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Begegnungen der besonderen Art



Wolfgang Ratz 

 

LYRIK

11 Gedichte


PROSA

Sara und Hubert I 
aus dem Romanprojekt "Schönwetterpiloten"

Die Seele des Künstlers

Überlandfahrt von Cali nach Ibagué 
Reisebericht




Wolfgang Ratz 
 
PROSA

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Sara und Hubert I (aus dem Romanprojekt "Schönwetterpiloten")

Als die Glocke läutete, machte sich Sara nicht die Mühe, ihre Bluse anzuziehen, da sie Jakob erwartete, und als sie Hubert Clausen bloßfüßig in BH und Jeans gegenüberstand, war die Überraschung beiderseitig. 

Hubert strich sich verlegen eine blonde Strähne aus der Stirn. 
"Sorry, ich wollte nicht so hereinplatzen ..." 
"Bist du aber. Was gibt's denn? Komm rein oder magst hier Wurzel schlagen?" Sara liebte idiomatisches Deutsch. 
"Das wäre wohl keine gute Idee", bemerkte Hubert mit einem Seitenblick auf das düstere Stiegenhaus, wo sich eine stieläugige Dame länger als erforderlich an ihrem Einkaufskorb zu schaffen machte. 

Sie traten ein und wenige Augenblicke später saßen beide bei Rotwein und Zigaretten an einem zerkratzten Ikea-Tisch, Sara nun mit schwarzer Bluse. 
„Dass man dich mal wieder sieht. Welchem Umstand verdanke ich diese Ehre?“ 
"Jack. Ich bring ihm seine Platten zurück, weißt eh, seine heiligen Salsa-Raritäten aus den Siebzigern. Wann ist er zu Hause?" 
"Du keine Ahnung, er kommt heut später. bleib einfach da, bis er aufkreuzt. Wie geht's übrigens der Theaterwissenschaft?" 
"Ach, der geht's blendend, mit jedem Jahr besser ... Fürs Fertigmachen bin ich schon zu müde, fürs Aufhören erst recht, aber lassen wir das. Was läuft eigentlich so bei dir, schreibst du noch?" 
"Ja, Einkaufslisten ..." 
"Echt schade, Sara, deine Gedichte waren sehr ... stark. Und dein Job bei der Botschaft?" 
"Gekündigt," sagte sie und ließ offen, wer wen und warum. 

Das Gespräch löste sich aus allen Belangen, pendelte immer gemächlicher von Wort zu Wort, um schließlich zu verebben. Sie tranken und rauchten, die Platte war zu Ende, die Stille lag katzenweich im Zimmer. 
Der Wein benetzte das Schweigen, die Flasche leerte sich, ein Kind schrie im Hof. 

"Manchmal habe ich es satt," brach Sara unverhofft die wohlige Lähmung. Hubert erschrak, er hatte keine Lust, sich als Klagemauer missbrauchen zu lassen. Andererseits hatte er sehr wohl Lust, sich in Saras dunklen Blick zu vertiefen und entschied sich in Sekundenbruchteilen dazu, ihre Frustration wenn möglich in andere Gefühle umzumünzen. 
So kalkulierend hätte er dies aber nicht formuliert, eher gar nicht; das eigene Tun und Lassen zu hinterfragen ist nicht sein Ding. 

"Ich hab es so satt, manchmal denk ich, ich sollte besser nach Kolumbien zurück..." 
"Versteh nicht ganz," warf Hubert ein, ohne irgendwas verstehen zu wollen. 
"Ich hab so das Gefühl, es geht einfach nichts weiter, jetzt bin ich vierunddreißig..." 
"Du nimmst mich wohl auf den Arm," meinte er ehrlich überrascht. Ihr schien in seinen Augen etwas Kindliches anzuhaften, etwas Unerwachsenes, zu dem er sich hingezogen fühlte. Verwandte Seelen und überhaupt. 
Er malte sich allerlei aus, ohne sich etwas auszumalen, hörte kaum zu, was die schöne dunkle Frau sagte, ihr Akzent spielte sich in seine Gehörgänge. 

"... ich lebe einfach so vor mich hin, das macht mir Angst." 
"Und Jack?" 
"Jakob kann das nicht verstehen, er ist immer in Bewegung, hat hunderttausend Projekte. Auch wenn nichts dabei herauskommt, stört ihn das kaum, es geht immer weiter, immer vorwärts. Ich habe das Gefühl, er braucht mich nicht und ich ...," doch sie führte den Satz nicht zu Ende. 

Sie schenkte so heftig ein, dass der Rotwein über den Rand schwappte. Sara tauchte ihren Zeigefinger in den verschütteten Wein, schrieb ihren Namen auf die Tischplatte, steckte den Finger in den Mund. Plötzlich legte sie ihre Hand auf Huberts braungebrannten Unterarm und sah ihm mit einer Direktheit in die Augen, die ihn verwirrte. Er wollte sie, er wollte sie sehr. 

© Wolfgang Ratz



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