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Der Katzenkönig, nach einer eingebildeten Begebenheit



Über meinen Beruf rede ich nicht gern. Ich verschweige ihn gewöhnlich oder drücke mich lieber allgemein aus. Ich sage dann, ich sei Pfleger, da kann man vieles darunter verstehen.
Ich habe mit Menschen zu tun. Mit absonderlichen Menschen gelegentlich, obwohl man das nicht immer so einfach beurteilen kann.
Otto kam vor etwa einem Jahr zu uns, es sprach sich ziemlich schnell herum. Offiziell ging das eigentlich niemand etwas an, aber das Gericht hatte Sicherheitsverwahrung angeordnet. Er durfte das Heim nicht verlassen. Sie hatten festgestellt, dass er gefährlich war.
Sein Gesicht war aufgeschwemmt, als wäre er lange Zeit mit Neuroleptika behandelt worden und ich bin sicher, dass es so war. Damit kann man eine Menge Probleme in den Griff bekommen.
Er hatte den Ruf einer gewissen Einfalt und das hatte mir der Anstalts-psychologe bestätigt. Aber ich verstand mich mit ihm und war mir durchaus nicht sicher, ob der Psychologe wirklich recht hatte. Wenn ich Tagdienst hatte, wurde ich abends um neun Uhr abgelöst, dann blieb ich häufig länger auf seinem Zimmer und hörte mir seine Geschichten an.

Er erzählte vom Katzenkönig. Es gebe ihn schon seit vielen tausend Jahren, berichtete Otto, manche Menschen seien ihm blindlings verfallen. Man müsse ihm vorbehaltlos gehorchen. Er erscheine in regelmäßigen Abstände und erteile seine Befehle.
Die wären zwar meist harmlos, wie Otto versicherte, aber ich fragte mich, weshalb dann ein Gericht hätte auf die Idee hätte kommen sollen, ihn für gemeingefährlich zu halten, nur weil er harmlosen Befehlen gehorcht hatte. Otto, darüber befragt, zog bedeutungsvoll den Kopf ein, als ginge es auf der Welt allgemein nicht mit rechten Dingen zu und als sei er nicht dazu bestimmt, diesen Dingen auf den Grund zu gehen.

Der Katzenkönig, erzählte Otto, konnte grausam sein. Aber seine Beschlüsse wären so weise, dass man sie gemeinhin nicht annähernd verstünde, der Katzenkönig wollte auch nicht, dass wir uns darüber Gedanken machten. Und ein Gericht konnte schon gar nicht den Sinn verstehen. Dabei gab Otto unumwunden zu, dass ihm auch nicht immer alles einleuchtete, doch käme es ihm nicht zu, an den Beschlüssen des Katzenkönigs herum zu deuteln. Zum Beispiel sei er bekanntlich hier, weil er versucht habe, einen seiner Zimmernachbarn auf Befehl des  Katzenkönigs zu töten, was ihm misslungen sei. Darüber sei der Katzenkönig sehr erbost gewesen und zu allem Überfluss hätte man ihn, Otto, wie man sähe, obendrein noch eingesperrt. Dabei sei es reiner Zufall gewesen, dass der Versuch gescheitert sei, dafür konnte er nun wirklich nichts. Kein Mensch wüsste, wie er gelitten habe.
Dabei sei er durchaus nicht glücklich über den Auftrag gewesen. Er habe sehr wohl gewusst, dass das verboten sei, immerhin hätte das schon in der Bibel gestanden. Aber das Wohl der halben Menschheit habe davon abgehangen, in dieser Beziehung habe der Katzenkönig nicht mit sich spaßen lassen, wenn man seinen Befehlen nicht gehorchte.

Ein moralischer Übeltäter also. Otto hatte auf eine gewisse Weise Recht, sich über das Urteil zu entrüsten, denn im Grunde hatte er, so gesehen, nur die Menschheit retten wollen. Grübelnd ging ich nach dem letzten Besuch nach Hause.
Ich hatte mich natürlich über ihn erkundigt und versucht, näheres in Erfahrung zu bringen. Die Gerichtsverhandlung hatte seinerzeit ziemliches Aufsehen erregt. Ohne ersichtlichen Grund, wie es schien, hatte Otto versucht, einen seiner Mitbewohner auf grausame Art zu töten. Zeugen hatten berichtet, wie er völlig teilnahmslos herumgelaufen sei und etwas von einem Katzenkönig gefaselt habe, doch richtig klar sei das nicht geworden.

