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Begegnungen der besonderen Art



Omar alias Karlheinz Lörner

Gedichte 1

Gedichte 2


Prosa, Geschichten



 

 

Abschied von Kalazno  ist für mich ein neuer Text. Ich wusste zwar, dass Omar ein Haus in Ungarn bauen oder wieder herrichten wollte, bekam auch den Anfang davon noch mit durch Fotos.

Dann brach für einige Jahre der Kontakt ab.

Und jetzt lese ich diesen Text und finde ihn sehr traurig, und werde ihn auch später noch traurig finden.

Eine Art Tagebuchtext, der über den Tag hinaus geht.

 

 

 

 

   
        
           Zeichnung : Karlheinz Lörner                                                                              

  


 

  Abschied von Kalazno
von Karlheinz Lörner


Ich fahre ein letztes Mal durchs Dorf und fühle nach den durchtrennten Fäden. Es war immer mein Ehrgeiz, alles, was ich einmal begonnen hatte, auch zu einem gelungenen Ende zu bringen. In letzter Zeit gelingt mir das immer weniger.

Hier konnte ich mein Scheitern im zerrissenen Gewebe fühlen.

Ich beschreibe der Käuferin eine Vorstellung von einem Haus, weil ich es in diesen sieben Jahren nicht vollenden konnte. Ich spüre den Verlust in den Fingern, wenn ich über die Pfosten fahre. Ich schaue mir den Wuchs der Bäume an und denke sie groß und Früchte tragend. Ich erträume mir den Garten. Ich begreife den Lehm der Wände.

Alles entgleitet mir aus der Realität zur Geschichte, die andere weiter erzählen werden.

Ich schließe mein Arkadien wie ein zu Ende gelesenes Buch.


©
Karlheinz Lörner




 

 



Mondkälbchen

von Karlheinz Lörner



Dass ich auf dem Mond lebe, weiß jedes Kind. Sie sagen zu mir, Omar, du lebst auf dem Mond oder sogar hinter dem Mond. So schreibt man doch keine Gedichte mehr. Aber das macht mir nichts, ich lebe gerne auf dem Mond. Ich will gar nicht die vielen Vorteile aufzählen, die man hier vom erdlichen Standpunkt aus hat. Eins aber ist schon wichtig für mich, ich sehe die Erde nicht mehr, wenn ich auf die Rückseite des Mondes gehe, und besser noch, die Erde sieht mich nicht mehr, niemand auf der Erde.

Dort, hinter dem Mond begegne ich dem Mondkälbchen. Das Mondkälbchen ist wie alle Kälbchen der Welt das Kind einer Kuh. Nur der Vater ist etwas ungewöhnlich. Er ist ein Sternbild, in das sich die Kuh in einer klaren Juninacht verliebt hatte. Das ist auch der Grund, warum das Mondkälbchen einmalig ist. Ich bin mir also sicher, dass ich immer dem gleichen Mondkälbchen begegne, wenn ich über die Rückseite des Mondes spaziere.

Heute ist das Mondkälbchen sehr nachdenklich. Es sitzt auf einem Mondstein und sieht dem Sonnenuntergang zu. "Sag mal Omar, du bist doch manchmal auf der Erde, um deinen Wein zu holen, sind die Sonnenuntergänge auf der Erde auch so schön wie hier?" "Sie sind anders." "Wie anders." "Sie haben mehr Atmosphäre, deshalb sind sie auch nicht so klar." "Ich liebe Klarheit." "Ich auch."

Das Mondkälbchen blickt mich mit großen, kugelrunden braunen Augen an. Auch die Kälbchen auf der Erde blicken so. Immer. Das ist auch der Grund, warum ich mich immer so schuldig fühle und mich abwende und weggehe.

Heute war ich auf der Erde in dringenden Angelegenheiten. Verschiedene Sachen gibt es nur auf der Erde. Dazu gehört natürlich Wein und leider auch Liebe. Auf dem Mond kann es keine Liebe geben, weil dort alle Wesen einzeln sind. Es gibt den Mann im Mond, das Mondgesicht, die Mondsichel, das Mondpferd. Alle Wesen auf dem Mond mögen einander. Aber Liebe, Liebe gibt es nur auf der Erde - auch den Hass. Dass das möglich wurde, hat die Erde zwei Geschlechter erfunden. Manchmal suche ich dort nach der Liebe. Doch nie kann ich sie mitnehmen auf die Rückseite des Mondes. Auch die Zeichen für Liebe kann ich nicht mitbringen, denn die Gegenstände zerfallen auf dem Mond. Der Mond lässt keine Gegenstände zu.

