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Begegnungen der besonderen Art


Begegnung mit amygdala
alias Giselheid Schulz


SIE WOHNT IM DAVOR UND DANACH

Kommentare  zum Gedicht  im Forum der Gruppe
vier-w im November 2003

 

Zufällig  fiel mir dieser Kommentarverlauf wieder in die Hände und ich fand ihn beim Drüberlesen so treffend für die Auseinandersetzung mit Amys Texten im Forum, dass ich beschloss, ihn hier her zu stellen. Ich hoffe alle Beteiligten geben mir dazu ihre Zustimmung.

 

amygdala - Giselheid Schulz

Kommentarverlauf
zu SIE WOHNT IM DAVOR UND DANACH

amygdala bei tft

Kommentarverlauf
zu ICH HABE MEINE TÜR

Prosatext

dysdera u.a,



 

 

 

   
 

  

   
  Forum der Gruppe vier-w im November 2003


 
  amygdala
erstellt 17.11.2003 18:50




SIE WOHNT IM DAVOR UND DANACH
und in der Zwischenzeit
hebt sie die Worte auf
und schneidet sie
in Nacht und Tag.

Sie geht hinaus im Spiegelbild
verliert sich und doch nichts,
sie schreibt den Namen ein
in Sand und Meer und Stein.

 

[Bearbeitet von amygdala am 18.11.2003 14:54]
 



 
  wolfundgang
erstellt 17.11.2003 20:59


die zwischenzeit der zwischenraum ...
der spiegel, der für so viele dinge stehen kann, und seit
alice überhaupt ...

und *schnipsel* mit der schere, amy
und schneidet sie in nacht & tag, erinnert mich an die bibel,
wo hell und dunkel erst aus dem chaos zentrifugiert werden
müssen oder so ähnlich. eine meiner lieblingsstellen (in der
bibel und hier )

warum/wann verliert man nichts, wenn man sich verliert? ist es
das äusserliche, das man verliert, wenn man den spiegel
durchschreitet? und ist deswegen dann der name, den man
schreibt, ein wahrhaftigerer?

liebe grüsse
wolfgang
 





 

  Trist
erstellt 17.11.2003 22:32


Schön, mal wieder einen Text von dir zu lesen, liebe Amy!
Gefällt mir bis auf:

"Sie geht hinaus im Spiegelbild
verliert sich und doch nichts,
sie schreibt den Namen ein
in Sand und Meer und Stein."

Nach meinem Verständnis: Sie geht hinaus ins Spiegelbild.

Dann fände ich den Text auf eine Art "mutiger. So empfinde ich
es, als wenn mit Zeilenumbrüchen nur gespielt würde. Verstehst
du, was ich meine?

Lieben Gruß von
Trist
 



 
  manina
erstellt 17.11.2003 23:18


Hi Amy,
den Namen einschreiben, festschreiben in Sand, Meer, Stein.
Magische Drei. Sand, wo er verwehen wird, keine Spur
hinterlässt, Meer, wo das Wasser ihn in tausend andere Wasser
trägt und zerfließen lässt, dann aber in Stein. In Stein wird
gemeißelt. Der Name, die Identität des Ichs wird nun Bestand
haben - bis zum Grab-S t e i n, dem letzten Stein der
Menschen, der auch mitklingt im Gedicht.
Grüße von der Manina
 



 
  amygdala
erstellt 18.11.2003 12:49


wolfgang, interessante gedanken zu dem text. es steckt wohl
mit drin, auch wenn meine gedanken einen anderen ausgangspunkt
hatten. doch gefällt mir, deine lesart.

trist, ich verstehe nicht ganz, wie du es meinst. "sie" geht
im spiegelbild und ist doch auch noch außerhalb desselben. das
wollte ich aussagen. meinst du das völlige hinausgehen und
aufgehen im spiegelbild, das du lieber lesen würdest? das hat
schon noch eine andere aussage, das stimmt. ich denk nochmal
darüber nach, ob mir das auch lieber wäre.

manina, noch ein neuer gedanke, an grabstein hab ich auch
nicht gedacht.

ihr laßt mich einiges neues entdecken durch eure sichtweise
und assoziationen, danke!


amy winkt
 



 
  lester
erstellt 18.11.2003 14:36


Sie wohnt im Davor (von fern klingt Ingeborg an). Wie wohnt
man da? Nicht wirklich, nur so auf Probe, in Erwartung. Danach
ist klein geschrieben und wird mit der Zwischenzeit
zusammengeworfen oder sollte es groß geschrieben werden:
'Danach', man lebt zwischen dem Davor und dem Danach, gäbe
einen anderen Sinn. Was könnte der Sinn sonst von der
'Zwischenzeit' sein, zwischen was?
'Sie verliert sich und doch nichts': ist sie nichts, wenn sie
sich verliert? Ach, man muß nicht jedes Wort verstehen

Ein melancholischer Text, zwei sehr starke Sätze:
'Sie wohnt im Davor und danach' und ' Sie verliert sich und
doch nichts'.

