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Begegnungen der besonderen Art



Jörg Borgerding -
alias Jottbe


Schisser


Ein Festmahl für Hitler

Das Methusalem-Kompott

Gutemiene.htm
(noch eine Katzengeschichte)

Gedichte



Der Titel sagt ja schon deutlich worum es geht. Da fällt bereits die Entscheidung, ob man die Geschichte lesen will.
Ich bin in dem Alter bin, wo man schon seit einiger Zeit darüber nachdenkt, ob man die Natur gewähren lassen sollte, oder ob man es tatsächlich wagen sollte, sich gegen den Lauf der Dinge zu stellen.
Das Skalpell kommt für mich nicht in Frage. Aber würde ich dem Methusalem-Kompott widerstehen können?

Ich glaube, ich wäre schon sehr versucht es zu versuchen. Schon allein, weil man sich  im Laufe der Zeit, immer weniger erkennt, wenn man in den Spiegel blickt. Wie schrecklich ist das mit einer gänzlich Fremden leben zu müssen. Und manchmal scheint es mir, als ob mein Mann das auch denkt.
Nun ja, ich werde es ihm nicht verraten, dass es etwas gibt wie das Methusalems-Kompott. Und so werden wir wohl dereinst enden wie Philemon und Baucis.



Eine schöne Geschichte, die besonders durch die Spiegelung des Alters mit der Jugend lebt. Wo der grantelige Neid nicht weggespült wird

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Das Methusalem-Kompott

I.

Die Sonne schien und die Vögel sangen wie in einer schlechten Kurzgeschichte. Ich hatte mich vor meiner fürsorglichen Frau in den Park geflüchtet, wieder mal. Dort saß ich auf einer Holzbank am Spielplatz, schaute den Kindern, die gut ein halbes Jahrhundert jünger waren als ich, bei ihrem Treiben zu, missgönnte ihnen das Blutjungsein, und ihren Müttern, die - ihren Nachwuchs halbherzig beaufsichtigend - in Grüppchen standen oder saßen und tratschten, deren klischeehaft blühende Spätjugend.

Der griesgrämige Ausdruck meines faltenzerfurchten Gesichtes muss ihn angelockt haben, dachte ich später. Ich bemerkte ihn kaum, nickte nur, statt zu antworten, als er mich fragte, ob der Platz neben mir frei wäre.
"Süß, die Kleinen, nicht?", fragte er, nachdem er einige Minuten schweigend neben mir gesessen hatte. Ich antwortete nicht. Er versuchte weiter, mich in ein Gespräch zu verwickeln: "Sind Sie der Großvater eines der Kinder?"
Das saß.
Langsam wandte ich ihm den Blick zu. Ein unscheinbarer Mann, deutlich jünger als ich, lässig aber gepflegt gekleidet.
"Ich bin jünger als ich aussehe, und noch lange kein Opa", knurrte ich und dachte an meine erwachsenen Söhne, denen ihr ungebundenes, verantwortungsfreies Leben viel zu viel Spaß machte, um es sich von einem Brüllmonster, das alle zwei Stunden gewickelt werden will, kaputt machen zu lassen.
Obwohl ich wieder geradeaus zu den Kindern schaute, spürte ich, dass er lächelte.
"Ich wollte Sie nicht beleidigen, entschuldigen Sie bitte!", sagte er sanft und nicht unsympathisch. "Aber - ohne Ihnen nahe treten zu wollen - Sie könnten Großvater sein!"
Ich presste die Lippen aufeinander, holte tief Luft und presste sie anschließend aus der Nase heraus. Musste ich mir das anhören? Reichte es nicht, dass meine Gattin sich mehr und mehr um mein Wohlergehen sorgte, mich mit - wie sie fand - gesundem Essen und zusätzlichen Gaben von Mineralien und Vitaminen vor den Unannehmlichkeiten des Alterns retten wollte, mir lange Unterhosen und Kniestrümpfe kaufte, da diese geeignet wären, Rheuma und Abnutzungserkrankungen vorzubeugen? Reichte es nicht, dass meine Kollegen, allesamt jünger als ich, und mein Chef, noch viel jünger als ich, mich bei jedem neuen Auftrag fragten, ob ich den erfüllen könne, da ich schließlich nicht mehr der Jüngste sei? Reichte es nicht, dass mir die Kellner in Restaurants die geöffnete Karte reichten und dezent darauf hinwiesen, dass alle Speisen auch als günstigere und kleinere Seniorenportion erhältlich seien? Reichte es nicht, dass Fernsehen und Zeitungen voll waren mit Reportagen, Kolumnen, Spielfilmen und Doku-Soaps, die das Problem der drohenden Gesellschaftsüberalterung zum Gegenstand hatten? Musste ich mir jetzt auch noch und zu allem Überfluss von einem dahergelaufenen Schnösel meine kaum noch verrinnend zu nennende Zeit unter die rotgeäderte Nase halten?
Ich kniff die Augen zusammen wie der jüngere Clint Eastwood, wenn es für seinen Kontrahenten gefährlich wurde.
"Meine private Altersvorsorge ist bestens geregelt und Rheumadecken oder eine Eigentumswohnung im 'Betreuten Wohnen' brauche ich auch nicht!", sagte ich leise, aber nachdrücklich und gerade laut genug, dass er es hören konnte, und verwarf den Gedanken, mich auf eine andere Bank zu setzen. Schließlich war ich als erster auf dieser Bank gewesen und hatte somit ältere Rechte.

