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Begegnungen der besonderen Art 




  
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Königin der Nacht

Ich habe ihn auf dem Kompost gefunden, wir kompostieren hier ja zu mehreren Parteien hinten im Garten, und irgendwer hatte ihn weggeworfen, wahrscheinlich, weil er wirklich nicht sehr ansehnlich war, nicht einmal gleichmäßig grün, sondern teilweise mit braunem Schorf überzogen oder sogar verholzt. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber alles Verachtete zieht mich an, schon als ich ein kleines Mädchen war, sind mir die abgerissensten Köter handzahm hinterhergelaufen, ich kann es einfach nicht mitansehen, wenn Unschuld leidet, und wenn etwas noch unschuldiger ist als ein Tier, dann ist es eine Pflanze. Und stellen Sie sich vor: 25 Jahre hab ich ihn auf der Fensterbank gehabt, immer mit dem Finger die Feuchtigkeit geprüft, Kakteen dürfen ja nicht nass stehen, hin und wieder hab ich ihn mal mit Kamillentee abgepinselt, er ist ein wenig, aber nicht viel gewachsen - irgendwie lebt so eine Pflanze in anderen zeitlichen Maßstäben. Und nun plötzlich das! Zuerst hielt es ich es für was Krankhaftes, wollte es schon abknipsen, aber das Haarbüschel, das sich hervordrängte, war eine Knospe, ich hab sie wachsen lassen, zum Glück, o ja, zu meinem allergrößten Glück, denn sie schwoll mächtig an und hervor, reckte sich mir entgegen, und mit einem fast hörbaren Peng! ist sie aufgeplatzt und hat eine Schönheit enthüllt, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schön - ein vielzackiger Stern aus lanzettförmigen Blütenblättern, glitzernd und fleischfarben rosé, kein ordinäres Pink oder Rosa, sondern rosé oder lachsfarben, weiß der Himmel, und darin ruhen die Staubgefäße und krümmen sich dem Licht entgegen, und der Stempel klafft wie eine kleine offene Wunde - ich gestehe, ich war in Versuchung, ihn zu küssen und habe Stunden und Stunden gesessen und hineingestarrt in dieses Wunder und mich nicht ein bißchen gewundert, dass auch ich, als es schlaff wurde und verfiel, dass auch ich... Und nun liege ich hier, und ich bitte Sie, lassen Sie mich in Ruhe, holen Sie keinen Arzt, es geht mir gut, und es war genug.

© Quoth

 

 


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