Schön, daß Du wieder schreibst.

Gruß
Lester
   
  amygdala
erstellt 18.11.2003 14:53


lieber lester,
und wie schön, daß du auf meinen text antwortest
ja, ich habe wochen für den ersten teil gebraucht und brauchte
wochen für den zweiten teil. und er ist noch recht frisch und
muß vielleicht noch zurechtgeschnitten werden. an der
angesprochenen stelle zu beginn da war ich wohl
rechtschreibtechnisch nicht richtig. danke für den hinweis.
also beides groß geschrieben "Davor" und "Danach", so hatte
ich es mir vom sinn her gedacht. hab mir, da ich mir die
gedichtitel abgewöhnt habe, im gegenzug angewöhnt, die ersten
worte komplett groß zuschreiben. jedoch ohne diesen damit
besondere bedeutung geben zu wollen.

lieben gruß
amy
 



 
  Gast
erstellt 18.11.2003 18:09

Hallo Amygdala,

>Wasser trägt und zerfließen lässt, dann aber in Stein. In
Stein wird gemeißelt

...das finde ich nicht .... (sie Bild) .... aber mir gefällt
am Stein der Reim *g* mit ein nicht....

Liebe Grüße

Nifl
 



 
  Wilhelm Riedel
erstellt 18.11.2003 18:38


Liebe Amygdala,
das was dazwischen ist, vielleicht eine Liebesbegegnung, ist
zwar die Hauptsache, die Person dieses Gedichtes aber lebt
davor, in der Erwartung, oder danach, in der Erinnerung. Sie
registriert und ordnet. Im Spiegelbild betrachtet sie sich,
sieht sich hinausgehen, als gehöre sie nicht dazu, aber sonst
geht nichts verloren.
Ein Rätsel ist der Name. Vielleicht der Name des Geliebten.
Vergänglich und unauslöschlich.

Grüße
Wilhelm Riedel
 



 
  amygdala
erstellt 18.11.2003 22:06


lieber nifl,
herzlichen dank für das schöne bild. ja, das ist auch eine
assoziation. ja, die sache mit dem reim an der von dir
genannten stelle beschäftigt mich auch noch. im moment möchte
ich es noch so glatt und rund dort. doch vielleicht ändere ich
es ja noch und lasse den stein an anderer stelle stehen.

lieber wilhelm,
ich bin erstaunt und erfreut über deine lesart. ja, das steckt
wohl auch mit darin und zeigt eine facette meiner gedanken auf
diesen text zu.

lieben gruß
amy
 



 
  lester
erstellt 19.11.2003 11:56


..ja der Reim am Ende wirkt etwas zu 'einfach', gäbe zwei
Mittel dagegen, entweder das 'ein' verstecken in der Satzmitte
der vorletzten Zeile:

sie schreibt ihn ein, den Namen,
in Sand und Meer und Stein.

hm, nicht so gut, oder Zeile 5 und 7 tauschen?

Sie schreibt den Namen ein
und geht hinaus im Spiegelbild,
verliert sich und doch nichts,
in Sand und Meer und Stein.

Gefällt mir besser. Verändert aber den Sinn. Nicht einfach.
Vielleicht braucht die 2. Strophe einfach eine weitere Zeile?

Gruß
L.
 



 
  amygdala
erstellt 20.11.2003 12:08


kleine änderung:

SIE WOHNT IM DAVOR UND DANACH
und in der Zwischenzeit
hebt sie die Worte auf
und schneidet sie
in Nacht und Tag.

Sie geht hinaus im Spiegelbild
verliert sich und doch nichts,
sie schreibt den Namen ein
in Stein und Sand und Meer.
 



 
  Anna
erstellt 20.11.2003 22:22


Liebe Amygdala,

ein feiner Text ist das, bei dem ich an der ersten Strophe
überhaupt nichts anders möchte.

In der zweiten Strophe hat mich das "im Spiegelbild" anfangs
auch etwas grübeln lassen, aber durch deinen Hinweis dazu wird
deutlich, dass du es genauso meinst und wie du es meinst;
finde ich sehr schön, dieses Bild ...

