Nadeshda
Sie kam damals mittags bei mir vorbei mit einem Gesichtsausdruck von
entspannter Verwirrung, den ich kannte und der ihr gut stand. Ich war
froh sie zu sehen, da ich gerade am kochen war und nicht gerne alleine
esse.
"Ich bin heute an der Isar aufgewacht, neben diesem Messer,"
sagte sie und zeigte mir das Messer, das sie in der linken Hand hielt.
Ich weiss nicht genau, warum sie darauf bestand, das Messer zu
behalten. Von mir aus, sie konnte es gut gebrauchen. Aber wer weiss,
wer am Ufer der Isar sein Messer vergisst oder absichtlich liegen
lässt. Natürlich ist es möglich, dass es sich um einen harmlosen
abendlichen Picknicker gehandelt hat, der es in der Dunkelheit nicht
mehr finden konnte- ich weiss, wie dunkel es dort wird, selbst Kerzen
oder Taschenlampen helfen oft nicht weiter.
Aber es kommen noch andere Möglichkeiten in Frage; wer kann sagen, was
dieses Messer für seinen ehemaligen Besitzer bedeutete? Damit meine
ich nicht, dass ich es unmoralisch finde, ein fremdes Messer
mitzunehmen, wenn man es an einer solchen Stelle findet.
Nur bin ich von der magischen Kraft der Dinge überzeugt, wie von der
magischen Kraft der Gedanken.
Es mag natürlich sein, dass sie es genau deshalb behielt. Aus Protest
gegen ihr Schicksal. Man kann sich denken, dass es bedrückend genug
ist, überhaupt am Ufer eines Flusses aufzuwachen, ohne dafür eine
bessere Erklärung zu haben, als die, dass man zu so etwas neigt.
Ich weigerte mich also, irgendetwas zu essen, das mit diesem Messer
geschnitten wurde, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich
diesem Vorsatz auch treu geblieben bin...
Es ist einige Zeit her und in meinem Kopf ist alles ein wenig
verschwommen. Aber ich weiss genau, dass sie dieses Messer nicht
gründlicher oder leidenschaftlicher abgewaschen hat, als irgend ein
anderes, uns bekanntes, dessen Vergangenheit wir selbst bestimmt
hatten.
Wahrscheinlich hatte sie Recht, denn mit Menschen haben wir es damals
auch nicht anders gemacht.
© Katarina Cuéllar
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