"Nein, die brauchen Sie sicher nicht", antwortete er und fügte nach kurzer Pause hinzu: "Noch nicht"
Nun begann er endgültig, mir unsympathisch zu werden. Das Blut schoss mir ins Hirn und meine Kehle wurde eng. Ich holte Luft, um zu einer kleinen Beschimpfungsorgie auszuholen. Er legte mir eine Hand besänftigend auf den Oberarm.
"Hören Sie mir zu, bitte - nur zwei Minuten!", bat er.
Ich sah einen kleinen Jungen von der zweiten Stufe des Klettergerüstes stürzen und sich die Knie aufschlagen. Sofort stimmte der Knabe ein vögelverscheuchendes Gebrüll an. "Heul nur", dachte ich, „das Leben wird dir noch genug Wunden schlagen!" Und zu meinem Banknachbarn sagte ich: "Gut - wenn Sie mir versprechen, dass Sie nach Ihrer zweiminütigen Rede verschwinden!"

„Sie sind Mitte 50?“, fragte er.
„Nein“, sagte ich, ich bin Anfang 50. Mit 54 ist man Anfang 50, mit 58 ist man Mitte 50 und mit 60 Ende 50!“
Er schmunzelte. „Versicherungsstatistisch haben Sie noch etwa 20 Jahr zu leben, wenn’s gut geht, 25“
Ich seufzte und bemühte mich nicht, freundlich zu sein: „Erzählen Sie mir was Neues!“
„Was, wenn ich Ihnen sage, dass Sie mit meiner, mit unsrer Hilfe noch fast 50 Jahre leben könnten? Noch fast 50 Jahre, und dabei den heutigen Status Ihres Körpers, Ihrer Knochen, Muskeln, Gelenke, Organe, Augen, Ihres Gehirns behalten?“
Ich schnaubte verächtlich. Was sonst hätte ich tun sollen. Dann stutzte ich. „’Unsere Hilfe’? Wer ist das?“
„Ethernitum. Wir sind ein junges Unternehmen und beschäftigen uns mit Biogerontologie.“
„Soso“. Ich hatte keinen Schimmer, was Biogerontologie ist.
„Wir sind nicht auf das schnelle Geld aus. Wir setzen auf langfristige Erfolge“.
„Wie schön für Sie!“
Er lächelte weiter wie ein gut geschulter Gebrauchtwagenhändler.
„Interessiert es Sie überhaupt nicht, wie wir Ihnen zu fast 50 weiteren, munteren Jahren verhelfen können?“
Ich hob meine Augenbrauen, spitzte die Lippen und neigte meinen Kopf ein wenig zur Seite. Er ließ ein leises Lachen hören. „Na also!“
Der gestürzte Junge war mittlerweile von seiner Mutter mit Spucke, Küssen und guten Worten von seinen Schmerzen geheilt worden. Eine jahrhundertealte Medizin, die es bei keinem Apotheker zu kaufen gibt.
„Wir haben eine neue … nennen wir es: Medizin entwickelt. Eine Medizin, die es bei keinem Apotheker zu kaufen gibt!“
Abrupt schaute ich ihn an. Konnte er Gedanken lesen? Nein, offensichtlich nicht. Ein Zufall.
„Wenn Ihre ‚Medizin’ so großartig ist, warum habe ich davon noch nichts in der Werbung gesehen?“
„Das ist eine gute Frage!“, lobte er mich. „Die Zeit, oder besser gesagt: die Gesellschaft ist noch nicht reif für unser Produkt. Wir gehen den Weg der kleinen Schritte, sprechen ausgewählte Personen an. Ich beobachte Sie schon seit ein paar Tagen. Sie entsprechen exakt unserer Zielgruppe. Sie sind Mitte – Verzeihung: Anfang 50 und dabei recht gesund!“