Der Gerichtsmediziner hatte etwas von einer beginnenden Schizophrenie gemurmelt und es wurde schließlich zu einem reinen Sachverständigen-prozess, bei dem aber auch nicht allzu viel Erhellendes herauskam und an dessen Ende die Sicherheitsverwahrung stand.
Die Zeitungen berichteten noch darüber, dass es in dem Haus von Katzen nur so gewimmelt habe. In die seriösen Berichterstattung fand das allerdings keinen Eingang, zwar gab es keine rechte Erklärung dafür, bot aber auch keinen Anlass, darüber zu spekulieren.

Dann hatte ich einige Tage anderes zu tun und keine Zeit, Otto zu  besuchen. Stattdessen ging ich erst bei nächster Gelegenheit nachmittags zu seinem Zimmer, obwohl ich wusste, dass er bei einer therapeutischen Behandlung angemeldet war und eigentlich gar nicht hätte da sein dürfen. Aber Otto schwänzte die Veranstaltung offenbar, in seinem einzigen Sessel lag eine ziemlich fette, grobklotzig wirkende schwarze Katze. Sie sah uralt aus und blinzelte schläfrig. Sie streckte eine Pfote mit ausgefahrenen Krallen in meine Richtung und dehnte sich. Das habe nichts zu bedeuten, belehrte mich Otto, das mache sie bei jedem Besucher.

Das Halten von Tieren gehörte zu der pädagogischen Ausrichtung des Hauses, es wurde den Insassen, wenn es keine besonderen Umstände machte, grundsätzlich genehmigt. Ich weiß das, ich habe schon mehrere Katzen dort gesehen. Sie galten als besonders reinliche und pflegeleichte Tiere.

„Ein Geschenk vom Katzenkönig“, erklärte mir Otto. „Sie ist eine Vertraute von ihm.“
Der Katzenkönig schien ihm verziehen zu haben, was jedoch, wie sich später heraus stellte, ein Irrtum war.
Ich fragte, wie sie zu ihm gekommen sei, aber Otto hüllte sich in Schweigen.
„Sie soll auf mich aufpassen“, erläuterte er mir dann.

Die Katze sah mich misstrauisch an, sie schien ihn verstanden zu haben. Sie hatte grüne Augen mit schwarzen senkrechten Strichen in der Mitte. Als ich zu ihr trat und sie streicheln wollte, fauchte sie mich an.

„Hat sie einen Namen?“ fragte ich.
Otto sah mich unruhig an.
„Sie muss doch einen Namen haben“, wiederholte ich eigensinnig.
„Wieso?“ sagte Otto. Es klang wenig überzeugend. „Man kann sie doch einfach Katze nennen, oder?“
„Ja, gut“ sagte ich begütigend. „warum nicht!“

Bei diesen Worten zog ich mir einen Sessel aus der Zimmerecke und setzte mich an den Tisch, über den mich die Katze beobachtete. Otto redete leise auf sie ein, er sprach bruchstückhaft in einer seltsam abgehackten Sprache mit ihr, ich konnte kein Wort verstehen. Er schien ihr meine Anwesenheit zu erklären.

Dann eröffnete mir Otto, der Katzenkönig habe auch einen Auftrag für mich. Ich würde ihn bald erfahren, aber vorher wollte er mich noch näher kennen lernen. Er selbst wisse gar nicht, worum es sich handele, meinte Otto, es ginge ihn ja auch eigentlich nichts an.
Und er wollte mir die Katze überlassen, das heißt, wenn sie sich wohl bei mir fühle. Woran er keinen Moment zweifele. Wie sie mich freilich ansah, schien es um unsere künftige Freundschaft nicht gut bestellt.

