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Begegnungen der besonderen Art



Wolfgang Ratz 

 

LYRIK

11 Gedichte

3  Lieder (spanisch)


PROSA

Sara und Hubert I 
aus dem Romanprojekt "Schönwetterpiloten"

Die Seele des Künstlers

Überlandfahrt von Cali nach Ibagué 
Reisebericht




Wolfgang Ratz 

PROSA

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DIE SEELE DES KÜNSTLERS 

Die erste Ausstellung ist wie das Erste Mal. Erwartet durch all die Jahre mit einer brennenden Ungeduld, die jede unöffentliche Kreativität als Selbstbefriedigung abtut. Die erste Ausstellung ist wie das Erste Mal, denn wenn sie überstanden ist, bleibt ein schaler Geschmack von Schweiss und Peinlichkeit und ein unbenennbarer kaum mitzuteilender Triumph. Und dieser Augenblick verdammt den Künstler zu ewig neuen Ergüssen und ständig abflachenden Höhepunkten. Klingt das enttäuschend? Es ist enttäuschend. Und dennoch: irgend etwas muss uns ja weitertreiben, wenn alle Träume schon das Zeitliche segnen und die erste Ausstellung ist der Akku, den der Maler stets mit immer mittelmässigeren aber immer besser besprochenen Hervortretungen aufzuladen hat. So ist es, in 99 von 100 Fällen. Meiner war ein wenig anders. 

Die Galerie war nicht gross und nicht klein. Sie war winzig. Dennoch schienen ihre Wände sich nach allen Seiten hin auszudehnen und zurückzuziehen, und meine wild pastosen Bilder in nebelhafte Weiten mit sich zu nehmen. Die seltsame Agoraphobie, die mich überfiel, mochte damit zusammenhängen, dass die Eröffnung knapp bevorstand – genau genommen vor einer halben Stunde knapp bevorgestanden hatte - und ich mutterseelenallein in der Mitte des Raumes Wache schob, schräg vor dem Tisch mit den Liptauerbrötchen und den grünen Doppelliterflaschen. Der Galerist hatte soeben mit seiner langbeinigen plateausohlenbeschuhten Sekretärin den Ausstellungsraum Richtung Eckbeisl verlassen. „Rufen Sie mich an, sobald mehr als drei Besucher da sind!“ schrie er noch über die Schulter durch die sich schliessende Türe. Novembernebel kroch in den Raum. 

Ich bin Grazer und konnte nicht einmal wie meine Künstlerkollegen mit einer ansässigen galeriefüllenden Künstlerfamilie aufwarten. Mein Vater – ein korrekter Beamter der steiermärkischen Denkmalschutzbehörde - hätte sich nie bloss wegen meiner ersten Ausstellung ins verruchte Wien gewagt. Ausserdem glaubte er zu wissen, was ihn bei der Vernissage erwartete. Seine Enttäuschung wäre eine angenehme gewesen. Keine Irokesenfrisuren, kein lallender Abschaum, keine Kiffer auf dem Klo, keine Blut- und Sudelaktionen. Ich denke, die Stille des menschenleeren Raumes hätte er als beruhigend empfunden. Ebenso meine Mutter. Ich allerdings wusste mich knapp vor einem Nervenzusammenbruch. 
Mit zitternden Fingern fischte ich eine Zigarette aus der Packung und drehte rauchend einige Runden durch mein Oeuvre. Ein bitteres Lächeln verzerrte meinen Mund. Welche Sorgen hatte ich mir gemacht, ob meine rote Serie nicht allzu aggressiv auf den Besucher wirken würde, ob grün nicht eher die Kauflust zu steigern vermochte. Wie es aussah, hätte ich mit gleichem Erfolg Scheisse verwenden können, verdammt. 

Ein lautes Klopfen liess mich zusammenfahren. Mein Herz pumpte. Als ich öffnete, wehte es mich eisig an. Zwei glühende Augen bohrten sich in meine. Ein Mann mit Schlapphut, Schnauzer, langem schwarzen Ledermantel schob sich wortlos an mir vorbei in die Galerie. Er schritt die rote Parade ab, nahm sich für jedes Bild zwei intensive Sekunden, so dass er den Parcours in knapp eineinhalb Minuten absolviert hatte, wenn man von zwei Wegsekunden zwischen je zwei Bildern ausgeht. Er würdigte Doppler und Liptauer keines Blicks, kam schnurstracks auf mich zu, der ich seinem Vorgehen mit offenem Mund beigewohnt hatte, und sprach wie folgt: „Wieviel wollen Sie haben für den ganzen Plunder?“ Stolz und Gier hielten sich in mir die Waage, und ohne meine Kränkung zu verhehlen, sagte ich in einem Anflug von Grössenwahn: „Eine Million!“ 