„Ich bin topfit!“ Das hatte mir zumindest mein Hausarzt unlängst beim Gesundheitscheck bestätigt.
„Eben, das dachte ich mir! Und Menschen wie Sie sprechen wir an in der Hoffnung, auf Interesse und Toleranz zu stoßen!“
Ich nickte bedächtig verständnisvoll. „Und woran würde sich unsre Gesellschaft bei Ihrem Produkt stoßen?“
„Ethik. Unser Präparat ist ein wirksames Medikament gegen die fürchterlichste Krankheit, von der die Menschheit befallen wird – vom Altern. Unser Ethernitum stoppt den Alterungsprozess von dem Tag, an dem Sie es zu sich nehmen!“
„Ihr Produkt heißt wie Ihr Unternehmen – wenig einfallsreich!“
„Warum nicht – es ist ein guter Name. Und wir produzieren und vertreiben nur diesen einen Artikel.
„Und was ist daran wider die Ethik?“
Er sah sich um, sicher zu gehen, dass niemand nahe genug war, ihn zu hören und neigte sich mir zu.
„Ethernitum wird aus Menschen gewonnen. Aus 120jährigen Menschen.“
„Ah! Das ist schön!“, sagte ich. „Für Ihr Unternehmen sind sogar Scheintote noch zu gebrauchen!“ Ich erhob mich, sagte: „Die zwei Minuten sind vorbei!“, und schickte mich an, zu gehen.
„Sie schlagen die Chance aus, für 10 Euro monatlich noch 50 Jahre zu leben? Zu erleben, zu genießen?“
Ich verharrte.
„Ist Ihr Leben so langweilig, dass Sie kein Interesse daran haben? In den nächsten Jahrzehnten wird es gewaltige Veränderungen geben, technische, politische, gesellschaftliche! Und Sie haben die großartige Chance, das mitzuerleben – klaren Verstandes und kräftigen Körpers!“
Ich setzte mich wieder auf die Bank. „Klaut Ihr die Opas aus den Gräbern und dreht sie durch den Wolf?“
Jetzt lachte er laut. „Nein – wir sind keine Grabräuber, keine Mörder, keine Verbrecher. Wir zahlen alten Menschen viel Geld, wenn sie uns nach ihrem natürlichen Ableben ihren Körper überlassen. Und wir verwenden die Körper nur, wenn sie beim Dahinscheiden mindestens 120 Jahre alt waren.“
„Dahinscheiden!“, äffte ich ihn nach. „Wie viel zahlen Sie Ihren Lieferanten?“
„Nach deren Empfinden ein Vermögen – für uns eine kleine Summe …“
„Verstehe …“ In vielen armen und ärmsten Ländern gab es erstaunlich viele uralte Menschen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie ihr Leben lang nichts zu fressen hatten.
Ich wollte nichts mehr über die Produktion des Medikaments wissen. „10 Euro pro Monat sagten Sie?“
„Sie bekommen pünktlich zum Ersten jeden Monats eine Monatsration Ethernitum zugeschickt – anonym verpackt. Sie bezahlen, am besten per Dauerauftrag, jeden Monat 10 Euro dafür. Sollten Sie länger als 8 Wochen in Verzug sein, gehen wir davon aus, dass Sie kein Interesse mehr haben. Dann werden die Lieferungen eingestellt und unser Vertrag ist beendet! Es ist völlig risikofrei für Sie!“
„Haben Sie Referenzkunden?“
Er schmunzelte. „Sie werden verstehen, dass äußerste Diskretion zu unseren Firmengrundsätzen gehört!“
Schon wieder der Gebrauchtwagenverkäufer.

