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Begegnungen der besonderen Art



Matthias v. Schramm   (MVS)


Hi Paps

Mittagessen

Die Ehefrau und die Geliebte
Das Kreuz der Gärtnerin

Balkonleben

Jonathan und die Jägerin
(Auszug)


Lebenstriptychon


Sie klagen nicht. Denn sie haben ja noch ihr Leben. Das ist ihr höchstes Gut. Keine Entwürdigung ist stark genug, um ihren Stolz zu brechen. Wir treiben sie durch den Flur der alten Villa, unsere ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind nackt. Mit Pingpongschlägern treiben wir sie hin und her. Manchmal müssen sie Turnübungen machen. Kniebeugen, Liegestütze, Räder schlagen. Hin und wieder entweicht Frau Müller ein unentzücktes „Huch.“ Dann geht’s einzeln in die Klassen. Sie werden solange eingeschlossen, bis alle Fragen beantwortet sind. Die Mathelehrer müssen Geschichte schreiben, die Deutschlehrer Mathematik usw. Wenn uns die Antworten nicht gefallen, gibt es ordentlich was mit dem Riemen auf den Pelz. Frau Münchenhagen, welche unter Laktoseintoleranz leidet, muss literweise Schulmilch trinken.

Auch diese Herrschaften müssen mal an die frische Luft. Gartenarbeit ist eine schöne Naturübung und kann mit Zirkeltraining kombiniert werden. Dr. Gelinek, der Herr Direktor, soll mal seine Haare ordentlich richten. So kann er doch nicht vor seine ehemaligen Kinder treten. Abends wird gemeinsam gebetet. Im großen Kaminzimmer. Wer dabei rumalbert, wird am nächsten Tag vor allen anderen richtig doll verhauen. Bevor wir sie alle ins Bett schicken, müssen sie uns auf die Stirn küssen und um Verzeihung bitten.

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Max ist einer von uns. Er ist liebevoll, zurückhaltend und schön. Seine Vorliebe für Menschenfleisch ist ein Problem, aber behandelbar. Man möchte schon, aber man kann einfach nicht darüber hinweg sehen. Dennoch versichert er uns immer wieder, dass er Freunde nicht essen werde. Das habe er sich zumindest fest vorgenommen. Wir wollen ihm ja glauben. Immerhin kann er seinen Kannibalismus nicht wirklich leben. Er wird bei uns kriminalisiert und Max ist ein Mann mit großer Freiheitsliebe. Eigentlich ist es also Theorie und wir wären auch alle beruhigt, wenn es da nicht diesen einen Fall gegeben hätte. Max ist es sehr unangenehm, wenn wir ihn darauf ansprechen. Er läuft dann rot an, senkt seinen Kopf, und würde sich am liebsten verkriechen. Die gute Ilse, welche ja auch Kindergärtnerin ist, nimmt ihn dann immer in den Arm, passt aber auf, dass er sie nicht versehentlich anknabbert.

Max hat tatsächlich mal eine Frau gegessen. Er wollte das nicht, es kam so über ihn. Das ist ihm sehr peinlich. Er weint manchmal sogar deswegen. Und sie hat nicht einmal gut geschmeckt. Und es war die Frau seines Chefs, dies war doppelt unangenehm und blöd. Heute ist er davon überzeugt, dass er nur die falschen Gewürze verwendet hat, denn sie sah wirklich sehr appetitlich aus zu Lebzeiten. Das Dumme war, dass er sie auch noch auf einer Betriebsfeier mit Partnerinnen und Partnern gegessen hatte. Da konnte er direkt am nächsten Tag in der Firma seinen Hut nehmen.

Wir Frühstücken oft gemeinsam. Mal bei Moni, mal bei Werner, mal bei der Ilse oder auch bei mir. Nur bei Max dann doch lieber nicht. An diesem Morgen sind wir bei Ilse. Die Tür steht auf und Ilse ist nicht da. Nur ein Oberschenkelknochen liegt auf dem Tisch und daneben ein Stückchen ihres Kuschelpullovers. Darauf liegt ein Zettel: Danke Euch für alles. Max.

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An diesem besonderen Morgen besucht mich mein Henker in der Zelle. Er ist Schweiß gebadet. Der arme Mann zittert am ganzen Leib.
„Ich bin total aus der Übung, wissen Sie! Seit Jahren gab es hier keine Enthauptungen mehr!“ Ich versuche ihn zu beruhigen. Ich habe nämlich großes Interesse daran, dass er seine Arbeit gut macht, weil das für uns beide besser ist. Er fragt mich, ob er einmal üben dürfe. Ich finde dass eine gute Idee. Er holt sein riesiges extra geschärftes Beil. Da kein Holzbock in meinem Verließ vorhanden ist, knie ich mich nieder und lege meinen Kopf auf der Sitzfläche des einzigen Stuhls in meiner Zelle ab. Mit einem Edding zeichnet er in meinem Nacken die Stelle ein, die er nachher treffen will.

Ich spüre die kalte Schneide seines Instruments.
„Wunderbar, wenn Sie das nachher so machen, dann kann nichts schief gehen!“, lobe ich den Mann. Aber seine zitternden Hände irritieren mich weiterhin. Auf einmal scheint der Kerl zu vergessen, dass wir nur üben und schlägt mir wie von Sinnen den Kopf ab.
„Idiot!“, denke ich mit letzter Kraft, weil ich ihm ja nicht mehr antworten kann.
 

4. Mai 2009


©MVS
 


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