Das Mondkälbchen hat mich erwartet. Es steht an der Grenze der Rückseite und blickt über den Rand.

"Warst du wieder auf der Suche nach Liebe, Omar?" "Ja, aber ich habe Wein gefunden." "Was ist Liebe?"

Das habe ich erwartet. Das Mondkälbchen geht mir mit seinen Fragen auf die Nerven, besonders, wenn ich etwas nicht erklären kann. Aber ich weiß schon, was ich machen muss, um darum herum zu kommen. Ich erzähle ihm die Geschichte vom Wein.

"Pass auf, ich erzähl dir die Geschichte vom Wein. Dann verstehst du die Liebe. - Als die Erde die Liebe erfunden hat, ist sie davon ausgegangen, dass immer ein Wesen ein anderes findet. Das mag wohl am Anfang ganz gut gelungen sein. Aber je mehr Wesen die Erde bevölkerten, desto weniger fanden sie einander. Und so kam der Hass in die Welt. Da sah die Erde, dass sie einen Fehler begangen hatte und ließ den Wein wachsen. Der hilft den Einsamen durchs Leben, wenn sie auch immer nach der Liebe suchen. Manche können damit fliegen. So bin ich zum Mond gekommen."

Ich denke, das reicht. Das Mondkälbchen wird nicht gemerkt haben, dass ich die Liebe nicht erklären kann. Aber ich habe mich getäuscht. Es ist klüger als ich dachte.

"Omar, du solltest der Erde sagen, dass die Wesen zuerst sich selbst lieben sollen. So geht die Liebe nicht verloren."

Die Antwort hat mich sehr überrascht und ich werde mir den Satz merken bei meinem nächsten Besuch auf der Erde.

Ich habe immer weniger Freude daran, zur Erde zurückzukehren. Der Mann im Mond beobachtet die Erde. Er hat von Natur aus einen Gegenstand, eine Laterne. Es ist so ziemlich der einzige Gegenstand, der nicht sofort zerfällt. Das Zerfallen ist übrigens auch der Grund für meine Erdaufenthalte. Es ist nicht die Liebe, es ist der Wein und den gibt es leider nur in Flaschen und Fässern. Mit der Laterne hat er einen besonderen Durchblick. Er kann auf der Erde alles sehen. Nur erklären kann er es nicht. Darum fragt er mich oft um Rat. Er ist sehr geschwätzig. Er hat einen Hund beobachtet, der ein Schaf angefallen hatte. Ich konnte ihm das nicht erklären. Es passte nicht in mein Schema.

Das Mondkälbchen hat zugehört. Es fragt mich, warum ich das nicht erklären kann.

"Warum, Omar, der doch in beiden Welten zu hause ist, kannst du mir das nicht erklären?" "Weil ein Hund kein Kalb reißt sondern es hütet." "Aber - es ist doch mit mir verwandt. Ich bin auch ein Kälbchen!"

Das Mondkälbchen ist sichtlich verstört und ich versuche es zu beruhigen.

"Es wird eine Krankheit sein." "Was ist Krankheit?"

Das wird schwierig.

"Krankheit ist der Weg in den Tod auf der Erde." "Erlöschen die Wesen auf der Erde nicht wie die Sterne" "Nein, sie leiden vorher." "Was ist Leiden?"

Das habe ich erwartet. Jetzt muss ich gleich Gott ins Spiel bringen. Aber das will ich auf jeden Fall vermeiden.

"Leiden ist etwas, was die Wesen der Erde einander zufügen aus Mangel an Liebe."

Vielleicht hätte ich das mit Gott sagen sollen, vielleicht auch schweigen. Ich vermisse das Mondkälbchen sehr, wenn ich allein die Sonnenuntergänge betrachte. Ich wünsche mir, dass es bald wieder zu mir zurückkommt.



©Karlheinz Lörner
 


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