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Begegnungen der besonderen Art



Wolfgang Ratz 

 

LYRIK

1
1
Gedichte

3  Lieder (spanisch)


PROSA

Sara und Hubert I 
aus dem Romanprojekt "Schönwetterpiloten"

Die Seele des Künstlers

Überlandfahrt von Cali nach Ibagué 
Reisebericht

 


 

PROSA

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Überlandfahrt von Cali nach Ibagué 

“Terminal de transporte” (Busterminal), ein brutaler dreigeschossiger Bau aus den frühen Siebzigern, viel Sichtbeton, heute mit rotlackierten Kreuzstreben abgestützt, weil einsturzgefährdet. Der rote Scania schiebt auf die Abfahrtsrampe. Noch ein Blick auf die stark erodierten Hänge der “Cerros” um Cali. Gras überwuchert die Schienen der Pazifikeisenbahn, seinerzeit von der Buslobby gekillt. 
Der Autobus kommt in Fahrt, zeigt sich auf den ersten Schlaglöchern gut gefedert, etwas zu gut vielleicht. Schwerer Seegang zu erwarten. Staubige Palmen am Straßenrand. Sobald der klimatisierte Bus die hundert Schlote der Industriezone hinter sich gelassen hat, beginnen die hellgrünen Zuckerrohrfelder des Caucatals. Rauch von verbrennenden Ernteabfällen steigt auf. Links und rechts die Landstrasse, Reparaturwerkstätten und kleine Stände, wo Hühnereintopf angeboten wird. Regenwolken kriechen über die Kordilleren. Cali und das Caucatal liegen immerhin auf ca. 1000 m. Ausgebeutete Bergflanken, für die Zementwerke von Yumbo? 
Aus den Lautsprechern südamerikanischer Techno. Grauenhafte Brüll- und Hüpfmusik, die aber keinen der Businsassen zu stören scheint, die jüngeren haben sowieso den Walkman laufen. Rote Steinbrüche in graubraunen Hängen. Die neue Strasse ist teilweise durch die Berge gesprengt, immer wieder eröffnen sich Ausblicke in die Ebene. 
Von Weiden und Bambushainen gesäumt: der Caucafluss. Orangegrüne Maisfelder, Zeburinder, Auwälder und wildes Zuckerrohr am ockerfarbenen Strom. 
Die üppig grünen Zuckerfelder sind der ökologische Tod des Tals, auch ökonomisch bringt der Zucker immer weniger. Die großen Fabriken, die - auch unter Androhung wirtschaftlicher und körperlicher Gewalt - das halbe Tal aufgekauft haben, sind größtenteils pleite. Träge mäandert der Cauca unter uns durch das Grün. Schwarze Hühnergeier fliegen schwerfällig auf. 
“Los Chiminangos a 500 m” Fischteiche (rote Tilapien) sind sehr in Mode und ein guter Zuverdienst. An improvisierten Holzgestellen aufgehängt wartet die Ausbeute auf Käufer. 

Wir passieren die Abfahrt nach Buga. Eine Hüttensiedlung, Wäsche flattert auf der Leine. Vielleicht ehemalige Bauern aus den Bergen, die auf der Flucht vor den Paramilitärs ins Tal gezogen sind. Auf der flachen Betoneinfassung eines kleinen Flusses liegen die Dressen und Stutzen einer gesamten Fußballmannschaft zum Trocknen ausgebreitet. 
Eine Mautstelle. Geld nehmen, Mautticket und Wechselgeld herausgeben, keine Zeit für ein persönliches Wort, ein mieser Job. 
Ziegelwerk “El Danubio” (d.h. Donau, warum auch immer). Ein Dutzend Hühnergeier kreist am Himmel. Wir fahren auf die Carretera 40 auf. 

Am Ende des Tals bricht die Sonne einmal durch die tief hängende Wolkendecke. 
Bananenstauden, unbewaldete grüne Kuppen. Ein riesiger Saman, an dem Flechten wie silberne "Bärte" hängen (erinnert mich an den “Patriarchen” aus “Die Prärie am Jacinto”). Weiße Zebus mit dem charakteristischen Höcker weiden auf steilen Wiesen, fressen schmale Terrassen ins Grün. 
Vallenatomusik aus dem Radio: Akkordeon, Bass und Guacharaca (Rhythmusinstrument). Ein gefühlvoller Sänger versichert der Geliebten, dass sie – wohlgemerkt nach der Mutter – die Freude seines Lebens sei. 
Zartgrüne “Guaduas”, eine Bambusart gleich riesigen Farnstauden. Die parkähnliche Landschaft geht jetzt in die “Fincas”, die Haciendas der Reichen über. Bambus, Bananen mit zerfetzten Riesenblättern, silberbärtige Baumriesen. 

La Tebajada. Hier beginnt das Kaffeeland, das zum Unterschied von den Zuckerplantagen in den Händen vieler kleiner und mittlerer Kaffeebauern ist. Daher die traditionellen Mentalitätsunterschiede zwischen den Kaffee- und Zuckerprovinzen, Kleinbäuerliches Unternehmertum auf der einen Seite und Sklavenwirtschaft auf der anderen. 
Armenia, 1999 zerstört durch ein Erdbeben; die dunkelgrünen Hügel mit Kaffeeplantagen gepflastert, dahinter die höheren Bergketten, deren Gipfel blassblau im Nebel verschwinden. Dies zur Rechten. Zur Linken sieht man den Bewohnern der Slums ins einzige Zimmer, Erdbebenopfer oder Opfer der Gesellschaft?

© Wolfgang Ratz

   


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