Ich bin im allgemeinen sowieso kein ausgesprochener Katzenfreund, aber dieses Tier, ich konnte es kaum erklären, war mir vom ersten Augenblick an unsympathisch. Dennoch bedankte ich mich herzlich bei Otto, erklärte ihm aber, ich sei auf Katzen nicht eingerichtet, es fielen mir noch die Nachbarn ein, die sicher etwas dagegen hätten und dergleichen, aber es half nichts.
Otto entwickelte eine selbstbewusste Großzügigkeit.

„Und wie soll ich sie mitnehmen?“ fragte ich schließlich zögernd.

Sie werde von selbst mitkommen, versicherte er mir. Der Katzenkönig habe es gesagt. Es sei unklug, ihm zu widersprechen. Seine Stimme nahm einen gefährlich Ton an.
Langsam wurde mir seine fixe Idee lästig. Aber dann fiel mir ein, aus welchen Gründen er hier war. Sicher, ich war nicht völlig allein mit ihm, Hilfe wäre im Ernstfall schnell zu holen. Aber schnell genug? Ich wollte es nicht auf die Probe stellen. Also griff ich nach dem Karton, den Otto schon
zurechtgelegt hatte.

„Sie müssen sie aber auch mit nach Hause nehmen, der Katzenkönig würde es sonst merken!“ schärfte mir Otto ein.

Konnte er Gedanken lesen? Heimlich hatte ich mir bereits überlegt, wie ich sie am schnellsten wieder loswerden konnte.
Die Katze sprang fast von allein in den Karton, den Otto danach mit einem Band zuklebte. Dabei würdigte sie mich keines Blickes. In den Karton hatte jemand Löcher gebohrt, wahrscheinlich war er schon öfter zum Transport gebraucht worden.
Eigentlich hatte ich noch keinen Feierabend, aber ich konnte das Tier unmöglich so lange in dem provisorischen Käfig lassen und schaffte den Karton unauffällig zu meinem Auto. Dann fuhr ich zu meiner Wohnung, holte aber vorher noch Katzenfutter und Streu in einem nahen Supermarkt. Mit Interesse und voller Teilnahme registrierten die Verkäuferinnen, dass ich mir eine Katze zugelegt hatte.

Zu Hause sprang sie sofort auf einen Sessel und würdigte mich weiterhin keines Blickes. Ich fand eine alte Plastikschüssel, füllte sie halb mit Streu und öffnete eine Dose. Dann suchte ich einen Platz für die provisorische Katzentoilette. Als weiter nichts geschah, schaltete ich den Fernseher ein. Ich war bisher selten so früh zu Hause und habe noch nie ein so  anspruchsloses Programm gesehen. Die Katze vermied weiter mich
anzusehen. Sie blieb in dem Sessel sitzen und tat so, als sei sie nicht vorhanden. Irgendwann im Laufe des Abends schlief ich vor dem Fernseher ein.

Nach dem Aufwachen – es war noch ziemlich früh - spürte ich eine starke Beklemmung und hatte Mühe beim Atemholen. Die Katze saß immer noch auf ihrem Sessel, diesmal hatte ich das Gefühl, als ob sie mich  beobachtete. Sie hatte wieder diese senkrechten Schlitze in den Augen.
Inzwischen verschlimmerten sich meine Beschwerden. Der Druck
auf der Brust wurde stärker. Ich bekam Schmerzen und wusste sie nicht einzuordnen. So etwas hatte ich noch nie gespürt.
Ohne es erklären zu können, hatte ich das ungewisse und nicht erklärbare Gefühl, dass es mit meiner Besucherin zusammenhing.
Eigentlich hätte ich mich langsam fertig machen müssen für den Tagdienst.
Aber es wurde nicht besser und auf eine nicht näher zu beschreibende Art nahmen meine Beschwerden sogar zu. Ich wusste mir nicht anders zu helfen und ging zu einem Arzt. Der hörte sich meine Klagen an, tastete mich ab und presste mir ein Hörrohr auf die Brust.

„Haben Sie Tiere?“ fragte er mich. „Eine Katze oder so etwas?“

Ich verneinte. Ich hatte normalerweise keine Tiere, ich wollte ihn nicht auf eine falsche Fährte locken.
Er blickte mich ernst an und entnahm mir eine Blutprobe. Das Ergebnis wollte er mir in wenigen Stunden telefonisch mitteilen, bis dahin sollte ich zu Hause bleiben.