Das Glühen in seinen Augen erlosch. Er legte seinen Aktenkoffer auf einen Sessel, liess die Schlösser aufspringen und gewährte mir Einblick in beträchtliches Vermögen. Während ich buchstäblich nach Luft schnappte, schloss er den Deckel und zog ein Stück Papier aus der Innentasche seines Mantels. „Ich bin fair zu Ihnen. Ich hab es nicht nötig, mit verdeckten Karten zu spielen. Ich spiele überhaupt nicht. Sehen Sie, ich hasse zufällig moderne Malerei. Ich verabscheue die Unverfrorenheit, mit der Sie und Ihresgleichen einer dummen, oder von verlogenen Kritikern für dumm verkauften Masse geisteskrankes Geschmiere als Kunst unserer Zeit andrehen – oder anzudrehen versuchen,“ rasselte er mit blecherner Stimme, mit spöttischer Geste in den leeren Raum. „Sie müssen zugeben, ich nehme kein Blatt vor den Mund. Nun werden Sie sich natürlich fragen, was es unter solchen Umständen mit meinem grosszügigen Angebot auf sich hat. Ich bin ganz offen zu Ihnen: ich kaufe ihre Bilder, um sie zu vernichten.“ „... um sie was?“ rief ich aus. „Sie haben sich nicht verhört, mein Bester. Das Zeug muss weg. Wenn Sie anderer Ansicht sind, schlagen Sie mein Angebot aus und Sie sind mich los. Sofort. Entscheiden Sie sich, aber tun Sie’s rasch.“ „Und wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?“ stöhnte ich, von widerstrebenden Gefühlen zerrissen. „Zufallstreffer. Ich beehre alle Galerien und Sie sind nicht der erste, dessen Werke ich der verdienten Entsorgung zuführen will.“ 

In meinem Gehirn brannten die Sicherungen durch und sämtliche Neuronen schienen sich kurzzuschliessen. Meine Hände zuckten, als ob sie den Reaktionär ohne weiteres erwürgen wollten, doch vor meinem inneren Auge schneiten frisch gepresste Fünftausender. Worte wie Entsorgung, Plunder, geisteskrankes Geschmiere hackten teuflisch an meinen Gehörnerven, doch ich konnte nicht leugnen, dass ich bis vor kurzem der einzige Besucher meiner eigenen Vernissage gewesen war. Sogar mein Galerist zog es vor, das Debakel anderswo in Alkohol zu ertränken. „Ich tu’s, verdammt noch mal ich tu’s!“ stotterte ich mit feuchter Stimme und gesenktem Kopf. „Unterschreiben Sie hier,“ schepperte seine Stimme nah an meinem zurückweichenden Ohr. Er führte mich zum Büffet, schob die vertrocknenden Brötchen zur Seite und strich das Papier mit üppig behaarten Händen glatt. 

Der Endgefertigte (er setzte meinen Namen ein) bestätigt, 20 Werke an Herrn N.N. für eine Summe von 1.000.000 ÖS (die Feder kratzte, der Speichel troff mir von den Lippen) verkauft zu haben. Herr N.N. ist berechtigt, mit den in seinen Besitz übergegangenen Werken in jeder beliebigen Weise zu verfahren. Der Endgefertigte verzichtet auf alle künftigen rechtlichen Schritte gegen Herrn N.N., dessen Ansichten zur modernen Kunst ihm bekannt sind. 

Wien, 9.November 1981, ..................... 