Das erneute Gebrüll des Jungen, der dieses Mal von der Schaukel geflogen und unsanft gelandet war, unterbrach uns. Dieses Mal gab es keine Spucke und gute Worte, dieses Mal zerrte ihn die entnervte Mutter hinter sich her nach Hause.
„Und wo ist der Haken? Warum nur bis 120?“
„Der Haken ist – der Bedarf an … Rohstoff wird gewaltig wachsen. Um ihn zu decken, bedienen wir uns bei unsren Kunden, wenn sie 120 Jahre alt sind.“
„Das heißt, wenn ich 120 bin, komme ich in den Wolf?“
„Sie werden Ihr Leben auf die angenehmste Weise beenden – seien Sie dessen versichert. Danach werden aus Ihrem Körper die Ingredienzien fürs Ethernitum gewonnen, wie aus den Körpern vieler anderer gleichaltriger Männer! Sie sehen - ich bin ganz ehrlich zu Ihnen!“
Tatsächlich wirkte er seriös und vertrauenswürdig. Doch eins ließ mich stutzen. „Männer? Nur Männer?
„Ja, nur Männer, zur Zeit jedenfalls. Bei Frauen wirkt es nicht. Wir arbeiten daran.“

Die Sonne verschwand hinter der großen Kastanie. Die letzten beiden Mütter sammelten ihre Brut ein, klopften den Kindern den Sand von der Kleidung und verließen den Spielplatz. Es wurde deutlich kühler.
„Ich weiß nicht so recht …“, sagte ich leise.
„Sie müssen sich hier und heute nicht entscheiden. Lassen Sie sich Zeit! Ein paar Tage, Wochen, Monate. Wenn Sie sich entschieden haben, wenn Sie an unserem Programm teilnehmen wollen, geben Sie eine Kleinanzeige in der hiesigen Lokalzeitung auf – nur das Wort „Ethernitum“ und einen Chiffre-Code. Wir treten dann mit Ihnen in Verbindung!“


II.

Heute sah ich in den Wikipedia-News, dass Tom Hanks gestorben ist. Er wurde drei Jahre Jahr vor mir geboren und starb wenige Tage nach seinem 120ten Geburtstag. Es war kein natürlicher Tod, aber nähere Informationen gibt es bisher nicht. Einen Tag zuvor war die letzte Klappe für seinen neuesten Film gefallen – schon eigenartig. Ob er auch Ethernitum-Kunde war? Ob er auch jahrzehntelang täglich eine Messerspitze vom „Methusalem-Kompott“, wie ich dieses farblose und geschmacksneutrale Gelee nenne, zu sich genommen hatte? Oder war es ein Zufall? Wurde er kurz nach seinem 120ten Geburtstag ermordet? Die durchschnittliche Lebenserwartung eines heute geborenen Kindes liegt schon bei 110 Jahren, ohne Ethernitum. In Europa, jedenfalls. Große Teile Afrikas und Asiens liegen noch weit dahinter. Die Medizin hat große Fortschritte gemacht, aber speziell in den ärmeren Gegenden der Welt flammen immer wieder neue Epidemien auf, die ganze Völkerstämme hinraffen. Und wenn’s keine Viren sind, schlagen sie sich gegenseitig tot. Was das angeht, hat sich nicht viel geändert in den letzten 70 Jahren.

