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Begegnungen der besonderen Art



Judith Simon-Graf
Graefinjutsch 

Rettling

Amen!



 

 

 

   
      
                                                                                        

  

 

  Amen!

Und auf einmal war Max fort. Sandra konnt’s nicht fassen. Eben noch war er da gewesen, direkt neben ihr. Längs neben ihr hergegangen war er, hatte selbstherrlich geschwiegen, ihren Monologen gelauscht, ab und an Schneebälle geformt und ins weiße Nichts geschmissen. dessen war sich Sandra absolut sicher gewesen. So sicher, wie sie beim Amen in einer Kirche sicher gewesen wäre, hätte sie es je auch nur einmal gesagt, geschweige denn in einer Kirche. Doch nie hatte sie es gesagt, denn Sandra glaubt nicht an Gott, weder an irgendeinen, noch an Ihn, den Einen.

Sie rief ihn, also Max. sofort an. Nach der Ansage seiner Mailbox beschimpfte sie ihn aufs Gröbste und verlangte einen unaufschiebbaren Rückruf. Danach verstaute sie ihr Handy und stapfte weiter. Es war kurz vor Mitternacht und unglaublich still hier draußen. Der Himmel über den Bäumen leuchtete orange und der Schnee war unter seiner dünnen Zuckerkruste beinahe so weich wie das Nichts. Sandra hatte Mühe zu gehen und orientierte sich an einem Reifenspurpaar, welches den verschneiten Waldweg mit einer schönen Doppellinie zierte. Hin und wieder zerstörten Wildspuren das Muster. Doch sie sah kein einziges Tier. Es war ja gottverlassen hier im Wald, fand sie und fühlte sich ebenso, was ja an sich nichts Neues oder ein Problem für sie war. Nur gerade war es eben anders als sonst. Max fehlte.

Ein Spaziergang. Ihr Liebster war zu müde gewesen. Außerdem gab es im Hotelzimmer Kabelfernsehen und Sandra mochte keine amerikanischen Sitcoms, jedenfalls nicht zum Einschlafen. Ihr Gatte leider schon. Und ehe sie also einschlafen konnte und wollte, war sie aufgesprungen, hatte sich mehrere Schichten Kleidung übereinander gezogen und ihrem Liebsten einen Kuss auf die Wange gehaucht. Du spinnst!, hatte dieser gemeint und Sandra war ohne eine Antwort davon gezogen. Sie hatte ja Max dabei, hatte sie bei sich gedacht, doch nichts gesagt, denn ihr Liebster mochte gar nicht, wenn sie so etwas sagte. Offensichtlich mochte er Max sowieso nicht, wahrscheinlich war er einfach nur eifersüchtig. Was Sandra auch beinahe verstehen konnte.

Es gab nur diesen einen Waldweg und er führte in sanften Schwüngen durch die Flur. Sandra schaute zurück und sah in der Ferne die Lichter des Hotels. Schön sah das aus, fand sie, wandte sich erneut den Doppellinien zu, die vorn in einer langgestreckten Kurve zu verschwinden schienen. Sandra ging weiter und hob dabei den Blick gen Himmel. Kein Mond. Schade. Trotzdem schön. Der Ärger über Max verflog. Kurzfristig nur, dann überkam er sie wieder, als Sandra hinter besagter Kurve plötzlich einen schwarzen Lieferwagen stehen sah. Sofort kroch Unbehagen in ihr hoch. Sie verharrte, kontrollierte den Weg hinter sich, sah der Kurve wegen nicht viel, zauderte und überlegte. Was sollte das denn nun? Wer kam denn nachts mit einem Lieferwagen in den Wald gefahren?

Max?

Sandra ging langsam weiter. Sie hätte ja einfach umkehren können, doch allein schon Max wegen oder besser gesagt, Max’ Abwesenheit wegen ging sie störrisch weiter. Sollte er nur merken, dass sie ohne ihn auskam. So!

Die Stille im Wald wurde beinahe schrill, fand Sandra. Sie erreichte den Lieferwagen, musste seinetwegen die von ihm so gut vorbereitete Spur verlassen und stakte zögerlich an seiner linken Seite vorbei. Sandra bekam eine Gänsehaut. Auf Fahrertürhöhe stellte sie schließlich mit höchstem Grauen fest, dass das Fenster heruntergekurbelt war, niemand darinnen zu sitzen schien, alles mucksmäuschenstill, finster und unglaublich gruselig war und sie ging plötzlich schneller, lief bald, obwohl doch der Schnee sie daran hindern wollte und ehe sie sich versah, fehlten auch die vertrauten Doppellinien. Was auch irgendwie logisch war, weil der Lieferwagen ja nun hinter ihr war und deshalb vorn auch noch keine Spuren hatte fahren können.

Sandra konnte also den Weg nicht mehr erkennen. Alles war weiß und still. Sie hörte nichts als ihren Atem und die Bäume und der Himmel konnten ihr leider überhaupt nicht weiterhelfen. Sandra rannte, jammerte, strauchelte, fiel, rappelte sich wieder auf, stakte weiter, blieb irgendwann stehen und atmete hektisch weiter. Weiße Wölkchen tanzten in eisiger Luft. Ihr Herz dröhnte. Einen klitzekleinen Augenblick überlegte Sandra sogar, ob sie beten sollte. Einfach so und einfach, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun könnte. Laut verfluchte sie ihn, also Max, und genau in diesem Moment dudelte das Handy. Grob unterbrach es die laute Stille des Waldes und Max sprach am Ende der Leitung. Er klang betont fröhlich.

Es war alles andere als schön, was Sandra so in den Wald hinaus und ins Telefon hinein rief und wahrlich nicht für gottesfürchtigen Menschenohren geeignet. Max jedoch ignorierte es, lotste sie per Telefon zurück, an der rechten Seite des dubiosen Lieferwagens vorbei und sprach dabei beruhigend auf sie ein. Schließlich erreichte sie heulend das Hotel. Sie musste klingeln, weil es schon so spät war und die verschlafene Hotelfachkraft schaute ob jenes Eindruckes, den Sandra gerade machte, kritisch in die Nacht hinaus. Nein, nein, alles in Ordnung, murmelte letztere und erstere verschwand achselzuckend im Hinterraum. Sandra schlich in ihr Zimmer, wo sie einen schnarchenden Liebsten und einen laufenden Fernseher vorfand. Sie schlotterte auch noch, als sie, nachdem sie die Fernbedienung gesucht, gefunden, den Fernseher hatte ausmachen können und unter die Bettdecke zu ihrem Liebsten gekrochen war. Der erwachte, schlang seine schönen Arme um sie und wärmte sie so lange, bis ihr warm genug war, um mit ihm zu schlafen. Etwas später erzählte sie ihm von ihrem grausigen Erlebnis. Doch als sie seine Meinung dazu wissen wollte und ihn deshalb in die Seite stupste, war er schon längst wieder eingeschlafen.

Nur Max saß -inzwischen von wo auch immer zurückgekehrt- auf dem kleinen Sessel neben der Tür und las in einem Buch. Sandra äugte nach dem Titel. Es war die Bibel aus ihrem Nachtschrank. Das war ja nun wirklich die Höhe!

Amen, Max!

 

   
   

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