Gutemiene
– Jörg
Borgerding
Gutemiene, Mienchen, Guti.
Sie war keine Schmusekatze, im Gegenteil. Mienchen ließ sich nur
unter heftiger Gegenwehr auf den Arm nehmen und streicheln. Bei
Bedarf, wenn sie die zärtlichen Hände eines Menschen brauchte,
sprang sie uns auf Arm oder Schoß. Meistens geschah das, wenn wir
beim Essen waren, oder auch, wenn wir gerade im Sessel sitzend
oder auf dem Sofa liegend eingeschlafen
waren.
In den dreizehn Jahren, die Gutemiene in unserem Haus lebte, das
sie zweifellos dreizehn Jahre lang als ihr Haus betrachtet hat,
lernte sie es nicht, dass eine Katze auf einem Tisch nichts zu
suchen hat.
Sie war eine Diva, eine Katzendiva. Die profanen Schlafplätze der
anderen Katzen, die - bestenfalls von ihr geduldet - in ihrem und
unserem Haus lebten, also: Sofa, Sessel, Frauchens Oberschenkel,
erschienen ihr nicht standesgemäß. Sie erkämpfte sich rasch einen
Ruheplatz zwischen den antiken Keksdosen auf unserer alten
Wohnzimmeranrichte. So oft wir die Dosen wieder arrangiert und
ordentlich hinstellten wenn Mienchen ihren Platz verlassen hatte,
so oft schob sie die Blechbehälter kurz darauf wieder weit genug
auseinander, um dazwischen liegend zu ruhen und gelegentlich einen
prüfenden Blick in ihr Wohnzimmer zu werfen. Irgendwann ließen wir
die Dosen dann so stehen, wie sie standen. Schließlich: der
Anblick einer auf einem Wohnzimmerschrank zum Schlaf
zusammengerollt liegenden Katze hat durchaus etwas heimeliges und
wirkt auf den Betrachter beruhigender als Baldrian.
Auch der große alte Drucker meiner Computerperipherie gefiel ihr
als Schlafplatz; nie hätte ich gewagt, ihn anzuschalten und gar in
Betrieb zu setzen, wenn Guti darauf ruhte.
Fand sie, von einem Hunger, der größer als ihr Ruhe- und
Schlafbedürfnis war, zum Futternapf getrieben, Reste darin vor,
wäre sie lieber verhungert, als die Reste zu fressen. So lange
krakeelte, miaute und bettelte sie dann, bis ihr jemand den Napf
mit frischem Futter auffüllte, oder besser noch: einen sauberen
und frisch gefüllten Napf anbot.
Spürte Gutemiene ein katzliches Bedürfnis, das ihr riet, kurz das
Haus zu verlassen und sich irgendwo im Garten zu erleichtern, so
stellte sie nach einem Blick aus Fenster oder Haustür gelegentlich
fest: es regnet. Natürlich mutete sie sich nicht zu, bei so einem
Hundewetter das Haus zu verlassen. Stattdessen pisste sie dann auf
den Duschvorleger oder kackte unter die Küchenbank.
So eine Katze kann mensch nur lieben.
Comic-kundige Leser werden ahnen, wer bei Gutemienes Taufe Patin
gestanden hatte: Es war die Gattin des berühmten
Gallierhäuptlings, die sich durch ein hohes Maß an
Eigensinnigkeit, Sturheit und Dominanz auszeichnet. Hätten wir der
Katze einen besseren Namen geben können?
Wir kannten Gutemiene schon eine ganze Weile, bevor sie Einzug in
ihr Haus und unser Leben hielt. Sie war eine Wildkatze, eine
Streunerin. Etwas rachitisch, kleiner als ihre Altersgenossen, so
war sie uns vorgekommen, wenn wir sie auf dem benachbarten
Brachland bei der Mäusejagd beobachteten. Sie war eine gerissene,
ausdauernde und somit erfolgreiche Mauserin - Grund genug für uns,
ihre Freundschaft zu suchen und ihr unseren mäusereichen Garten
als Erweiterung ihrer Jagdgründe anzubieten. Wir riefen sie, wir
lockten sie mit Worten, mit imitierten Mäusepfiffen und Milch.
Nach langer Zeit des Werbens wurde sie schwach, ein wenig nur,
zunächst. Sie näherte sich dem Haus, das damals noch uns alleine
gehörte, trank die Milch und fraß das Futter, das wir ihr vor die
Haustür gestellt hatten. Nach Beendigung der Mahlzeit verschwand
sie wieder, ließ sich tagelang nicht sehen. Dann kam sie zurück,
abgemagert, verlaust, stinkig, fraß und trank sich satt, und
verschwand wieder. Bis zum kalten Weihnachtsfest des Jahres, in
dem sie endgültig Einzug in unser Haus hielt und es zum
persönlichen Eigentum erklärte.
Ihre Landstreicherei, ihr Streunertum hat sie nie ganz abgelegt.
Zuweilen, meistens geschah das im Sommer, siegte ihr
Freiheitsdrang über die sichere aber langweilige Existenz in
unserem Haus. Dann sahen wir sie oft tage- und manchmal wochenlang
nicht. Im Frühherbst des neunten Jahres blieb sie auch nach Wochen
verschwunden. Oft haben wir damals die umliegenden Wälder, die
Straßengräben der Kreis- und Landstraßen nach dem Leichnam einer
etwas kleinwüchsigen, graugetigerten Katze abgesucht. Dass wir ihn
nicht fanden, war uns kein Trost – im Gegenteil. Irgendwann
erklärten wir sie damals für tot und hofften, sie möge einen
standesgemäßen Ruheplatz im Katzenhimmel zugewiesen bekommen
haben.
Nach drei Monaten war sie wieder da, nur unwesentlich verschmutzt
und verzeckt, lief in der Küche auf und ab und forderte laut und
nachhaltig nach einer ordentlichen Portion frischen Futters, so,
als wäre sie nur mal eben zum Pinkeln draußen gewesen.
Danach wurde sie heimischer und ruhiger. Ihre Ausflüge wurden
kürzer und unterblieben bald ganz. Bart und Kinn wurden grau, sie
wurde eine alte Katzendame. Ihre Allüren hat sie dennoch nie
abgelegt – im Gegenteil.
Am Heiligen Abend des Jahres, als Gutemiene dreizehn Jahre in
unserem Haus gelebt hatte, regnete es leider nicht. Die Kerzen am
Baum waren heruntergebrannt und im Fernsehen lief Belangloses, als
Mienchen darum bat, vor die Haustür gelassen zu werden. Hättest du
doch auch an jenem Abend auf den Duschvorleger gepinkelt,
Mienchen.
© Jörg Borgerding
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