Sisyphos on strike
Ich weiß nicht, wie lange mein Stein und ich - und es ist ja
immer der selbe Stein, ein Fels, fast etwas größer als ich,
den immer wieder selben Berg, den uns irgendein
unerfindliches Schicksal in grauer Unvordenklichkeit zuwies,
wie lange also wir uns dieser Umwelt zeigten, die uns
achtsam oder verächtlich dabei zusah, bei diesem für alle
anderen unsinnigen Unterfangen, nur uns Sinn und Erfüllung,
wie lange wir uns also diesem Wechsel schon ausgesetzt
hatten,
aus Mühe: ich im Stemmen und Rollen, mein Stein in Gewicht
und Schwerkraft, über die Huckel und Scharten, die schroffen
und rutschigen Partien, Abschnitte, Täler und immanenten
Kleingebirge des Berges hinauf
und das Unglück, das wir beide empfunden, ja, auch der
Stein, ich konnte es über die Jahre genau fühlen an der
vergehenden Abstrahlung von Reibungswärme, das Unglück, war
das Ziel erreicht, noch keines in Sicht, Kein Neu, kein
ANDERS, die Bösartigkeit, die nötig war, diesen Erreichten
Zustand aufzugeben, ihn zu verlassen, verlassen zu können
diesen Stillstand, die Verschwendung von Kraft, Energie und
Selbstheit, in den uns dieser Augenblick Ruhe zwang, die
doch nie sicher war, durch ein Abwärts könne wieder und
wieder ein Neuanfang gefunden werden -
nach Mühe des Bergauf und Unglück des kurzen Ruhepunktes der
Wechsel also,
erlösendes Bergab, seinbares Ausbrechen aus dem Zwang,
lockeres, lautes, fast übermütiges Gepolter von Stein und
mir, über die Buckel bergab, accelerierendes Gehüpf, fast
kindisch: plopp, plopp - holter die polter - weit trifteten
wir manchmal auseinander, der Stein und ich, und so in
Bewegung, so unbeschwert schien uns die Welt weit weg und
doch unter unseren Füßen tanzend, uns immer wieder kleine
Impulse zum noch schnelleren Absprung bietend, nichts zu
fordern, keinem Gesetz als dem Bergab unterlegen
bis zu dem heiligen, mystischen Moment des Ganzunten: des
Neuanfangs, dem immer wieder eine Art von Hoffnung immanent
war, weil neu, so zu eigen das Hoffen, das fast schon
sinnliche Begehren das Bergauf werde diesmal ein anderes, in
ihm stecke ein anderes, ein irgendwie neu zusagendes, neu
uns Zusagendes, ein noch besser oder noch schneller
vielleicht, ein Glücklicheres Glücken auch, eine andere
Beleuchtung, eine noch nicht gekannte Art von Ermüdung, eine
dem Stein und mir noch unbekannte Art der Verständigung, in
der ich ihm oder er mir in einem schwachen Moment ein noch
besserer Gefährte sein würde als jemals zuvor, ein noch
innigeres Verbundensein in diesem - nach außen doch
sinnlosen, nur uns bis ins Innerste erfüllende und
ausfüllende - Tun, dem einfach gemeinsamen Tun, das sich
selbst aus sich heraus immer noch gerechtfertigt hatte,
einfach als Bewegung, als lebensgesetzliches Richtig.
Und doch - seit einigen Zyklen eine Ermüdung in ihm und mir,
eine Gräue, man könnte sagen ein Altern, das nicht durch
Abnützung und Verbrauch, ja nicht einmal durch Gewöhnung
oder Erschöpfung durch das Tun eingetreten zu sein schien,
nein, ein mit dem Ganzen, dem Gesetz, dem Zwang, dem Berg
selbst in seinem Grau, mit der Hoffnung des Ganzunten auch,
die doch immer wieder etwas Farbe gegeben hatte: brach. Es
war eine Brechung, eine Gebrechlichkeit, ein sich drohend
festzusetzen scheinendes Gebrechen, Ja, ein Bruch durch
diesen ganzen insichruhenden Kosmos, der zunächst unmerklich
nur sich in eine immer größere Lustlosigkeit auswuchs. Eine
Unerträglichkeit, die lange, lange Zeit ausgeblieben war,
obwohl doch eigentlich immer insgeheim erwartet, als sei ein
giftiger Stachel ins Bewusstsein gedrungen, der dort
zunächst nur eine kleine Rötung, dann einen kleineren
entzündeten Bereich, nach und nach aber eine gehörige Welle
aneinandergeketteter Rotflecken zu einer nicht mehr
ausbremsbaren Entzündung gesteigert hatte.
Es musste etwas getan werden. Ein Neues, Anderes. Ein
Irgendwas irgendwie. Gegen die Zyklen der Bewegung, die
Erwartungen des Bergauf, das Unglück des Oben, gegen die
Freuden des Bergab und die Hoffnung des Ganzunten. Das
Antizyklische: Erwartungsloses. Wunschloses. Freudloses.
Hoffnungsloses. : STILLSTAND!
Der Stein und ich blieben im Ganzunten still nebeneinander
sitzen. Ich schloß die Augen.
Sobald ich selbst nicht mehr arbeitend in Bewegung war, fing
etwas an, in mir zu arbeiten. Auch im Stein innen. Ich
konnte es fühlen, denn er strahlte Wärme ab. Wir begannen zu
dauern.
© Susanna Bummel |