus und schlug auf Hitler ein. Immer und immer wieder. Der erste Schlag hatte ihn wohl schon gelähmt und halb betäubt, dennoch fauchte und keifte Katzenadolf weiter, bis sein Fell riss und sein Schädel platzte, und Hirn, Blut und Gedärme über den Rasen spritzten. Fassungslos - oder aus bedingungsloser Loyalität? - sah Goebbels zu, wie sein Gott auf einem türkischen Hotelrasen verreckte, jammerte ein letztes Mal „Mein Führer! Mein Führer!“, bevor der offensichtlich ebenfalls wiederauferstandene britische Premierminister ihm mit einem einzigen Spatenkantenhieb den Rattenkopf vom Leib trennte und der Hinkekater in einem gewaltigen Blutstrahl sein Leben vergoss.

Ich beugte mich leicht vor und kotzte mir auf die Füße. Der Gärtner signalisierte mir mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger seinen Sieg und marschierte, den Spaten über die Schulter, die britische Nationalhymne pfeifend, davon. Gleichzeitig war Marut herbeigeeilt, hielt mich, stützte mich, redete mir gut zu und wischte mit einem Tuch Flecken von meinem Hemd. Ja - auf Marut war Verlass.


© Jörg Borgerding   
 

 

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