Was sich überhaupt geändert hat, seit ich vor gut sieben Jahrzehnten die kleine Anzeige aufgegeben habe? Einiges. Und wiederum nichts.
Ich sah den Mann nie wieder, hörte nie wieder etwas von der Firma. Meine Versuche, Name und Sitz des Unternehmens ausfindig zu machen, scheiterten. Ich wollte wissen, ob ihre Bemühungen, Ethernitum auch für Frauen herzustellen, erfolgreich waren. Meine Frau wunderte sich, dass ich mich körperlich so gut hielt, während sie dahinwelkte. Ich habe weder ihr noch sonst jemandem etwas vom Ethernitum erzählt, ich wollte mich nicht lächerlich machen. Konnte ich denn wissen, ob es tatsächlich wirkt? Kurz nach ihrem 90ten Geburtstag wachte sie eines morgens nicht mehr auf, und ich war alleine. Das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her. Niemand kann sich vorstellen, was es heißt, so lange alleine zu sein. Ich bin es müde. Alle meine Freunde sind längst tot. Von denen wurde wohl keiner auf einem Spielplatz in den erlauchten Kundenkreis von Ethernitum eingeladen. Ich habe nie Werbung für das Methusalem-Kompott gehört oder gelesen, vermutlich hadert die Firma immer noch mit der Ethik. Nach dem Tod meiner Frau verließ ich das Haus kaum noch, alles was ich zum Leben brauche, ließ ich mir liefern. Meine Söhne, selbst schon biblischen Alters, haben mich längst vergessen, und ich habe vergessen, wo sie leben. Gelegentlich telefonieren wir noch ohne etwas zu sagen.

Ich verbrachte meine Zeit, indem ich Filme sah, mit Laurel & Hardy, Chaplin, James Stewart, Humphrey Bogart. Und ich sah neue Filme mit Schauspielern, deren Namen und Gesichter mir nichts sagten und die erfolglos versuchten, so gut zu sein wie Laurel & Hardy, Chaplin, James Stewart, Humphrey Bogart.
Ich schaute aus dem Fenster, sah die Jahreszeiten kommen und gehen.
Ich sah mir jeden Tag mehrere Nachrichtensendungen an, immer in der Hoffnung, dass sich irgendetwas Entscheidendes auf der Welt täte, irgendetwas, das meinem langen, einsamen Leben dann doch noch einen späten Sinn gäbe. Und vor zwei Monaten habe ich aufgegeben, an das große Ereignis, was immer es auch sei, zu glauben. Ich stellte die Zahlungen fürs Methusalem-Kompott ein. Damit tat ich das, was der Mann mir seinerzeit auf dem Kinderspielplatz als Möglichkeit, den Vertrag vorzeitig zu beenden, anbot. Drei Jahre vor Ablauf des Abkommens habe ich gekündigt. Ich will eines natürlichen Todes sterben. Ich möchte nicht, dass sie mir das Rückenmark oder die Hirnanhangdrüse entfernen um damit Profit zu machen.

Der Verfall ist enorm. Bereits wenige Tage nachdem ich die letzte Dosis Ethernitum zu mir genommen hatte, fielen mir meine Haare aus. Jeden Morgen erwachte ich mit stärkeren Knochenschmerzen als am Tag zuvor. Ich wurde immer krummer und immer kleiner. Keines meiner Hemden, keine meiner Hosen passen mir noch. Ich kann, selbst mit Brille, nur noch die Zeitungsschlagzeilen lesen und höre Musik so laut, dass sich die Nachbarn beschweren. Es geht zu Ende, aber das ist mir egal.

Es klingelt.
Es läutet an der Haustür.
Seit Ewigkeiten hat die Haustürklingel nicht mehr geläutet.
Ich erkenne ihn wieder, obwohl es ein Menschenleben her ist, dass wir uns zum einzigen Mal gesehen haben. Er sieht gut aus, hat sich nur wenig verändert. Das graue Haar steht ihm, das kleine Bäuchlein stört nicht. Er ist elegant gekleidet und hat immer noch etwas von einem gefährlich-freundlichen Gebrauchtwagenhändler an sich.

© Jörg Borgerding

 

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