Matthias
v. Schramm (MVS)
Hi Paps
Die Ehefrau und die Geliebte
Das Kreuz der Gärtnerin
Balkonleben
Lebenstriptychon
Jonathan und die Jägerin
(Auszug)
bären mit geschmack
ich kann dir sagen
ich mag alles nicht
was mich nicht quält
ich kann nicht sagen
was ich soll
ich kann nicht mögen
einfach so
ich mag bären
mit geschmack
junimails für julitails
lyrikmäuse die sich ratten
curry auf kopf
paderborn und klagenfurt
rainer und schulze
ohne rainer
anrainer
abrainer
rein in den pott
raus aus dem sack
go brasil
nichttor.
|
Mittagessen
Als Vater kam, erschrak Mutter am Küchenfenster. Dann legte sie ein
leichtes Lächeln und Rouge auf. Schweigend setzte man sich an den
Esstisch. Die Decke war weiß, an den Ecken schaute das Furnierholz
raus. Es roch nach Mittagessen.
Das erinnert mich an fremde Hausflure
und Treppenhäuser. Man geht die Stiegen
hinauf und es riecht nach Mittagessen.
Einfach nur nach Mittagessen. Ein nicht
genau bestimmbarer Geruch, der eine
gewisse bedrohliche Schwere in sich
trägt. Unwillkürlich muss ich dann an
daheim denken und an 12 Uhr 30. Das ist
auch, wie der zufällige Gang durch
Kantinen, in denen man weder Zeit noch
Lust hat, zu bleiben.
Rosewein gab es in bunten Gläsern mit
grünlichem Kelchstiel. Der Wein sah aus
wie Limonade und schmeckte auch ähnlich.
Nur ein Glas für jeden. Ein
Mittagessenwein. Mit der
Lebensmittelschere löste Vater das Garn
um die Rindsrouladen auf. Der Bratensaft
am Garn machte Streifen auf den weißen
Tellern. Sorgfältig wurden die Fäden auf
einem Nebenteller platziert. Dieser war
in anderen Fällen auch für überflüssige
Wurstpellenreste und Hühnerknochen
bereit gestellt.
Wenn man dann die Rindsroulade
aufschnitt, fiel sie leicht auseinander
und erfaltete einen Geruch, nicht wie
eine Rose, eher schon, wie eine offene
Hose. Der fette Speck wurde sichtbar und
die ganz trockenen Ränder durfte man
beiseite legen. Wenn man auch etwas von
den weichen Fleischanteilen der Roulade
liegen ließ, begann Vater vom Krieg zu
erzählen. Es war das Steckrübendilemma,
welches ihm die Tränen in die Augen
trieb. Und Kohlgerüche waren ihm
zuwider. Ansonsten wurde beim
Mittagessen geschwiegen und nur
zurückhaltend aufgestoßen. Mutter tupfte
sich ganz vorsichtig den Mund mit einer
karierten Papierserviette, sie musste ja
auch auf den Lippenstift acht geben.
Vater tunkte gerne noch mal den Matsch
zerdrückter Kartoffeln in eine Soße, die
so dunkel und schwer war, dass eine
solche Soße nach dem Mauerfall nur noch
in eingefleischten Ostgegenden
stattfand. Nachtisch war Pudding mit
Haut, oder auch eingelegtes Obst. Dann
durften wir aufstehen. Mein Bruder ging
zum Sport, meine Schwester aufs Zimmer.
Vater gab Mutter einen Kuss auf die
Wange und ging wieder fort. Mutter und
ich sahen ihm aus dem Küchenfenster
nach. Sie strich mir mit
Zwiebeldufthänden über den Kopf.
Vater war oft tagelang weg und tauchte
dann wieder zum Mittagessen auf. Später
erfuhr ich ihren Namen. Sie hieß Irene.
Einmal besuchte sie mich auf dem
Spielplatz und schenkte mir Schokolade.
Irene machte für Vater nie Mittagessen.
Er lud sie immer in das gleiche Gasthaus
ein. Die Leute redeten und beobachteten
sorgfältig, was in Mutters Einkaufsnetz
war. Es wurde eifrig über Mutters
Kochkünste spekuliert.
Als Vaters Galle ging, wurde er
Vegetarier. Es gab nur noch Diätessen.
Diätpüree, Diätsalat und eine eigens von
Vater angelegte Schnittlauchbank in
seinem Arbeitszimmer. Und überall lagen
fein geschnittene Radieschenscheiben
herum. Mittags wurde immer noch
geschwiegen, auch wenn sich Mutter jetzt
liebevoller um ihn kümmerte, wenn er am
Tisch saß. Er ging ja auch nicht mehr so
oft fort.
2. Mai 2009
©MVS |
|