Als ob man seine Seele verkauft, schoss es mir durch den Kopf, eingedenk der in der Volksschule bis zum Erbrechen wiedergekäuten Altwiener Sagen und Legenden. Die Füllfeder schob sich zwischen meine schwitzenden Finger, eine altertümliche Feder, die schwer in der Hand wog. „Ich tu’s, ich tu’s,“ murmelte ich tief atmend. „Dann tun Sie’s bitte jetzt,“ trieb mich der Schlapphut an und griff nach dem Aktenkoffer. Als die Feder das Papier berührte, zuckte ich unwillkürlich zurück, doch dann riss ich mich zusammen und unterschrieb langsam, mit grimmiger Entschlossenheit. 
An den Galeristen dachte ich nicht, überhaupt wurde mein Kopf vollkommen leicht und gedankenleer, sobald ich die Unterschrift geleistet hatte. Gefühl- und gedankenlos hängte ich meine Bilder ab und schleppte sie zum Kleinlaster des Glutäugigen. Dieser nahm die Bilder in Empfang und schleuderte sie auf die Ladefläche. Mit jedem zur Vernichtung bestimmten Bild musste ich am Geldkoffer vorüber, zwanzig mal insgesamt. Plötzlich glaubte ich, ein höhnisches Lachen zu hören, doch in der Dämmerung des Novemberabends waren die Gesichtszüge meines seltsamen Kunden unbeweglich, wie aus Holz geschnitzt. Ich blickte auf die kahlen Wände der Galerie, griff nach dem Koffer und löschte das Licht. 

„Wollen Sie mitkommen?,“ schnarrte die wohlbekannte Stimme. „Wollen Sie es sehen?“ Wie unter Hypnose folgte ich ihm, stieg ein und fühlte mich verdammt. Nicht verdammt schlecht. Nur ganz einfach: verdammt. Der perverse Kunstvernichter fuhr mit höllischem Tempo Richtung Prater, der Donaukanal fegte an uns vorbei, links die Rotundenbrücke, hinein in die Kurve, die Reifen jaulten, hinter uns krachten die ungesicherten Bilder in die Seitenwände. Der Andere sprach kein Wort. Ich blickte nur nach vorn und begann mich zu fragen, auf was ich mich da eingelassen hatte. Der Koffer zwischen meinen Beinen wurde mir widerwärtig, sein Inhalt verhasst. 
Wir bogen in eine schlaglochübersäte Allee ein, die in den düsteren Prater hineinführte. Nach ca. zweihundert Metern lenkte der Mann das Gefährt auf eine hinter einer Schrebergartensiedlung gelegenen Wiese, wo allerlei zerfallendes Gerümpel der umgebenden Natur Hohn sprach. Ausrangierte Rasenmäher, halb vom Erzfeind überwachsen, rosteten neben kopflosen Puppen und zerbrochenen Spiegeln. Der Schlapphut stellte den Motor ab, das Licht verlosch, wir stiegen aus. 

Als die Ladeklappe herunterfiel und der Andere begann, meine Erzeugnisse zu einem Scheiterhaufen zu stapeln, erwachte mein Bewusstsein zu schmerzlicher Klarheit. „Nein, das darf nicht sein,“ schrie ich, als der Schlapphut einen Benzinkanister daneben stellte, „um Gottes Willen, das ist ja Wahnsinn.“ Ich machte Anstalten, nach den Bildern zu greifen. Der Andere verpasste mir eine kräftige Ohrfeige und warf den Geldkoffer vor meine Füsse. „Gekauft ist gekauft.“ 
„Behalten Sie Ihr Scheissgeld,“ stiess ich hervor und öffnete den Deckel des Koffers. Der Wind wirbelte ein paar lose Scheine auf. Verzweifelt warf ich ein paar Bündel nach meinem Widersacher, ohne ihn zu treffen. 
„Beherrschen Sie sich,“ brüllte er, „Der Handel ist geschlossen.“ 

Trotz des Windes der in den alten Bäumen rauschte und knarrte, hörte ich das Gluckern des ausfliessenden Benzins. Ein Funke leuchtete auf, fiel und schon stand der Scheiterhaufen in Flammen. 
Als die Bilder in Feuer und Rauch aufgingen, fühlte ich, als ob mir Herz und Eingeweide im Leib verbrannten. Einen Augenblick zuckten die Teufelspakte durch mein Hirn und eine irrationale Angst lähmte jeden Muskel. Die lodernden Flammen warfen einen leuchtenden Schein auf die harten Kanten der Gestalt, die neben dem Feuer stand. 

Teilnahmslos beobachtete ich, wie die Flammen meinen Lebensvorwand in Asche verwandelten. Als das Feuer fast vollkommen heruntergebrannt war, zückte der Schlapphut eine Polaroid und fotografierte zufrieden die qualmenden Reste. Dann richtete er die Kamera gegen mich. Unwillkürlich hielt ich die Hand vor mein Gesicht. 

„Haben Sie Angst, ich könnte Ihnen die Seele rauben?“ sagte er spöttisch und stieg in den Kleinlaster, der ohne mich über die pockennarbige Allee davonrumpelte. 

© Wolfgang Ratz


Wolfgang Ratz
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