Gleichzeitig beginnst du in dieser Stophe zu reimen - "ein"
auf "Stein" - wobei ich vom Grundsatz her an diesem
"einfachen" Reim nichts auszusetzen finde. Nur "überrascht" er
mich hier zu sehr. Wird durch die erste Strophe nicht
vorbereitet.
Deine Änderung mit dem Binnenreim gefällt mir da gut.

Anna
 



 
  Quoth
erstellt 04.12.2003 13:13



Zitat:
doch zur zeit machen sich selbst die gedichtworte rar in
mir.


schriebst du in einem Kommentar zu "Opaki".
Da fiel mir dieser Text ein und was ich immer dazu schreiben
wollte, es dann aber nicht tat, weil ich fürchtete, es könnte
irgendwie unangemessen sein. Nun hol ich es also nach.
Es gibt in der Ästhetik eine Tendenz, die ich
"Substanzialismus" nennen möchte - die Neigung, das
Geschriebene, Gemalte, Komponierte immer weiter auf die
eigentliche Substanz zu reduzieren.
In der Malerei landet man dabei beim Quadrat, in der
Monochromie, bei der leeren Leinwand, in der Dichtung und
Musik letztlich beim Schweigen.
Du scheinst dich für mich in einem Vorhof des Verstummens zu
bewegen. Du reduzierst das Auszusagende in diesem Text auf die
Substanzen Zeit (Vorher, Nachher, Tag und Nacht), Sein und
Schein (Spiegel), und Natur (Sand, Meer und Stein).
Für mich hat Dichtung nicht nur die Aufgabe, Substanz
vorzuzeigen und auf sie zu reduzieren. Auch das weniger
Belangvolle, die Assoziation, die Parallele, der Akkord, ja,
das Geflimmer, Alltägliches und Banales können und sollen ihr
Thema sein.
Das Leben, die Welt, das Ganze besteht nicht nur aus
Wesentlichem, nicht nur aus Substanz - sondern auch aus der
ganzen Fülle des Akzidenziellen.
Aber gut - ich habe vor den leeren Leinwänden Fontanas
gestanden, in die er Schnitte gemacht hat - und war ergriffen,
weiß der Himmel wovon.
Es krimpelte - um mit Bernd zu sprechen...
Trotzdem schau ich mir lieber Bilder von Anselm Kiefer an...
 



 
  amygdala
erstellt 04.12.2003 14:15


lieber qouth,
ja, ich mag das reduzierte und mitunter brauchen die inneren
bilder lange um nach außen aufs papier zu dringen. doch
verstummen werde ich nicht.
zu diesem text wurde ich angeregt durch eine radiosendung über
tod und sterben aus theologischer und philosophischer sicht
und gadamers ausführungen über trinität, "das wort" und den
vorgang des denken und sprechens ....

amygdala, die anselm kiefer auch ganz besonders mag (und
robert rauschenberg)
 



 
  Quoth
erstellt 06.12.2003 19:15



Zitat:
doch verstummen werde ich nicht.
amygdala, die anselm kiefer auch ganz besonders mag.


Das ist tröstlich zu hören. Und da Anselm Kiefer offenbar
vielen unbekannt und ein Nachsuchen zu mühsam ist, hier ein
Link auf eines seiner berühmtesten Bilder.

http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/kiefer/goldhair.jpg

Zugleich eine Dokumentation der Macht des poetischen Worts.
[Bearbeitet von Quoth am 08.12.2003 07:33]
 



 
  thea
erstellt 07.12.2003 23:02


dein text gefällt mir ausnehmend gut
liebe amygdala
mir muss ein text unter die haut gehen
und das tut deiner
liebe grüße
thea
 



 
  thea
erstellt 07.12.2003 23:04


das bild ist völlig stark
danke quoth
thea
:-)
 



 
  lester
erstellt 08.12.2003 09:46


..na, da freu ich mich aber, es gibt noch mehr
Anselm-Hochhalter (klar, dass amygdala bei ihrer Vorliebe für
PC auch Kiefer goutiert, ach ja, und auch "Böhmen liegt am
Meer" kommt bei ihm vor, ich sagte ja, von ferne grüsst
Ingeborg...
 



 
  amygdala
erstellt 08.12.2003 11:55


oh, danke für das bild, lieber quoth!
ist das auf "todesfugen" von celan bezogen, dieses "dein
goldenes haar margarete"?
freut mich, daß dich mein text berührt, liebe thea.
ja, lester, ingeborg les ich auch gerade und immer noch....

amy

ps, noch ein a.k.-bild:
http://www.artsonje.org/kyongju/sonje/Image_Data/collection/c_p_kiefer.gif

und
http://www.bta.it/img/a0/02/bta00236.jpg
[Bearbeitet von amygdala am 08.12.2003 12:09]
   
   

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