Ich war kaum in meiner Wohnung, als das Telefon klingelte. Es war Otto. Ich wusste gar nicht, dass er als Patient aus seiner Abteilung anrufen konnte.

„Wie geht es Ihnen?“ fragte er mich.
„Es geht so,“ erwiderte ich. „Wie kommen Sie darauf ..“
„Der Katzenkönig hat danach gefragt.“
Ich fragte mich, was der Katzenkönig damit zu tun hatte.

Ich stellte fest, dass die Katze verschwunden war. Jedenfalls saß sie nicht mehr in ihrem Sessel.

„Wie geht es ihr?“ fragte mich Otto.
„Es geht ihr gut, danke,“ quetschte ich heraus. „Ich muss jetzt auflegen, Otto, ich melde mich wieder!“

Ich rannte durchs Bad und über den Flur, die Katze blieb verschwunden.
Mir wurde schlecht, gleichzeitig überfiel mich eine wie aus Blei gegossene Müdigkeit. Schließlich sank ich auf das Sofa und versuchte zu schlafen, aber es gelang mir nicht. Im Dämmerzustand fuhr ich ständig hoch und sah die Katze in ihrem Sessel.
Dann klingelte wieder das Telefon.
Es war der Arzt.

„Es ist wegen der Blutprobe,“ erklärte er mir. „Wir haben sie ausgewertet. Kommen Sie bitte gleich vorbei!“
„Wieso? Was ist?“ Ich konnte kaum sprechen, mein Mund fühlte sich ausgetrocknet an und staubig.
Er sprach leise. „Ich erkläre es Ihnen in der Praxis. Kommen Sie bitte.“

Aber das war leicht gesagt. Mir war inzwischen richtig übel.
Und was sollte ich beim Arzt. Ich kannte meinen Auftrag.
Otto hatte den Befehl des Katzenkönigs nur unvollständig ausgeführt.
Er hätte es wissen müssen. Das Schicksal der halben Menschheit
hing schließlich davon ab.

In meinem besten Sessel saß die Katze. Sie war nicht da, um auf Otto aufzupassen, da hatte er sich geirrt. Ihre strichförmigen Augen saugten sich an mir fest und fremdes Wissen ergriff von mir Besitz.

Benommen tastete ich mich zum Telefon. Ich musste einen Vorwand finden, um Otto zu treffen. Viel Zeit würde ich nicht haben, der Katzenkönig hatte selten Geduld.
Sie holten Otto an den Apparat, ich wunderte mich, wie einfach das ging. Ich gab meiner Stimme einen dienstlichen Anstrich.

„Ich muss Sie dringend sprechen“, erklärte ich ihm. „Kommen Sie bitte in der nächsten halben Stunde hier her.“ Mein Ton klang rau.
Otto zuckte hörbar zusammen.
„Sie wissen doch, ich bin in der Geschlossenen,“ erklärte er mir.
Es klang unsicher.
„Befehl von höchster Stelle!“ knarrte ich. „Sagen Sie an der Pforte Bescheid.“ Es war mir klar, dass sie ihn durchlassen würden.

Auf einer Kommode befand sich die Nachbildung einer Katzengöttin, die ich aus einem Urlaub in Ägypten mitgebracht hatte. Sie war aus einem grünen gipsartigen Material und stellte eine Frau in einem eng anliegenden Kleid dar mit Katzenkopf. Sie maß etwa dreißig Zentimeter und ließ sich gut anfassen.
Die Katze fauchte, als ich die Figur prüfend in die Hand nahm.
Ich musste lächeln bei dem Gedanken, wie sie auf Ottos Kopf niedersausen würde. Ausgerechnet eine Katzenstatue!
Es verging etwa eine halbe Stunde, dann hörte ich Ottos schwere Schritte auf dem Flur. Ich hatte an alles gedacht, die Tür war einen Spalt offen und selbst die Katze, ich hätte es nicht für möglich gehalten, schien den Atem anzuhalten.
Der Katzenkönig würde mit mir zufrieden sein!




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